Titel: Licht Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
M. John Harrison gilt selbst in seiner Heimat Großbritannien noch als Geheimtipp und hat dort wie auch hier nie den großen Durchbruch geschafft. Dies könnte ihm in seinem Heimatland mit „LIGHT“ vielleicht gelungen sein, denn immerhin wurde dieser Roman mit dem James Tiptree Jr. Award 2002 ausgezeichnet und fand sich auf der Nominierungsliste für den British Science Fiction Association Award 2002 und dem Arthur C. Clarke Award 2003 wieder. Nun, ca. zwei Jahre später, liegt er in deutschsprachiger Übersetzung vor und dürfte die Lesergemeinde spalten.
Vorweg aber ein paar Worte zum Autor. M. (Michael) John Harrison veröffentlichte seinen ersten Roman bereits 1971 und schreibt seitdem Kurzgeschichten und Romane, nicht nur aus dem Bereich Science Fiction. In den letzten Jahren ist er in seiner Heimat durch die Fantasyserie „Viriconium“ und den SF-Roman „The Centaury Device“ aufgefallen. Er lebt und arbeitet in West London. Einige seiner Werke sind Anfang/Mitte der 80er Jahre bereits bei Bastei-Lübbe als Taschenbuch erschienen. So der Viriconium-Zyklus und einige seiner SF-Romane, allesamt nur noch antiquarisch zu erhalten, so dass M. John Harrison hierzulande ein unbeschriebenes Blatt ist. Seine Homepage ist unter www.mjohnharrison.com zu finden.
Am gegensätzlichsten fallen die Romanbewertungen bei amazon aus. Während Hannes Riffel den Roman als „einsamer Höhepunkt der modernen SF, ohne jede Einschränkung ein Meisterwerk“ in höchsten Tönen lobt, sind die Kommentare einiger Leser als vernichtend zu bezeichnen. Dabei kommt „LIGHT“ in vielen Besprechungen britischer und amerikanischer SF-Foren und -Seiten sehr gut weg und hat nicht zuletzt einen der international bekannteren SF-Preise gewonnen.
„LIGHT“ sprengt auf alle Fälle bekannte Lesegewohnheiten, denn die Handlung an sich ist auf dem ersten Blick nur sehr schwer erkennbar und auch im weiteren Verlauf der Lektüre ist der Leser auf der Suche nach dem roten Faden. Harrison hat gerade nicht einen SF-Roman verfasst, in dem die Handlung über mehrere Handlungsebenen fortschreitet, die dann zum Schluss hin zusammengefasst werden und ein rundes ganzes ergeben. Vielmehr springt er in den 33 Kapiteln zwischen seinen Handlungsebenen und innerhalb diesen noch in mehrere Zeitebenen. Seine Protagonisten kehren in ihren Träumen in ihre Vergangenheit zurück oder erleben ganz unterschiedliche Realitäten. Die Verbindung zwischen Michael Kearney, einem Computerexperten, der in unserer Gegenwart lebt, und einer 400 Jahre entfernten Zukunft, erschließt sich dem Leser erst ganz zum Ende hin bzw. die Verbindung ist sehr dünn. Weiterhin ist Kearney ein überaus labiler Charakter. Eigentlich versucht er mit seinem Freund den Quantencomputer zu erfinden, wird dabei aber ständig von seiner Vergangenheit verfolgt und befindet sich auf der Flucht vor dem Shrander, einer unheimlichen Kreatur, die allein in seiner Vorstellung zu existieren scheint und der er nicht entkommen kann. Verfolgt durch diese imaginäre Gestalt ist er zum Massenmörder geworden (wobei alleine Frauen seine Opfer sind) und dadurch beziehungsunfähig. Seine Dauergeliebte Anna, die sich ihm auf persönlichkeitsverachtende Art und Weise anbiedert und als Sexobjekt anbietet, ist genauso psychisch krank.
In der 400 Jahre entfernten Handlung trifft der Leser auf Seria Mau Genlicher, die mit ihrem K-Raumer White Cat am Rande des Kefahuchi Traktes operiert, einem Raumgebiet, welches seit Äonen von intelligenten Völkern erforscht wird, die aber allesamt nicht in diesen Sektor eindringen konnten bzw. daran dann zugrunde gingen. Aufgrund der Vielzahl von Hinterlassenschaften, von denen einige aus dem Gebiet ausgestoßen werden, ist die Grenze zum Kefahuchi Trakt zum Eldorado der raumfahrenden Rassen geworden.
Innerhalb dieser beiden Handlungsebenen agieren noch weitere Charaktäre, die allesamt nicht dem Durchschnitt entsprechen und nicht einfach zu erfassen sind. Hinzu kommt eine Vielzahl von Ideen, die bei weitem nicht alle ausgelotet und bis zu Ende ausgearbeitet sind. Etliche Fragen bleiben unbeantwortet und viele Handlungsfäden werden nicht zu Ende geführt. Fast könnte man von einer Verschwendung von Ideen sprechen, denn allein der Handlungsschauplatz des Kefahuchi Traktes hätte locker für eine Trilogie gereicht.
Die Sprache fordert einem als Leser und Harrison erklärt bei weitem nicht alle Begriffe, wobei einige dankenswerter Weise von den beiden Übersetzern eingeordnet werden. „LIGHT“ ist sicherlich kein Roman für eben mal zwischendurch oder für die Fahrt zur Arbeit, sondern ein Werk, welches die volle Aufmerksamkeit des Lesers beansprucht, ohne dabei aber unverständlich zu bleiben. In Verbindung mit einer nicht einfach nachvollziehbaren Romanhandlung über verschiedene Ebenen hinweg, zählt „LIGHT“ zu den anspruchsvolleren Werken des Genres.
Erfrischend ist, dass M. John Harrison seine Ideenvielfalt nicht über einem Mehrteiler der Kategorie Space-Opera verteilt hat, sondern sie in einem Einzelroman gebündelt hat.
“LIGHT“ zählt zu den neueren SF-Werken wo sich eine zweite Lektüre lohnt.