Reihe: Die Knochentrilogie, 1. Band Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Der Roman erinnert mich ein wenig an den Film “Flucht ins 23. Jahrhundert“ - und an das Lebensmittel Soylent Green aus Richard Fleischers gleichnamigem Film. Das liegt vor allem daran, dass Peadar Ã’ GuilÃn das Element der Menschenjagd und des Menschen als Lebensmittel einsetzt. Er lässt die Menschen in seiner Welt jagen, gejagt werden und natürlich auch gegessen. Anders als in den genannten Filmen gibt es Fremde, die über eine überlegene Technik verfügen und die Menschen eher als eine Art Unterhaltungsmaterial für sich betrachten. Die Beobachtung geschieht mit metallenen Kugeln, die sich durch die Luft bewegen, sehr zum Erstaunen der dort lebenden Menschen. Die Beobachter sehen Menschen, die unter der Kuppel, wohl jenseits des Dachs, leben, sehen, wie die Menschheit in eine Art Steinzeit - Neandertalzeit zurückgefallen ist. Die Menschen leben in kleinen Gruppen in den Ruinen einer großen Stadt. Sie jagen ihr Wild mit Steinspeeren und Schleudern. Nur dass das Wild in der Hauptsache andere Menschen sind, in der Regel Menschen aus anderen Stämmen und Gruppen. Manchmal tauscht man Freiwillige, die zu alt oder krank sind, um von der eigenen Sippe durchgefüttert zu werden. Die Arbeitsweise ist klar geregelt. Die Männer sind Jäger und Sammler, die Frauen für das Heim zuständig, Kinderaufzucht und Essensbereitung. Über das Dach kommt Licht und Flüssigkeit herein. Zumindest ist auf diese Weise das Über-Leben gesichert. Für den Leser wird schnell klar, dass die Menschen nicht freiwillig unter der Kuppel leben. Sie sind dorthin verbannt worden oder dorthin geflohen. Ein Raus gibt es nicht mehr.
In dieser Welt lebt der Mensch namens Stolperzunge, weil er stottert. Er ist trotz seiner sprachlichen Behinderung klüger und mutiger als andere seiner Sippe. Selbst sein Bruder Wandbrecher muss das anerkennen, nutzt ihn jedoch ständig aus. Als eine Gruppe der Panzerrücken Stolperzunge und Wandbrecher in die Enge treiben, schafft es Stolperzunge, einen Fluchtweg zu finden. Er selbst kommt nur mit sehr viel Glück aus der bedrohlichen Lage heraus. Die beiden Brüder werden immer mehr zu Rivalen, vor allem weil Stolperzunge erfahren muss, dass ihn sein Bruder schmählich im Stich ließ. Als Wandbrecher sogar das Mädchen Moosherz heiratet, auf das Stolperzunge ein Auge geworfen hatte, ist das Zerwürfnis endgültig. Während Wandbrecher Häuptling wird, ist Stolperzunge für ihn nur ein nützlicher Helfer. Das ändert sich, als eines Tages die Frau Indrani "vom Himmel fällt" und Wandbrecher sie ebenfalls für sich beanspruchen will. Indrani und Stolperzunge kommen sich näher und fliehen schließlich. Auf der Flucht treffen sie auf neue Wesen, die sehr viel gefährlicher sind als andere Menschenstämme. Indrani erklärt Stolperzunge, sie müsse wieder hinauf aufs Dach, weil sie Wissen in sich trage, dass sie mit anderen außerhalb des engen Raumes unter dem Dach teilen wolle, ja sogar müsse, um deren Überleben zu gewährleisten.
Dies ist die Geschichte eines Bruderpaares, wie es seit Remus und Romulus in der Literatur immer wieder auftritt. Ja, man kann sogar zu Kain und Abel zurückgehen, um auf die wirklichen Wurzeln zurückzugreifen. Der eine kann mit dem anderen nicht, braucht ihn aber. So entsteht mit der Zeit eine Abhängigkeit, die erst durch ein Ereignis von außen zusammenbricht. In diesem Fall ist das Ereignis die Ankunft einer fremden Frau. Es ist das erste Mal, dass jemand aus einer anderen Kultur Verständnis für den anderen aufbringt. In der Regel wird das Miteinander so gehandhabt, dass die Gruppe, Sippe für einander da ist, der Einzelne aber nichts gilt. Daher ist eine Verständigung zwischen den unterschiedlichen Gruppen und Kulturen in diesem Habitat gar nicht möglich. Und von außen werden sie beobachtet wie intelligente Versuchstiere. Dies ist das erste Buch, das von Peadar Ó GuilÃn in Deutschland veröffentlicht wird. Es stellt den ersten Band einer Trilogie dar. Ich persönlich finde an der Erzählung ein paar schöne neue Seiten, die sich in einer Erzählung wiederspiegeln, die nicht zu den üblichen ‚actiongeladenen’ Erzählungen gehört. Im Gegenteil, sie ist wesentlich ruhiger angelegt, lebt von den im Kopf des Lesers erzeugten Bildern und den persönlichen Auseinandersetzungen. Dieser SF-Roman gehört für mich eindeutig zu den Geschichten, die man als social fiction bezeichnet. Wie es in den weiteren Bänden aussehen wird, darüber kann man nur spekulieren. Ich gehe davon aus, dass die Auseinandersetzung im Habitat nichts anderes ist als die Auseinandersetzung außerhalb der Ruinenstadt, nur in kleinerem Maßstab.