Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Midwich ist ein abgelegenes kleines Dorf in Südengland, das aus sechzig Wohnhäusern, einem Landsitz, Kirche, Rathaus und einer staatlichen Forschungseinrichtung besteht. Am Abend des 26. September 195? landet ein UFO auf dem Friedhof und versetzt alle Lebewesen im Umkreis von einer Meile für einen Tag in Tiefschlaf. Danach verschwindet es ungesehen. Bald darauf stellen sämtliche jüngeren Frauen des Ortes fest, dass sie schwanger sind.
Für Gordon Zellaby, alternder Schriftsteller und Besitzer von Kyle Manor, gibt es keinen Zweifel, dass ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen besteht und dass irgendjemand die Frauen von Midwich als Leihmütter missbraucht. Dessen ungeachtet überzeugt Zellaby seine Gattin Angela, den Dorfpfarrer sowie den Landarzt, ihm dabei zu helfen, die Bevölkerung des Dorfes zu einer Solidargemeinschaft zusammenzuschweißen und möglichst wenig Gedanken daran aufkommen zu lassen, was für Wesen da in den Bäuchen der Frauen heranwachsen. Fast wider alle Erwartung gelingt es, die Stimmung in Midwich zu beruhigen und die ganze Geschichte vor dem Rest der Welt geheim zu halten. Letzteres ist dem Wirken des Militärischen Abschirmdienstes zu verdanken, der in Gestalt von Colonel Bernard Westcott bereits vor Ort ist, als das UFO noch die Gräber neben der Kirche plattdrückt. Später wird sich zeigen, dass der Geheimdienst zu diesem Zeitpunkt schon seit Tagen Kenntnis von einem fast identischen Vorfall in einem Dorf der Sowjetunion hatte.
Im Sommer des folgenden Jahres werden 61 menschlich aussehende "Kuckuckskinder" mit goldenen Augen und gold-blondenem Haar geboren - die meisten von ihnen in Midwich. Einige Mütter entbinden in anderen Landesteilen und werden innerhalb weniger Wochen durch eine rätselhafte Geisteskraft der Babys dazu gezwungen, in das Dorf zurückzukehren. Zellaby verfolgt die Entwicklung der Babys und findet nach einem Jahr heraus, dass diese nicht nur Menschen ihren Willen aufzwingen, sondern dass außerdem auch alle Kinder gleichen Geschlechts ständig geistig miteinander verbunden sind. Zeigt man etwas einem Jungen, wissen es sofort auch alle anderen; gleiches gilt für die Mädchen.
Als die Kuckuckskinder acht Jahre alt sind, kommt es innerhalb weniger Tage zur Katastrophe. Mittlerweile leben die Kinder, die das Aussehen von Sechzehnjährigen haben, in der zu einer Schule umgebauten ehemaligen Forschungseinrichtung, wo sie unter anderem auch von Gordon Zellaby unterrichtet werden. Dann merken sie, dass in der Sowjetunion ihre Artgenossen mittels einer Atomrakete ausgelöscht wurden. Die Kinder erklären den Menschen offen den Krieg und reagieren auf jeden Ansatz einer möglichen Bedrohung mit mörderischer Entschlossenheit.
John Wyndhams Roman wurde bisher zweimal unter dem Titel "Das Dorf der Verdammten" verfilmt: zuerst 1960, relativ nah an der Vorlage, von Wolf Rilla mit George Sanders in der Hauptrolle; dann noch einmal, amerikanisiert und politisch korrekter, 1995 von John Carpenter. Wer George Sanders in der Rolle des Gordon Zellaby gesehen hat, kann sich in etwa ausrechnen, wie der Roman enden wird. Was diesen Film bei allen Ähnlichkeiten aber deutlich vom Roman unterscheidet, ist die Atmosphäre. Wyndham geht es kaum um Dinge wie Spannung oder Nervenkitzel, sondern um Common Sense und eine beherrschte, Gefühlsausbrüche vermeidende Lebensart, die mir genauso "old-fashioned" wie "very British" vorkam. Vordergründig versuchen in den "Kuckuckskindern" Außerirdische, die Welt zu unterwerfen. Eigentlich geht es aber darum, wie sich gebildete britische Männer aus der (oberen) Mittelschicht in Extremsituationen verhalten. 61 Frauen tragen neun Monate lang ein unbekanntes Wesen in sich und müssen dann miterleben, wie dieses Kind ihnen immer fremder wird. Wyndham interessiert diese Perspektive kaum. Nur an einer Stelle darf Zellabys junge Frau Angela (die zu ihrem Glück kurz v o r der UFO-Landung schwanger geworden ist) eine halbe Seite lang auf die Not der Frauen eingehen. Ansonsten sitzen Männer - gern bei einem Whisky oder einem guten Essen - zusammen und diskutieren, wie sie die emotional erschütterten werdenden Mütter dazu bringen können, die Fassung zu bewahren, sich moralisch anständig zu verhalten und den Föten/Kindern eine Chance zu geben.
Wyndhams Hauptcharaktere neben Zellaby sind Colonel Bernard Westcott sowie Westcotts Kriegskamerad Richard Gayford, ein Neubürger von Midwich und Erzähler des Romans. Richard Gayford erzählt das Geschehen im Rückblick. Dabei bleibt seine Haltung immer vernünftig, unaufgeregt. Zu Beginn, als er die Historie des Ortes zusammenfasst und dann beschreibt, was sich am 26. September vor dem Beginn des Tiefschlafs alles in Kyle Manor zutrug, ist sein Tonfall sogar ironisch-humorvoll. Man könnte denken, man lese gerade eine Komödie von P. G. Wodehouse. Schon auf Seite 20 ist klar, dass es - wie in allen Katastrophenromanen Wyndhams - nicht zum Allerschlimmsten kommen wird. Im Folgenden zeigt Gayford sich teils als nüchterner Chronist der Geschichte (sämtliche Todesfälle während der Tiefschlafphase sind für ihn nur eine statistische Größe) teils räumt er Gordon Zellabys gelehrten Ausführungen jeden erdenklichen Raum ein. Da wird dann das Verhalten der Dorfbewohner psychologisch analysiert, moralische Probleme erörtert und es wird über H. G. Wells' "Der Krieg der Welten" monologisiert. Kurz: Nicht nur Zellaby ist redselig - das Buch ist es auch, weil es sich zu offensichtlich ganz auf die Seite seiner Hauptperson stellt. Hätte ich nicht vorgehabt, diese Rezension zu schreiben, hätte ich mir die Seiten 100-200 erspart und wäre gleich zum Finale übergegangen. Dieses hat dann aber auch mir Respekt für die vom Erzähler idealisierte Grundhaltung des todkranken Gordon Zellaby abgenötigt: Große Gefühlsausbrüche sollte man wo möglich meiden. Man tut halt, was man tun muss, und macht kein großes Aufheben darum.
Noch ein Bild zum Schluss, das sich mir eingeprägt hat: Kurz vor Ende des Buches sitzt Colonel Westcott mit zwei Kindern (die überhaupt nicht monströs aussehen und im Alltag sehr gesittet sind) auf einer Straßenböschung und diskutiert mit ihnen. Schließlich philosophiert eines der Kinder lehrreich über den hohen Wert von Humor und Mitleid, bricht ab, lächelt und sagt: "Das war ein echter 'Zellaby'!"