Titel: Kaltgeschminkt |
Inhalt:
Harris McLiod lernt das Handwerk des Bestatters bei dem zynischen Miller, wobei er sich unterbezahlt fühlt und darüberhinaus auch nicht viel profitiert. Nicht einmal als Nebenerwerbs-Callboy macht er sich gut, genauso wenig, wie es mit der eigenen Freundin klappt. Und dann legt er sich in suizidaler Absicht auch noch mit bekannten Schlägern im Pub an, die Kleinholz aus ihm machen. Im Moor entsorgt wie Müll erwartet Harris seinen Tod durch Ertrinken. Dieser ist ihm jedoch nicht beschieden, denn er wird durch drei seltsame Gestalten gerettet und vor die Wahl gestellt, in die Hölle zu wandern oder ihnen zu dienen, indem er die Nachfolge Millers antritt. Tatsächlich findet er seinen Arbeitgeber ermordet in dessen Institut vor. Fortan übt Harris in einer eigenen Werkstatt dieses Handwerk aus, wohl so hervorragend, dass ihm auch seltsame Aufträge angeboten werden. Der merkwürdigste ist jedoch mit einer Reise nach Hamburg verbunden, wo er wieder von seinen drei Rettern zu hören bekommt. Er soll nämlich zusammen mit dem indolenten James Beastly einen grausam erschlagenen Kinderschänder für eine offene Aufbahrung herrichten, aber an dieser Aufgabe scheitern die besten Tricks.
Beurteilung:
Das Buch beginnt mit einem wikipedia-Artikel. Kein Witz. Nach der einleitenden Danksagung (die der Autor des lieben Lesers wegen doch besser einzeilig lassen sollte oder spannungserhaltend ans Ende des Buches hängt), des Weiteren nach zwei Seiten Literaturzitaten wird endlich seitenweise Theorie über irische Fabelwesen abgehandelt. Jetzt, denkt sich der Leser auf Seite 10, wird es spannend. Aber weit gefehlt, jetzt kommt der Prolog. Dieser nimmt zum Glück nur eine weitere Seite in Anspruch. Und dann … in der ersten Person Präsens, adjektivlastig und auktorial schnoddert distanziert ein in seine Depressionen verliebter Erzähler vor sich hin. Wie nicht anders zu erwarten bei einem Debütroman, dessen Autor sich an die schwierigste Form des Erzählens wagt, hapert es des Öfteren in den Zeiten, sodass es schwer fällt, die korrekte Reihenfolge der Ereignisse zu erfassen. Tatsächlich blätterte ich mehrmals zurück, weil ich den Eindruck bekomme, etwas ausgelassen zu haben.
Der Protagonist versucht verschiedene Selbstmorde, charakterisiert sich weinerlich, erfährt unerwartet weibliche Aufmerksamkeit und versucht vergeblich, alle Annäherungsversuche seiner Umgebung abzuschmettern. Auch das Ende gibt dem Geschehen keinen wirklichen Sinn. Ratlos bemerke ich, dass die Autorin keinerlei Lösungsmöglichkeit anbietet, es nicht einmal für den Protagonisten zu einer befriedigenden Veränderung kommt. Die botanische Recherche wirkt seltsam. Nein, ich würde niemals eine Tollkirsche mit einer Brombeere verwechseln.
Was mir fehlt, ist der Grusel. Hatte ich nicht einen Horror-Roman erworben? Nicht ein Schauder rinnt mir den Rücken herab, nicht ein einziges Mal fahre ich beim Lesen zusammen, wenn Regen und Wind meine Läden klappern lassen. Nicht einmal die Beschreibung des Leichnams berührt mich sonderlich, weil sie so emotionslos vorgetragen wird. Vielleicht liegt es an der Perspektive oder an den vielen Rechtschreibfehlern, die das Lesen anstrengend machen, vielleicht bin ich mittlerweile als Horror-Fan zu abgebrüht, aber am ehesten liegt meine Langeweile wohl daran, dass der Protagonist nur aus so großer Distanz geschildert wird. Über die elementaren Empfindungen von Temperatur oder Hunger hinaus finden nicht einmal Schmerzen oder die Lust einer Liebesnacht den Weg zum Leser, selbst Wut bleibt nur ein Wort aus der Feder des Autors.
Bei einem Roman aus einem Kleinverlag und dann gar einem Debüt bin ich zu vielen Abstrichen bereit und will gerne zugeben, dass dieser spezielle einfach nicht mein Beuteschema erfüllt, aber zumindest im Korrektorat dürfte hier noch einiges zu tun sein. Bitte diesen Tipp nicht übel nehmen: Man sollte einen Roman spannend anfangen. Die Autorin schreibt durchaus wortgewandt, doch vielleicht hätte sie sich für den Anfang an etwas Schlichteres wagen sollen.
Fazit:
Alles, was ich zu bemängeln habe, betrifft schriftstellerisches Handwerkszeug: wie man Spannung erzeugt, wie man glaubwürdig wörtliche Rede benutzt (keine Sternchen und Klammern!). Dieses kann man als Autor erwerben, was allerdings Zeit und Ehrgeiz kostet. Sprachgefühl, der gekonnte Umgang mit seinem Wortschatz, Inspiration – das kann man weder kaufen noch antrainieren. Genau das besitzt Rona Walter. Ich wünsche mir sehr, dass sie für ihr nächstes Buch ein einfacheres Thema sucht, sich in gebräuchlicheren Bahnen bewegt, um ihre Talente zu üben. Davon verspreche ich mir viel. Und auch der junge Verlag soll sich nicht entmutigen lassen. Er befindet sich auf dem richtigen Weg und findet sicherlich eine lukrative Nische. Bitte macht weiter.
Sorry für den Verriss, aber manchmal soll auch das verkaufsfördernd sein.