Reihe: Band 1 Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Mein verletztes Bein fühlt sich an, als könnte es jeden Moment seinen Verband sprengen und so dick anschwellen, bis es das ganze Dach ausfüllt.
Stunden vergehen. Ich verliere jedes Zeitgefühl. Soldaten kommen und gehen mit jedem Schichtwechsel. Die Sonne wandert über den Himmel.
Dann, als die Sonne endlich barmherzig zu sinken beginnt, sehe ich, wie jemand aus dem Aufzug steigt und auf mich zukommt.
INHALT
Day ist der meistgesuchteste Verbrecher der Stadt und kann den Soldaten und Polizisten doch immer wieder entkommen. June indes wurde nach dem Tod ihres Bruders befördert und soll Day nun finden und verhaften. Doch als sie diesem zum ersten Mal gegenübersteht und sogar einige Tage in seiner Gesellschaft verbringt, kommen ihr Zweifel. Wie kann dieser freundliche und für seine Familie sorgende Junge ein Mörder sein? Und was hat es mit den Fakten auf sich, die er über die Regierung zu wissen behauptet und die sie sich fragen lassen, ob ihr ganzes Leben eine Lüge ist? June und Day kommen Dingen auf die Spur, die sie nie für möglich gehalten hätten - und so auch dem echten Täter, was sie in große Gefahr bringt...
BUCHAUFMACHUNG
Ein "legendärer" Hingucker ist das Werk ganz bestimmt. Mit dem rauen weißen Umschlag, der goldenen, erhabenen Schrift und dem Zeichen der Republik kann man eigentlich nicht dran vorbeigehen. Das violette Lesebändchen passt wunderbar zur Farbe des Untertitels und des Autorennamens. Die Übernahme der Hauptbestandteile des Originalcovers war die beste Entscheidung - wunderschön!
MEINE MEINUNG
Hypes um Bücher, wie auch bei "Legend", machen mich grundsätzlich skeptisch. Denn oftmals steckt nicht so viel dahinter wie man meinen könnte. Dennoch sollte man sich vor dem Urteil immer eine eigene Meinung bilden, weshalb ich mir das Buch nicht entgehen lassen konnte. Letztendlich muss ich aber tatsächlich sagen: Legendär ist etwas anderes.
Marie Lus Dystopie ist, relativ ungewöhnlich für das Genre, aus zweierlei Sichten geschrieben. Day und June unterscheiden sich in den abwechselnd erzählten Kapiteln aber nur unwesentlich. Ohne die Namen über den einzelnen Abschnitten hätte ich wohl oftmals nicht gewusst, wer grade spricht. Der Schreibstil ist einem Jugendroman angepasst und weiß durch die Beschreibungen der für uns fremden Welt zu überzeugen, besitzt ansonsten aber nur eine Besonderheit: Dass June in ihren Passagen innerhalb von Klammern auf bestimmte Details eingeht und diese dann, besonders in aufgeregten Situationen, hinunterrattert. Dies gibt einen guten Einblick in ihre Psyche und wie sie versucht, sich selbst zu beruhigen.
Weiter erscheinen die Protagonisten allerdings hauptsächlich austauschbar. Day ist keiner dieser männlichen Charaktere, die man gern mal in der Wirklichkeit treffen würde, sondern kann sich offensichtlich nicht zwischen leichtem Macho-Gehabe, Fürsorge für seine Familie und unglaublich schneller Gefühlsentwicklung entscheiden. Zudem war ich mir nicht sicher, wie er es durch seine Rechtschaffenheit zu einem solchen Verbrecher hat schaffen können...June überzeugt da schon ein wenig mehr. Sie liebt ihren Bruder und ist daher verständlicherweise voller Hass auf den Mörder dessen. Sie wirkt zwischenzeitlich recht kalt, was aber nachvollziehbar ist, und hat aufgrund ihrer Herkunft auch einige Zweifel an Days Geschichte. Im Laufe der Handlung macht sie eine glaubwürdige Wandlung durch, bleibt aber dennoch nicht durch viele Eigenheiten im Gedächtnis. Allerdings konnte ich es einer 15jährigen einfach partout nicht abnehmen, Elite-Soldatin und von allen gefürchtet zu sein...
Thomas, ein Freund ihres Bruders, ist vielleicht die vielschichtigste Figur im ganzen Buch, und das sagt schon etwas aus, denn auch ihn könnte man mit Leichtigkeit ersetzen. Seine Skrupellosigkeit und vor allem sein fast schon wahnhaftes Befolgen der Befehle machen ihn zu einem recht interessanten Charakter. Die Gründe für sein Verhalten werden allerdings nicht komplett klar, obwohl an dieser Stelle noch viel Spielraum gewesen wäre. Andere Nebenfiguren wie der nur wenig auftauchende Bruder von Day oder das Waisenmädchen Tess bleiben blass und scheinen als Lückenfüller zu fungieren, was für den Leser äußerst schade ist.
Auch die Liebesgeschichte zwischen Day und June geht so unglaubwürdig schnell, dass ich bei dieser kein bisschen mitgerissen wurde. Auf Seite 135 begegnen sie sich zum 1. Mal, auf Seite 167 folgt schon eine wilde Knutscherei und sie haben bereits herausgefunden, dass sie sich unheimlich attraktiv finden und ineinander verliebt sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in einem Buch schon einmal einer schnelleren Gefühlsentwicklung beiwohnen "durfte" und dementsprechend genervt war ich auch. Hier hätte sich eindeutig viel mehr Zeit gelassen werden müssen! Interessant ist dagegen, dass diese Dystopie vollständig auf die Details verzichtet, wie es zu dem neuen System überhaupt kam. Dies verhindert einerseits, dass sich mit zu vielen Informationen aufgehalten und der Fortschritt der Geschichte verlangsamt werden kann, andererseits wären wenigstens ein paar Aspekte schön gewesen. Das wird hoffentlich in den weiteren Bänden nachgeholt.
Die Autorin schafft es dafür, den Leser durch Cliffhanger an den Enden der Kapitel und einige Action zu fesseln. Auch die aufzudeckenden Geheimnisse tragen dazu bei, allerdings können nur wenige davon überraschen. Dafür hat man zu viel davon einfach schon gelesen - die das Volk unterdrückenden Widersacher, ein böses Oberhaupt, ein Mörder in den eigenen Reihen...Dennoch, spannend ist es bis zum Ende, während langsam die Rebellion in Gang kommt und eine Flucht geplant werden muss. Diese ist wunderbar zu verfolgen, besonders durch die Hindernisse, die sich den Figuren in den Weg legen. Dass das Ganze aber nur durch eine arg weit hergeholte Heldentat einer Person, die man kaum kennen lernen konnte, gelingt, konnte mich nicht überzeugen. Dennoch: Potenzial für die Nachfolger ist da. Vielleicht gelingt es Marie Lu ja dann, mich für das Buch zu gewinnen und nicht nur für die Idee eines Filmes dieser Art. Denn ich werde das Gefühl nicht los, dass das Skript in diesem Bereich besser aufgehoben gewesen wäre...
FAZIT
"Legend" war für mich leider kein legendäres Leseerlebnis, eher ein mittelmäßiges. Dafür wird dem Leser hier einfach zu wenig Neues präsentiert. Die Figuren sind oft austauschbar, die Liebesgeschichte wirkt gehetzt und kann nicht mitreißen und das Ende ist seltsam einfallslos. Ich möchte zwar wissen, wie die Rebellion weitergeht - aber Priorität hat dies nicht. 3 Punkte!