Serie / Zyklus: Shadowrun, Band 43 Besprechung / Rezension von Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Kopf und Zahl: zwei Seiten einer Medaille. Hier Alma Wei, Sicherheitschefin und "Konzernschnalle", ausgestattet mit modernster Hightech-Cyberware und überragenden körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Dort Night Owl, die altruistische Runnerin mit der Tendenz zur Verschwendung, deren Rüstzeug ihr Enthusiasmus und ihre Intelligenz sind.
Als Almas Freund und Kollege "Graues Eichhörnchen" aus ihrem Verantwortungsbereich entführt und ermordet wird, deuten die Umstände des Verbrechens, insbesondere der am Tatort gefundene "genetische Fingerabdruck", auf sie selbst als Täterin hin. Vom Konzern "Pacific Cybernetics Industries" gefeuert und damit der gewohnten Rückendeckung und Ressourcen beraubt, muss sie die wahre Mörderin finden. Für die Ermittlungen bleiben ihr allerdings nur 72 Stunden Zeit, da nach Ablauf dieser Frist eine implantierte Schädelbombe ihren Kopf in etwas sehr matschiges verwandeln wird; unglücklicherweise ist dieser Sprengkörper untrennbarer Bestandteil jener Headware, die ihr von "Graues Eichhörnchen" im Zuge eines medizinisch-psychologischen Experimentes "spendiert" wurde, d. h. er kann nicht operativ entfernt, sondern mit Glück lediglich entschärft werden. Almas Hypothese: Die Täterin ist wegen des identischen Genoms - wie sie selbst - eines der noch lebenden weiblichen Mitglieder von "New Horizons" "Superkids", einem vor langer Zeit gescheiterten Experiment zur Züchtung von Übermenschen. Auf der Suche nach der Mörderin muss auch Alma in die Schatten eintauchen.
Derweil schlägt sich Night Owl mit ähnlich großen Problemen herum: Weil sie den Auftraggeber ihres letzten Runs gelinkt hat, fordert dieser "Mr. Johnson" nun nachdrücklich Wiedergutmachung. Sie soll eine Jadestatue samt geheimnisvollem Inhalt stehlen. Da es sich aber bei "Mr. Johnson" um einen Drachen handelt, kommt ein verpatzter Run erst gar nicht in Betracht. Night Owl gelingt zwar der (über)lebenswichtige Raub, was aber ungünstigerweise weitere Drachen auf den Plan ruft, die ebenfalls ein reges Interesse am Inhalt der Statue an den Tag legen.
Schon bald ermittelt Alma, dass Night Owl die gesuchte Mörderin ist; und als beide Frauen während ihres Schattenläuferdaseins dieselbe Zielperson - einen Mr. Kageyama - ins Visier nehmen müssen, nähern sich die Lebenswege beider Frauen unaufhaltsam an, um in der Erkenntnis zu kumulieren: Alma ist Night Owl. Doch damit sind die Probleme in Form der drei Drachen und der Schädelbombe noch nicht gelöst und auch Night Owls Mordmotiv liegt noch im Dunkeln.
Kopf oder Zahl ist ein schwacher Roman, der sich in weiten Teilen wie eine lustlos geschriebene Auftragsarbeit liest. Der Autorin gelingt es scheinbar ohne Mühe, den Leser in kürzester Zeit mit jedem gängigen Shadowrun-Klischee zu konfrontieren: coole schwarz gekleidete Runner mit "coolen" Namen wie Cybergirl, Tiger Cat, Night Owl (Anm.: Es bleibt ein Geheimnis des Übersetzers, weshalb "Graues Eichhörnchen" oder "Komische Augen" eingedeutscht wurden und damit noch lächerlicher klingen), der obligatorischen coolen Ares Predator, mit Super-Body- und -Headware und (selbstverständlich) überragender Intelligenz. Womit ich schon beim zweiten Kritikpunkt bin: Shadowrun-Neueinsteiger werden Probleme haben, die szenarioeigene Terminologie und den generellen Background der Story zu verstehen, sodass für diese Leser die Geschichte gleichsam "in der Luft hängt". In diesem Zusammenhang ist es zu bedauern, dass der Heyne-Verlag einmal mehr aus Kostengründen auf das früher obligatorische Glossar im Anhang, das den Neulingen zumindest einen groben Überblick über die Gegebenheiten der Jahre um 2060 A.D. geben könnte, verzichtet hat.
Positive Aspekte des Romans und hier insbesonders die Idee, eine schizophrene "Konzernschnalle" als Runnerin ihr eigenes Alter ego jagen zu lassen, das sich mit drei (!) Drachen auf einmal anlegt, ersticken leider an den Ungereimtheiten, logischen Brüchen und offenen Fragen, die solchen Szenarien dann innewohnen, wenn Autoren/innen nicht engagiert bei der Sache sind.
Ob man den asiatischen Background der Story positiv oder negativ bewertet, hängt entscheidend von den eigenen Präferenzen ab. Mir persönlich geht insbesondere die esoterische I-Ging-Deutelei ein wenig auf die Nerven, weil mir als eher rationalistischem Leser jegliche Beziehung dazu fehlt. Doch wie gesagt: Das ist Geschmacksache.
Als wirklich gelungen möchte ich nur den deutschen Titel des Buchs bezeichnen, da er einerseits treffend die Obsession Almas, das I-Ging-Orakel befragen zu müssen, reflektiert und andrerseits Bezug auf ihre schizoide Persönlichkeitsstruktur nimmt. Leider ist ein guter Buchtitel allein etwas wenig.
Fazit: Legt man auf eine logische Story und eigenständige Charaktere jenseits aller Klischees keinen gesteigerten Wert, so kann man dem Roman wegen des Erzähltempos doch ein gewissen Unterhaltungswert abgewinnen. Ansonsten sollten sich nur Shadowrun-Hardcore-Fans das Buch kaufen, was bei einen Preis von 6,95 Silberlingen allerdings kein allzu großes Opfer darstellen dürfte.
Kopf oder Zahl - Die Rezension von Erik Schreiber
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