Serie: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse aka Die schaurige Geschichte von Violet, Sunny und Klaus aka Schauriger Schlamassel (Bände 4 und 5) Autor: Lemony Snicket Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Herzlich willkommen zum vierten und fünften surrealen Albtraum in Lemony Snickets Reihe betrüblicher Ereignisse. Falls Sie meine bisherigen Rezensionen zu dieser Kinderbuchreihe gelesen haben, dürfte Ihnen bereits klar sein, dass Snicket (oder besser: Daniel Handler, die graue Eminenz hinter diesem Pseudonym) immer wieder die gleiche Geschichte in wechselnden Gewändern erzählt und aus dieser Unsitte gar kein Geheimnis macht. So will nun auch ich Sie nicht lange auf die Folter spannen und gleich offen gestehen, dass das Humorniveau in Die unheimliche Mühle bzw. Die Schule des Schreckens voll auf acht- bis zehnjährige Leser (sowie womöglich Mr.-Bean-Fans?) ausgerichtet ist und der mehr oder weniger geneigte Rezensent bisher hauptsächlich den teils herrlich skurrilen Handlungsschauplätzen etwas abgewinnen konnte.
Also alles beim Alten? - Eigentlich schon. Die drei Baudelaire-Waisen Violet (14), Klaus (12) und Sunny (1-2) werden weiterhin auf der Flucht vor dem bösen Grafen Olaf von einem Verwandten zum nächsten weitergereicht. Wenn Die unheimliche Mühle beginnt, sitzen sie gerade mit Mr. Poe [wer ist denn das, werden sich neu hinzugestoßene Leser jetzt fragen, aber wenn Sie das wirklich interessiert, lesen Sie doch bitte hier oder hier nach, da ich, imGegenteil zu Lemony Snicket, nicht jedesmal wieder ebenso ausführlich wie langweilig sämtliche schon bekannten Figuren zum x-ten Male beschreiben möchte] im Zug nach Jammerau und betrachten den Finsterwald mit seinen fast astlosen Bäumen, die allein optisch wie geschaffen sind für das Sägewerk, in das es unsere drei Helden bald verschlagen wird. In Jammerau setzt sich Poe umstandslos in den nächsten Zug nach Hause und überlässt die Kinder ihrem Schicksal, nicht ohne ihnen zuvor eingeschärft zu haben, schön artig zu ihrem neuen Vormund, dem Sägewerksbesitzer, zu sein, da ihm langsam die Vormunde ausgingen und er bei einem erneuten Fiasko gezwungen wäre, sie für einige Zeit in einem Internat unterzubringen.
Falls die Baudelaires große Hoffnungen hatten, hier zur Abwechslung eine ruhige Zeit zu verleben, so vergehen die ihnen gleich, als sie auf der Dorfstraße ein Gebäude erblicken, das genauso aussieht wie das auf Graf Olafs Knöchel tätowierte Auge. In der "Sägemühle Glück und Partner" empfängt sie lediglich ein auf dem Fabrikhof liegender geschäftsmäßiger Brief, der sie anweist, sich in den Arbeiter-Schlafsaal zu begeben und am nächsten Morgen wie alle anderen "mit Engagement und Enthusiasmus" [es fehlt nur noch das Wort 'Teamgeist'] zu ihrer ersten Schicht anzutreten. Die Kinder sind also vom Regen in die Traufe geraten und in einer ebenso klischeehaften wie gruseligen Welt des Albtraum-Kapitalismus gelandet: Ihr Schlafsaal erweist sich als Betonhalle, in der die Fenster nur mit Kugelschreiber aufgemalt sind; die Entlohnung für die Arbeiter besteht in 1 Mahlzeit pro Tag sowie einem Gratis-Kaugummi und Gutscheinen, die nirgendwo eingelöst werden können; der Vorarbeiter ist ein Menschenschinder mit weißer Perücke und Mundschutz - und der Vormund und Boss ist die Karikatur des fetten Kapitalisten (der so dicke Zigarren raucht, dass sein Gesicht bis zum Ende hinter einer Qualmwolke verborgen bleibt).
Dass mir Band 4 (neben Band 3) bisher am besten gefallen hat, liegt wahrscheinlich an den zwei 'guten' Charakteren, die Daniel Handler diesem Szenario noch hinzugefügt hat. Da ist zum einen Charles, der herzensgute - und völlig rückgratlose - Kompagnon des Vormunds, zum anderen der Arbeiter Phil, der die Kinder ad nauseam ermahnt, optimistisch zu bleiben und allen Katastrophen irgendwelche positiven Seiten abzugewinnen. Diese zwei Erwachsenen scheinen mir anschaulich zu illustrieren, dass - gerade im Wirtschaftsleben - gute Gesinnung allein zu gar nichts nütze ist. Man muss schon bereit sein, für seine (Arbeitnehmer-)Rechte zu kämpfen.
"Wo findet sich in dieser Geschichte noch ein Platz für Graf Olaf?", werden Sie fragen. - Keine Sorge, Handler bleibt berechenbar. Dieses Mal ist der 'Graf' die weibliche Sprechstundenhilfe Shirley der bösen Ärztin Dr. Orwell. Letztgenannte hypnotisiert Peter, damit der die Sägemühle sabotiert und mitsamt seinen Geschwistern wegen Unfähigkeit 'entlassen' wird. Die netteShirley würde in diesem Falle nur zu gern als Vormund einspringen. Da Peter wegen geistiger Umnachtung zeitweise bei der Problemlösung ausfällt, wechselt zum (mittelgroßen) Finale hin die Rollenverteilung: Violet muss Bücher wälzen und einen Weg suchen, den Bann aufzuheben, damit Klaus letztlich als Amateur-Erfinder den Tag retten kann. Nur Sunnys Rolle bleibt gleich - sie zeigt einmal mehr, wozu vier Babyzähne in der Lage sind. Als am Ende Mr. Poe wieder auftaucht, kann selbst er nicht ignorieren, dass diese Unterbringung für die Baudelaires ungeeignet ist. Also geht ihre Reise weiter, und zwar in Die Schule des Schreckens.
Ein wahrlich treffender Titel, denn in diesem Buch verbirgt sich der größte Schwachsinn, den ich in den letzten zehn Jahren das Missvergnügen hatte zu lesen. Daniel Handlers Romane besitzen weder einen langen erzählerischen Atem noch weisen sie sprachliche Schönheiten auf. Vielmehr scheint es das Hauptanliegen des Autors zu sein, seinen jungen Lesern satirisch typische Motive und Mechanismen der Kinderliteratur vor Augen zu führen. (Am Anfang von Die unheimliche Mühle etwa steht ein ausführlicher Exkurs darüber, wie man vom ersten Satz eines Romans auf dessen Fortgang schließen kann.) Eine Reihe betrüblicher Ereignisse benutzt gern bekannte Szenarien ( ich z. B. fühlte mich bei Band 3 gleich an Nina Bawdens The Witch's Daughter und Enid Blytons The Island of Adventure erinnert - anderen Leuten werden mühelos andere Werke einfallen). Band 5 nun wählt als Schauplatz die Mutter aller Klassiker des Kinderbuchs, das Internat - und Handler kann aus dieser Ausgangssituation leider keine einzige interessante Idee entwickeln. Noch schlimmer: Er versucht es erst gar nicht.
Das Grässliche an diesem Buch ist, dass Handler konsequenter denn je die völlige Beliebigkeit zum Hauptgestaltungsprinzip erhebt. Das Internat entpuppt sich als eine Gruppe von Betonbauten, in denen debile Lehrer schwachsinnige Regeln durchsetzen. Wenn diese wenigstens komisch wären, könnte man den Roman zur Farce erklären und genießen. So aber wird man leider nur ungläubiger Zeuge, wie Daniel Handler Bockmist zu Geld macht. Ich habe keine Lust, näher auf die Handlung einzugehen. Nur soviel: Graf Olafs Verkleidung ist so durchschaubar wie eh und je, und am Ende bietet Mr. Poe die vierte Variation seines immer gleichen Auftritts. Wenn überhaupt etwas verdient, erwähnt zu werden, dann sind das die zwei Quagmeir-Drillinge Duncan und Isidora ("quagmire" - englisch für "Sumpf"), und das hauptsächlich, weil sie offensichtlich noch in weiteren Bänden der Reihe ihren Auftritt bekommen werden. Die beiden Kinder sind in der gleichen Situation wie die Baudelaires: Ihre Eltern waren steinreich und sind jetzt tot. Leider verstarb auch der Drillingsbruder der Kinder, Quigley. Wie die Baudelaires werden die Quagmeirs hauptsächlich durch eine einzige Neigung charakterisiert. Wir erinnern uns: Violet ist eine Erfinderin und Klaus ein Bücherwurm. Duncan Quagmeir nun ist Reporter aus Leidenschaft und seine Schwester Isidora eine (schaurig schlechte) Dichterin. Die zwei versuchen, den Baudelaires zu helfen, und geraten dabei in höchste Gefahr. Mit welchem Ausgang, ist noch nicht abzusehen.
Fünf Romane habe ich nun gelesen, und der letzte war einfach grauenhaft. Werde ich also das Handtuch schmeißen? Wahrscheinlich nicht. Direkt nach Ende der Lektüre war ich so genervt, dass ich mich über den weiteren Verlauf der Reihe kundig gemacht habe. Es scheint so, dass sich Handler ab Band 10 mehr Mühe mit seinem Dukatenesel gegeben hat: Die Bücher wurden wesentlich länger, und er schaffte nur noch eines pro Jahr. Ich werde mich also bemühen, diese Durststrecke durchzustehen, und hoffe auf Besserung. Während ich diese Zeilen tippe, habe ich die Lektüre von Band 6 bereits begonnen. Gönnen Sie mir also bitte demnächst wieder Ihre Aufmerksamkeit, wenn es an dieser Stelle um Die dunkle Allee bzw. Das düstere Dorf geht.