Genre: SF Rezension von Rupert Schwarz
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David Haller (Dan Stevens) führt in einer Nervenheilanstalt ein beschauliches Leben. Er hat sich mit seiner Situation abgefunden und erwartet kaum, irgendwann die geschlossene Abteilung verlassen zu können. Im Klinikalltag bietet ihm nur die durchgeknallte Lenny Abwechslung, mit der er seine Späße über andere Patienten macht. Alles ändert sich, als plötzlich die hübsch Sydney Barrett (Rachel Keller) in die Klinik eingeliefert wird. In den Therapiesitzungen beobachtet er sie fasziniert und schon bald werden beide in den beschränkten Möglichkeiten ein Paar. Syd hat jedoch enorme Angst davon, berührt zu werden, was eine Beziehung nicht leicht macht. Als nun Syd entlassen werden soll, ist David verzweifelt. Beim letzten Wiedersehen setzt er sich über alles hinweg und küsst sie, nur um zu erkennen, dass der Grund warum sie nie berührt werden wollte, keineswegs psychische Ursachen hatte. Für ein paar Stunden wechseln beide die Körper und während David im Körper Syds die Anstalt verlässt, verliert sie in der Anstalt die Kontrolle. Es zeigt sich das beide Mutanten sind und Davids Fähigkeiten scheinbar grenzenlos sind. Was genau im Detail passiert ist, bleibt zunächst im Verborgenen, aber zumindest Lenny scheint ums Leben gekommen zu sein. Die Serie, die stark aus der Sicht von David erzählt wird, gibt die Wahrheit nur sehr widerwillig preis. In den Folgen wechseln Flashbacks und Gegenwart so schnell miteinander ab, dass man nie genau weiß, was die Wirklichkeit ist. David beginnt nun alles zu hinterfragen und eine Frage stellt sich ihm immer wieder: Ist er wirklich geistig krank oder will ihm das nur jemand glaubend machen. Schließlich kann er aus der Anstalt fliehen mit Hilfe einer Gruppe um die Wissenschaftlerin Melanie Bird (Jean Smart) zu der auch Syd gehört. Sie bestätigt Davids Befürchtungen, dass er nicht psychisch krank ist, sondern bewusst weggesperrt wurde um ihn unter Kontrolle zu halten. Melanie versucht Mutanten wie Syd und David dem Zugriff durch Regierungseinheiten zu entziehen und da sind wir wieder bei einem Grundthema der X-Men. Und ja, dies ist eine X-Men Spin-Off Serie, auch wenn in den Comics David Haller eher zu den Gegner der X-Men, als selbst ein X-Men ist.
Die Serie ist das Resultat der heutigen Vielfalt in der Fernsehwelt. Die Serie kommt in einem stylischen 60er Retro Look auf die Mattscheibe und ist definitiv nicht für das normale Blockbuster Massenpublikum gemacht. Die Serie ist schräg, oft verwirrend und verlangt beim Sehen die voll Aufmerksamkeit. Ständig dreht es sich um die Frage, ob David nun verrückt ist oder nicht. Und bis zum Ende der ersten Staffel ist diese Frage auch noch nicht geklärt. In den Comics hatte David Haller seinen ersten Auftritt in der recht düsteren Serie „New Mutants“ vom Kreativ Team Chris Claremont (Text) und Bill Sienkiewicz (Zeichnung). 1985 wurde mit Ausgabe 25 mit ihm eine neue Figur eingeführt: David Haller wird als schizophren beschrieben mit einer unglaublichen multiplen Persönlichkeitsstörung. In seinem Kopf lebt eine Vielzahl an Personen (im Comic ist von über 1000 die Rede) und jede von ihnen besitzt eine andere Fähigkeit. Spanne reicht von Telepathie über Teleportation und Telekinese bis hin zur Raum und Zeit Manipulation. Im berühmten Bibel Text Markus 5:9 heißt es „Legion heiße ich; denn wir sind unser viele.“ Damit erklärt sich der kryptische Titel der Serie. Allerdings sei auch gesagt, dass David in der Serie anders dargestellt wird. Oder es wird zumindest nicht klar, ob es nun wirklich so ist, denn in der Serie - ACHTUNG SPOILER - entwachsen seine Probleme nicht einer multiplen Persönlichkeitsstörung, sondern der Tatsache, dass er von einem Mutanten besessen ist. Amahl Farouk ist den Kennern der X-Men Comics auch kein Unbekannter. Er war der erste bösartige Mutant dem Charles Xavier begegnete und in einem Kampf in der Astralebene gelang es ihm seinen Gegner, der über sehr, sehr ähnliche Fähigkeiten verfügte, zu besiegen. Amahl Farouks Körper bleibt leblos zurück. Doch der Sieg war nicht final und als Shadowking lebte er in der Astralebene weiter. Für die X-Men blieb er ein furchtbarer Gegner, der immer wieder besiegt werden musste. Hier hält sich die Serie eng an die Vorlagen. Im Laufe der Zeit hatte Farouk mehrere X-Men besessen und nun ist es eben Legion.
Wenn man sich aber nun vor Augen führt, dass die Geschichte größtenteils aus der Sicht von David erzählt wird, dann fragt man sich, wie ist es überhaupt möglich, die Geschichte mit diesen Parametern zu erzählen. Tatsächlich grenzt die Serie an einen Geniestreich. Der Zuschauer muss etwas Geduld mitbringen und sich zunächst mit mehrdeutigen Informationen zufrieden geben. Erst nach und nach enthüllen sich Plot und Sub Plots und die Wahrheit – oder zumindest das, wovon David glaubt, dass es die Wahrheit ist, kommt ans Licht, denn auch am Ende der nur 8 Episoden umfassenden Serie ist vieles nicht gewiss.
Doch die Serie dreht sich nicht nur um David und Sydney. Es gibt eine Reihe von Nebenfiguren, die auch sehr interessant und gelungen sind. Und im Gegensatz zu David und Farouk findet man diese nicht in den Comics. Obwohl Lenny Busker in der ersten Episode ein (mögliches) gewaltsames Ende findet, taucht sie doch in Flashbacks und Visionen immer wieder auf. Teilweise auch als Personifizierung von Farouk oder als multiple Persönlichkeit (das ist bis zum Ende nicht klar). Ihr unumstößlicher Optimismus gepaart mit Wahnsinn ist eindeutig eine Bereicherung für die Serie. Eine große Rolle spielt auch Ptonomy Wallace. Er hat die Gabe, aktiv und auch mit anderen Personen, Erinnerungen wieder herbeizurufen. Er hilft David die Wahrheit über seinen Geisterzustand herauszufinden und kommt letztlich Farouk auf die Spur, was alle erst in Gefahr bringt. Und dann sind da noch Cary und Karry Loudermilk: Er ist ein brillanter Wissenschaftler, der maßgeblich dazu beiträgt, Davids Rätsel zu lösen und Sie ist eine Martial Arts Kämpferin, die mit Cary den Körper teilt. Sie altert nur, wenn sie aus ihm hervortritt, kann dann auch eigenständige Handlungen vornehmen und sich auch räumlich von ihm entfernen. Da sie aber nur altert, wenn sie dies tut, ist er ein Mann in den 50ern und sie eine junge Frau – und das obwohl sich beide seit dem Kleinkindalter kennen.
Noch ein Wort zu Dan Stevens, der manchen aus der Serie Downton Abbey bekannt sein dürfte. Er zeigt hier nun ein ganz anderes Minenspiel. Seine Darstellung von David Haller erinnert in ihrer Verrücktheit an Mel Gibson in Leathal Weapon. Und dann wieder wirkt er ganz normal, fast in sich ruhend. Es ist sicherlich auch die Leistung von Dan Stevens, die dazu beigetragen hat, dass dieses gewagte Serienexperiment geglückt ist.
Fazit: Legion ist definitiv eines der Genre Highlights des Jahres 2017. Die Serie bietet jenen, die Wert darauf legen, auf eine intelligente Weise mit doppeltem Boden unterhalten zu werden, erstklassige Unterhaltung. Hervor zu heben ist der Retro 60er Lock, der mal mehr und mal weniger in den Vordergrund rückt. Auch das trägt maßgeblich zum Gesamteindruck bei und unterstreicht die Surreale Welt, die den Zuschauern gezeigt wird. Die Serie lässt sich mit Twin Peaks oder Lost (während der besten Momente) vergleichen. Und teilweise entwächst der Serie auch ein Horror, der unter die Haut geht. Vor allem Episode 6 sollte man sich auf keinen Fall alleine ansehen, denn hier erlebt die Serie einen ziemlich nervenzerreißenden Höhepunkt, der nichts für schwache Nerven ist. Es fällt schwer, die Vorzüge der Serie zu loben ohne zu viel der wendungsreichen Handlung auszuplaudern. Genrefreunden sei die Serie ans Herz gelegt. Und wenn sie am Ende überzeugt hat, so kann man sich um die Verlängerung der Serie um eine zweite Staffel mit 10 Episoden freuen, die Anfang 2018 ausgestrahlt wird.