Serie: Darkchild-Trilogie, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Nach dem Großen Exodus von der Erde muss ein Raumschiff auf dem Planeten Brakrath notlanden. Um in dieser Welt überleben zu können, passen sich die Menschen in einem langen Prozess an das raue, kalte Klima an. Vor allem lernen sie, alljährlich monatelang Winterschlaf zu halten. Einige Frauen entwickeln außerdem ganz besondere Fähigkeiten: Zuerst bildet sich eine Kaste der Wächterinnen heraus, die eine empathische Beziehung zu einer pferdeähnlichen Spezies Brakraths, den Rotmähnen, entwickeln. Später treten aus ihren Reihen die ersten Barohnas hervor, auf die sich bald die gesellschaftliche Ordnung der Menschen ausrichtet. 10000 Jahre nach der Ankunft existieren etwa vierhundert Städte, jeweils mit einem Palast für ihre Barohna, ohne die die Orte zum Untergang verurteilt wären.
Auf Brakrath gibt es die sogenannten Sonnensteine, die die unglaubliche Fähigkeit besitzen, in fast unbegrenztem Ausmaß Sonnenenergie zu speichern. Jedes Jahr wandern die Barohnas in der kalten Jahreszeit in die Berge. Monate später kehren sie dann in ihre Städte zurück, nehmen die Energie der riesigen Sonnenstein-Felsen in sich auf und geben sie kontrolliert auf das umliegende Land ab. Der Winter endet dadurch viel früher, als es sonst der Fall wäre, und für die Menschen verlängert sich die Wachstumsperiode. Sie gewinnen ausreichend Zeit, ihre Äcker zu bestellen und vor dem nächsten Frost die Ernte einzufahren.
Die elfjährige Khira ist die bisher siebte Tochter der Barohna Tiahna. Sechs erwachsene Schwestern hat sie nach der Frühjahrsschmelze in die Berge ziehen sehen, um sich dort, nur mit einem Spieß bewaffnet, einem der furchterregenden Raubtiere des Planeten zu stellen. Diese Extremsituation des Kampfes auf Leben und Tod ist für "Palasttöchter" der traditionelle Weg, in ihnen die Metamorphose einzuleiten, die "ihr Herz zu Stein werden lässt" und ihnen die Kräfte einer Barohna verleiht. Sechs Töchter Tiahnas haben die Probe auf sich genommen, doch überlebt hat sie keine. Als nun der Winter wieder einsetzt, stehen Khira einsame Monate im Palast bevor. Als Tochter einer Barohna wird sie keinen Winterschlaf halten, sondern allein ein riesiges Schloss bewohnen.
Zum ersten Mal ganz auf sich gestellt, durchlebt Khira traurige Wochen, bis sie eines Nachts kurz das Brüllen eines großen Raumschiffs über sich hört. Als sie daraufhin den Palast durchsucht, findet sie im Wachturm einen dunkelhäutigen und völlig orientierungslosen Jungen in ihrem Alter. Khira bemerkt bald, dass der namenlose Junge einer leeren Hülle ähnelt, die aber schnell alles erfasst, was man ihr erzählt. Khira macht sich zum Lehrer von "Dunkeljunge" und räumt ihm den Platz in ihrem Herzen ein, den bis zu ihrem Tod im Frühling ihre Lieblingsschwester Alzaja ausgefüllt hatte.
Dass sie manchmal den Eindruck hat, es bei Dunkeljunge mit zwei Personen zu tun zu haben, verdrängt Khira anfangs. Später im Winter jedoch kehrt eine Forschergruppe vom Planeten Arnim von einer Exkursion in den Palast zurück, dessen Westflügel sie seit vierzehn Jahren bewohnt. Auf den Jungen reagieren die Arnimi brüsk ablehnend. Khira erklären sie unumwunden, es sei das Beste, Dunkeljunge hinaus in den Schnee zu jagen. Er sei ein "Rauthimage", eine Art schizophrener Klon, wie ihn die Benderzic hundertfach in der Galaxis aussetzen, um die Zivilisationen und Bodenschätze fremder Welten auszuspionieren und dieses Wissen anschließend an die meistbietende Kolonialmacht weiterzuverkaufen. Khira will den Klon nicht töten, doch wie wird ihre Mutter Tiahna bei ihrer Rückkehr entscheiden? Und was wird aus Khira selbst, wenn sie sich der Probe zur Barohna unterzieht?
Inhaltlich weist Kind der Dunkelheit Eigenschaften auf, die oft mit dem Begriff "Science Fantasy" verbunden werden: Der wichtigste Handlungsort des Buches ist eine vorindustrielle Feudalgesellschaft, in der einige Menschen besondere Fähigkeiten besitzen, die zwar rational begründet werden, aber so außerordentlich sind, dass sie auf den Leser wie Magie wirken. Durch ihre Fähigkeit, ungeheure Mengen an Energie aufzunehmen und wieder abzugeben, rücken die Barohnas in die enge Nachbarschaft klassischer Superhelden.
Van Scyocs Roman ist in mehrerer Hinsicht zweigeteilt: Es gibt zwei Haupthandlungsorte und zwei Hauptcharaktere - einer davon, Dunkeljunge, mit zwei grundverschiedenen Persönlichkeiten. Die Ereignisse der ersten Romanhälfte sind in und um Tiahnas Stadt angesiedelt, während spätere Kapitel auf den Steppen des Südens spielen, wohin die Wächterinnen im Herbst ihre Rotmähnenherden treiben. Mit dem Schauplatz ändert sich auch die Atmosphäre des Buches. Offenes Grasland ersetzt düstere Palastgänge, rote und (geheimnisvolle) weiße Pferde treten an die Stelle mörderischer Raubtiere. Dabei wird das Erzähltempo immer langsamer. Während es in der ersten Romanhälfte noch einiges an äußerer Handlung gibt, erforscht der zweite Teil mehr das Innere der Protagonisten. Sowohl Khira als auch Dunkeljunge sind Kinder, für die es lebensnotwendig ist, ganz schnell erwachsen zu werden. Sechzehn der insgesamt siebzehn Kapitel werden aus der Sicht eines der beiden erzählt, wobei vor allem Khiras (neun) Kapitel Eigenschaften eines Bildungsromans besitzen: Sie steht unter dem Druck, die Prüfung zur Barohna zu schaffen und vielen Menschen dadurch eine Chance für die Zukunft zu geben. Und sie muss lernen, dass man sich keinen Menschen/Freund nach seinen Wünschen 'backen' kann. Dunkeljunges Kapitel haben zwei Erzähler: einmal den tapferen, freundlichen Jungen - und dann den "Lenkenden", den konditionierten Teil seines Bewusstseins, der für die Benderzic spioniert und einen Abnutzungskrieg gegen sein anderes Ich führt.
Van Scyocs Roman macht einige Zugeständnisse an sein Zielpublikum. Vor allem die Wächterinnen, die sich in ihre Rotmähnen, deren Gefühle und Befindlichkeiten einfühlen können, wurden sicher mit Blick auf die jüngere weibliche Leserschaft in den Roman eingefügt. Im zweiten Band der Trilogie werden sie eine noch viel größere Rolle spielen. Gleichzeitig gelingt es der Autorin jedoch, das Verhältnis ihrer Hauptcharaktere zueinander realitätsnah zu beschreiben und Kitsch strikt außen vor zu halten. Van Scyoc macht inhaltlich mehrere Schritte in Richtung Märchen und behandelt doch auf ernsthaftem Niveau Themen wie die Mechanismen des Kolonialismus und den Tod.
Was mich (neben den vielen galoppierenden Pferden) etwas gestört hat war, wie abrupt die Handlung nach dem Finale abbricht. Sicher sind die wichtigsten Fragen beantwortet (wenn auch nicht alle Probleme gelöst). Da Band 2 und 3 der Trilogie jedoch jeweils andere Hauptpersonen haben werden, hätte mir ein langsamerer Abschied sehr gefallen.