Serie: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse aka Die schaurige Geschichte von Violet, Sunny und Klaus aka Schauriger Schlamassel (Bände 2 und 3) Autor: Lemony Snicket Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Im Folgenden soll es um die Bände 2 und 3 von Daniel Handlers ungemein erfolgreicher Reihe A Series of Unfortunate Events gehen, welche aus 13 Romanen mit jeweils ebenso vielen Kapiteln besteht. Da vieles von dem, was ich über die vorliegenden zwei Teile sagen könnte, bereits anlässlich meiner Besprechung von Band 1 geäußert wurde, sei hiermit auf diese verwiesen (LINK) und nicht weiter die Zeit des geneigten Lesers vergeudet.
Doch genug der Lemony-Snicket-Stilimitation. Was bisher geschah:
Durch einen schrecklichen Unfall sind Violet (14), Klaus (12) und Sunny Baudelaire (1-2) zu Waisen geworden, die - so will es das Testament ihrer seligen Eltern - bei einem oder einer von dem Testamentsvollstrecker Mr. Poe auszuwählenden Verwandten aufwachsen sollen, bis Violet volljährig wird und die Verfügungsgewalt über den Nachlass der Baudelaires ausüben kann. Poes erste Wahl eines Vormunds - Graf Olaf - erwies sich leider als kapitaler Fehlgriff. Zeit also für einen zweiten Versuch.
Band 2: Das Haus der Schlangen
Dieses Mal sucht sich Mr. Poe Onkel Montgomery Montgomery aus (genannt "Monty"), einen netten, rundlichen Herpetologen (sprich: Schlangenforscher), zu dessen Landsitz man gelangt, wenn man den Fauligen Fluss überquert und dann eine Weile der Schaurigen Chaussee folgt (Lemony Snicket liebt Alliterationen). Onkel Monty plant, in nächster Zukunft eine Forschungsreise nach Peru zu unternehmen, und verspricht den Kindern, sie mitzunehmen. Die drei sind gleich Feuer und Flamme und stürzen sich in die Vobereitungen: Montys Haus besitzt als Anbau eine "Reptiliensaal" genannte Glaskuppel, in der es nicht nur eine große Bibliothek (!), sondern auch jede Menge exotische Schlangen gibt. Genau das Richtige für eine Nachwuchsforscherin wie Violet und einen Bücherwurm wie Klaus.
Wendet sich also alles zum Guten für die Baudelaires? Aber nein! Daran lässt der Erzähler Lemony Snicket (eine Kunstfigur, die offensichtlich in derselben Welt wie die Kinder lebt, aber nie zur handelnden Person wird) von vornherein keinen Zweifel. Onkel Monty wird diesen Roman nicht überleben; das verkündet Snicket gleich zu Anfang und füllt dann sadistisch fünfzig Seiten damit, die Funktionsweise von dramatischer Ironie darzustellen. Falls Sie, geneigter Leser, im Zweifel über die Bedeutung dieses Terminus technicus sind (verflixt, schon wieder imitiere ich den Kerl), hier eine Definition in des Erzählers eigenen Worten:
"Einfach ausgedrückt spricht man von dramatischer Ironie, wenn eine Person eine harmlose Bemerkung macht und ein Dritter, der sie hört, etwas weiß, was dieser Bedeutung einen anderen, meist unangenehmen Sinn verleiht. Stell dir vor, du sitzt in einem Restaurant und sagst laut:'Ich kann es kaum abwarten, bis meine Kalbsmedaillons in Marsala serviert werden.' Gleichzeitig sitzen aber Leute in der Nähe, die wissen, dass das Essen vergiftet ist und du beim ersten Bissen tot umfällst. (...) Dramatische Ironie ist von äußerster Grausamkeit und eigentlich immer zutiefst erschreckend, und deswegen tut es mir Leid, dass ich sie in diesem Buch überhaupt vorkommen lassen muss."
Onkel Monty wird also eingeführt, dem Leser ans Herz gelegt und dann von Graf Olaf abserviert. Jener üble Schurke hatte sich nämlich von Monty schon vor Beginn des Buches - als neuer Assistent Stefano verkleidet - einstellen lassen. Oh, wäre der arme Onkel doch nie auf die irrige Annahme verfallen, Stefano wolle ihm auf der kommenden Expedition die Forschungsergebnisse klauen. Ein völlig falscher Verdacht, denn Stefano alias Olaf hat es weiterhin nur auf das Geld (und das Leben) der Baudelaire-Kinder abgesehen. Glücklicherweise schreckt er hier wie im Finale des dritten Bandes davor zurück, Mr. Poe umzubringen (warum eigentlich?). Daher gelingt es den erfinderischen Kindern, ihm noch einmal zu entkommen. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend:
Band 3: Der Seufzersee
Als nächstes verschlägt es Violet, Klaus und Sunny zu ihrer Tante Josephine auf eine Insel im Seufzersee [das Filmfoto in meiner Rezension von Band 1 zeigt unsere Helden bei ihrer Ankunft auf dem Damokleskai]. Die Tante [in der Verfilmung aus dem Jahre 2004 wird sie von Meryl Streep verkörpert] ist verwitwet, seit ihr Gatte bei einem Bad im See von den berüchtigten hungrigen Blutegeln verspeist wurde, die sich auf jedes Lebewesen in ihrer Reichweite stürzen, das innerhalb der letzten Stunde etwas gegessen hat. Dieser Schicksalsschlag hat die eh schon menschenscheue Dame noch ängstlicher gemacht, sodass ihr nun selbst das Anstellen eines Herdes als übergroßes Risiko erscheint und die Kinder ständig kalte Speisen wie Gurkensuppe aufgetischt bekommen.
Kaum je verlässt Josephine ihr über einem Kliff auf Stelzen errichtetes Haus. Als es dann doch einmal unumgänglich wird, im Ort Seufzersee neue Lebensmittel einzukaufen, läuft sie dort postwendend dem patenten Seebären Kapitän Talmi über den Weg, der sich flugs mächtig an sie ranschmeißt. Violet und Co. erkennen in dem Kerl natürlich sogleich den Grafen Olaf, aber wie immer in dieser Buchreihe hören die Erwachsenen nicht auf das, was Kinder zu sagen haben, und so nimmt die böse Geschichte ihren Lauf. Am folgenden Morgen ist die Tante plötzlich verschwunden. In ihrer Bibliothek (!) ist das große Panoramafenster zerbrochen, und davor finden die Kinder einen Abschiedsbrief, in dem Josephine schreibt, sie könne nicht länger ohne ihren geliebten Gatten weiterleben und gebe die Baudelaires hiermit in die Obhut des guten Kapitäns Talmi. Nicht zum ersten Mal begehen die Kinder einen groben Fehler, indem sie das Schreiben an Mr. Poe weiterreichen, anstatt es zu vernichten. Allerdings ist Klaus klug genug zu bemerken, dass der Brief gespickt ist mit Rechtschreibfehlern, und das, obwohl Tante Josephine die pingeligste Grammatikexpertin seit Adam und Eva war - oder ist? Während Klaus verzweifelt bemüht ist, den Sinn zwischen den Zeilen zu entdecken, bevor Graf Olaf sich vom nichts ahnenden Mr. Poe die Vormundschaft übertragen lassen kann, zieht über dem Seufzersee ein Hurrikan auf und läutet weitere gefährliche Geschehnisse ein.
Auf dem Cover von Band 11 der Reihe betrüblicher Ereignisse (die betrüblicherweise auf Deutsch schon in verschiedenster Aufmachung veröffentlicht worden ist) verkündet Rufus Beck (der seit Band 4 die Hörbuchfassungen der einzelnen Romane liest): "Snicket ist cool." Millionen Kinder weltweit sind da gewiss seiner Meinung, und Daniel Handler ist sicher mit sich selbst hochzufrieden darüber, wie höchst erfolgreich sein Romankonzept aufgegangen ist (ich weiß, bin ein ein säähr missgünstiger Zeitgenosse). Band 2 und 3 der Reihe unterscheiden sich nur geringfügig vom Auftakt der Serie, dem "schrecklichen Anfang". Die Orte sind andere (dabei hübsch skurril und durchweg auch für ältere Leser interessant), und die Erwachsenen tragen andere Namen. Leider sind Letztere in einer Weise unglaublich dämlich, wie es in der Realität nicht vorstellbar wäre. Warum wiederholt Handler dieses Handlungsschema also von Band zu Band? Zwei Gründe scheinen mir nahe liegend: Entweder will er sich bei seinen jungen Lesern anbiedern, oder er betont durch den Mangel an Handlungslogik noch den Traum-/Märchencharakter seiner Geschichten.
Immer wieder gleich verlaufen auch die Gespräche unter den Baudelaire-Kindern. Gleich dutzendfach pro Roman brabbelt die kleine Sunny irgendetwas, was ihre älteren Geschwister problemlos dechiffrieren können. Das mag ein bis zweimal ganz lustig sein, etwa ab dem fünften Mal jedoch wirken Sätze wie - "'Tschoin!' kreischte Sunny, was wahrscheinlich bedeutete: 'Das scheint etwas übertrieben, sogar für Graf Olaf.'" - wie eine billige Masche. Auf so einige erwachsene Leser dürften die Bücher als Ganzes ebenso wirken, aber vielleicht ist das auch ungerecht - immerhin sind wir nicht das eigentliche Zielpublikum.
Was bleibt also noch zu sagen, was nicht schon zu Band 1 gesagt wurde?
Hm, habe ich schon erwähnt, dass es Mr. Poe immer nur ums Geld geht? Dass alle Erwachsenen gesetzeshörig sind und jederzeit bereit, die Kinder dem übelsten Schicksal zu überlassen, wenn irgendein Paragraph das verlangt? Dass in den Büchern zwar manchmal bekannte geografische Bezeichnungen (z. B. "Peru") vorkommen, diese Orte aber nie aufgesucht werden? Dass jeder Roman illustriert, wie wichtig es ist, belesen zu sein? (Bücher zu wälzen ist immer Klaus' Herangehensweise bei der Suche nach Lösungswegen.) Und dass - versöhnlicher Farbklecks am Ende jedes Bandes - die Kinder sich schlussendlich bei einander für ihren Anteil am Erfolg bedanken und so zeigen, dass sie als Familie durch dick und dünn gehen? - Nun, jetzt habe ich's jedenfalls getan.
Werde ich also Band 4 der Serie lesen? Ich denke schon. Wie gesagt, mir gefallen die skurrilen Orte. Außerdem hat man die einzelnen Bücher ruckzuck durch ... und es soll ja auch Leute geben, die noch nach 3850 Folgen GZSZ glauben, dass in der nächsten Episode ganz bestimmt endlich etwas Neues und Originelles passieren wird. Schauen Sie also demnächst wieder hier vorbei, wenn es die tapferen Baudelaires in 'Die unheimliche Mühle' bzw. 'Die Schule des Schreckens' verschlägt ...!