Interview mit Will Elliott

Ein Interview von Erik Schreiber mit Will Elliott.
Hier geht es zur Biographie und Bibliographie von Will Elliott.

Erik Schreiber:
The Pilo Family Circus"ist dein Debütwerk. kam die Idee dafür?

Will Elliott:
Es war nicht nur einfach eine Idee, sondern mehr das Ergebnis auf der Suche nach einem guten Setting für eine Geschichte über eine Art von "Unterwelt". Ich habe nach einem Weg gesucht, unsere Welt mit einer Phantasiewelt zu kombinieren - vielleicht einer dunkleren, die übernatürlich mit unserer verbunden ist. Ein Zirkus war nur ein Setting aus einer Liste von Möglichkeiten. Also zeichnete ich ein paar Skizzen von Clowns, Akrobaten und Ähnlichem. Die Zeichnungen der Clowns sahen so verrückt aus, dass ich jedem Charakter sofort eine Stimme zuordnen konnte und spürte, dass sie zu Spaßcharakteren wurden. Der Rest des Buches entstand durch einfache Fragen: "Wer ist dieser Charakter?", "Wo kommt er her, was treibt ihn an?" Aus irgendeinem Grund waren die Antworten immer einfach zu finden, und damit wuchs das Buch. Schließlich ging es darum, eine reale Person in diese Mischung zu werfen, um zu sehen, wie sie mit der Verschiebung der Realitäten umgingen.
Diesen Prozess habe ich bei all meinen Romanen und Romanversuchen benutzt. Das Gute dabei ist, dass man dieselbe Formel verwenden kann, aber jedesmal kommen andere Ergebnisse dabei heraus.

Erik Schreiber:
Du hast mit Jamie angefangen. Er ist ein "loser", denke ich. Warum ist er keine normale Person?

Will Elliott:
Ich werde zukünftig Charaktere nicht auf realen Personen basieren lassen, aber Jamie basiert auf meinem besten Freund, der sicherlich nicht gänzlich normal ist - er ist ein wenig exzentrisch. Jedes Detail seines Lebens zu dieser Zeit spiegelt sich in diesem Buch wieder, vom Haus über den Job bis zu der Beschreibung seines Äußeren. Er würde darüber lachen, wenn ich ihm sagte, welche Art Anerkennung er findet! Ich habe damals seine Erlaubnis eingeholt, um ihn als einen Charakter in dem Buch zu verwenden, aber ich bin mir nicht sicher, ob er gemerkt hat, dass es vielleicht eines Tages publiziert und in den Buchläden stehen wird. Jetzt ist es zu spät ...

Erik Schreiber:
Ich verstehe nicht, warum Jamie ein Clown sein muss. Warum suchen die Clowns ihn aus?

Will Elliott:
Das erste Treffen zwischen Jamie und den Clowns ist, scheinbar, Zufall. Und die Clowns, nachdem sie ihn getroffen haben, haben zu Anfang keine Intention, ihn zu rekrutieren - es ist nur Jamies Diebstahl dessen, was aus dem "Goshy", der Clownstasche, gefallen ist, der ihr Interesse erregt. Sie hatten zunächst vor, 'mit ihm eine Weile herumzuspielen, um ihn dann zu töten', wie sich Gonko ausdrückte. Aber währenddessen bemerkt Gonko eine Charaktereigenschaft bei Jamie, die für den Zirkus nützlich sein könnte. Es ist natürlich möglich, dass die Wahrsagerin (deren Kräfte das Schicksal manipulieren, indem sie 'eine Kette von Ereignissen' ins Rollen bringt) einige der möglichen Ausgänge spürte und die Clowns dorthin führte, damit sie Jamies Pfad kreuzten, auch wenn sie selbst Jamie nicht kennen konnte oder seine Clown-Persönlichkeit, die auftauchen würde, sobald Jamie der magischen Schminke ausgeliefert ist und die seine dunkle Seite hervorlocken würde.

Erik Schreiber:
Wenn Jamie seine Persönlichkeit wechselt (Jamie - Clown JJ - Jamie), ist das nicht sehr komplex zu schreiben?

Will Elliott:
Es ist nicht wirklich schwierig - es hieß einfach, einen weiteren Charakter einer (ohnehin schon sehr mannigfaltigen) Mischung hinzuzufügen. Hier half mir auch wieder mein Freund. JJ ähnelt ihm nämlich, wenn mein Freund stark betrunken ist - eine Verwandlung, die sehr beeindruckend ist. Er ist nüchtern ein friedlicher Zeitgenosse, aber wurde viele Male fast verprügelt, und scheint danach ehrlich nicht zu verstehen, warum der Türsteher, den er eben einen "fetten Bastard" genannt hat, ein Problem mit ihm hat. JJ war eine Art verzerrte Version dieses einseitigen Taumelns, aber ich hatte auch gehofft, dass der Leser sich selbst fragt: Wenn all deine schlechten Eigenschaften so in den Vordergrund gebracht würden und sie dein Handeln bestimmen, wie würde es dann sein, die weiße Schminke aufzutragen?
JJ's schrittweiser Abstieg von spaßiger Boshaftigkeit zum wahrhaften Bösen war nicht geplant - es passierte einfach, dass sein Geschmack sadistischer und verdorbener wurde, je mehr ihm auffiel, dass nichts sein Handeln beschränkte, dass ihn niemand aufhalten konnte.

Erik Schreiber:
In deinem Buch gibt es ein paar schockierende Szenen. Was würdest du zu Leuten sagen, die deinen Werken vorwerfen, sich auf schockierende Werte zu verlassen?

Will Elliott:
Ich glaube nicht, dass meine Arbeit sich einzig auf schockierende Werte verlässt, aber Schock ist ein zulässiges literarisches Werkzeug, und ich leugne nicht, es zu benutzen. Die Gewalt am Anfang des Buches hat den Beigeschmack von witzigem Slapstick und geht anschließend viel weiter, zu einem Punkt, wo wir nicht sicher sind, ob wir lachen sollten. Es hat etwas Verstörendes, wenn ein Clown einen anderen Clown mit einer Metallstange tötet, aber es hat auch etwas leicht Albernes Wenn ich es in einem Buch lese, kann ich darüber lachen, aber würde ich das im wirklichen Leben sehen, wäre das etwas gänzlich anderes. Wenn ein Fußballer während eines Spiels mit dem Fuß umknickt, kann ich mir nicht einmal die Wiederholung in Zeitlupe ansehen, aber aus irgendeinem Grund kann ich einen grausamen Mord beschreiben. Ich weiß nicht, warum.
Ich könnte auch fragen, warum man so etwas lesen möchte? Es gibt vielleicht dunkle Orte in unseren Gedanken und unserer Seele, die wir nie freiwillig aufsuchen würden. Einige Leute halten diese Kellertür geschlossen, andere öffnen sie und gehen dort gelegentlich hinunter. Ich gehe dort manchmal hinunter, und ich weiß nicht ganz, warum. Finstere Dinge faszinieren mich irgendwie, das haben sie wahrscheinlich schon immer, aber möchte ich nie zu lang in ihrer Nähe sein. Das Böse und das Dunkle zu kennen gibt einem vielleicht die Illusion, es scheinbar zu beherrschen, was einem etwas Trost spendet, auch wenn es nur eine Illusion ist.

Erik Schreiber:
Wenn Du die Chance hättest, in dein Buch zu einzutauchen. In welchen Charakter würdest du schlüpfen? Und warum?

Will Elliott:
Das ist eine schwierige Frage. Gonko scheint derjenige zu sein, der sich in seinem seltsamen, dunklen Milieu am wohlsten fühlt, und er genießt sogar allerlei Kämpfe, in denen er sich befindet. Ich vermute, ich wäre Gonko, der Boss der Clowns, obwohl ich eigentlich, von all dem, was im Buch beschrieben wird, möglichst fern bleiben möchte, einschließlich dem share-house am Anfang.

Erik Schreiber:
Empfindest du dich als Horror-Schriftsteller oder nur als Schriftsteller, der ein Horror-Buch geschrieben hat?

Will Elliott:
Ich halte mich eher für einen Schriftsteller "unorthodoxer" Phantasie, anstatt von Horror - dieses Buch ist nur zum Teil Horror. Die Bezeichnung Horror ist eine, mit der ich gut zurechtkomme, und ein paar meiner liebsten Autoren sind Horror-Schriftsteller, aber ich glaube nicht dass ich darauf begrenzt werde (auch wenn das nächste Buch ebenfalls einige dunkle Horrorpassagen enthält). In den bisherigen Novellen kamen immer übernatürliche Geräte vor. Zum Teil, weil es die Spanne der Erzähl-Möglichkeiten, die dem Schriftsteller zur Verfügung stehen, vergrößert. Meine Kurzgeschichten sind das, was man vielleicht "schrulligen Mainstream" nennen würde, in dem manchmal keine übernatürlichen oder phantastischen Gerätschaften verwendet werden. Ich mag es irgendwie, nicht zu wissen, was vielleicht als nächstes dabei herauskommt - das hält die Dinge interessant. Ich möchte nicht einer dieser Autoren werden, die einfach dieselbe Novelle in ihrer ganzen Karriere immer wieder neu schreiben.

Erik Schreiber:
Wie hat sich Dein Leben verändert, als "The Pilo Family Circus"veröffentlicht wurde?

Will Elliott:
Teilweise hat es sich zutiefst verändert, aber teilweise auch überhaupt nicht. Ich werde nicht auf der Straße erkannt. Ich fahre nicht in einem schicken Auto durch die Gegend. Ich gehe immer noch zur Arbeit für meinen Lebensunterhalt und vergnüge mich mit Sport an den Wochenenden. Es hat sich nicht wirklich viel verändert. Auf die eine Weise ist es erleichternd zu wissen, dass das Leben normal ist; dennoch, auf eine andere Weise, ist es enttäuschend. Ich versuche eher eine Reise zu genießen, als ungeduldig auf irgendein Fahrtziel zu warten. Und so wie davor, an das nächste Projekt zu denken ...

Erik Schreiber:
Wenn du in einem Zirkus arbeiten könntest, was für eine Rolle würdest du spielen?

Will Elliott:
Ich würde im Funhouse arbeiten und dort helfen, Leute zu erschrecken. Und ich würde das umsonst tun.

Erik Schreiber:
Liest Du mehr Phantastik und was ist das Beste, was Du gelesen hast?

Will Elliott:
Wenn Du mit Phantastik "Phantasie-Fiktion" meinst, dann müsste das Beste die "Gormenghast"-Trilogie von Mervyn Peake sein, dicht gefolgt von "Der Herr Der Ringe". Ich mag diese Bücher, weil sie einzigartig waren, als sie geschrieben wurden, obwohl sie seither nachgeahmt werden. Es gibt nicht viel Mainstream- Phantasie, die mir bekannt ist - Ich habe nie "Das Rad der Zeit!, die "Drenai-Saga" mit Druss oder "Thomas Covenant, der Zweifler" gelesen. Das Zeug interessiert mich nicht besonders, auch wenn meine zukünftigen Arbeiten von einem ähnlichen Genus sein könnten. Ich erfreue mich eher an dem Zeug im Windschatten derer, wie Gaimans "Neverwhere" oder Jasper Fforde's "Thursday-Next"-Serie, sogar Kings "Dark-Tower"-Serie. Aber trotz allem komme ich nicht an Gormenghast vorbei ... Ich habe diese Bücher wie besessen gelesen, als ich 15 war, und sie haben mich vermutlich zu einem Schriftsteller gemacht.

Erik Schreiber:
Kannst Du mir Dein australisches Horrorhighlight verraten?

Will Elliott:
Ich bin grundsätzlich nicht so gut belesen im australischen Horror, wie ich sein sollte. Von dem wenigen, was ich gelesen habe, würde ich sagen, "Prismatic" von Edwina Grey ist herausragend - und natürlich Terry Dowlings Kollektion von Kurzgeschichten "Basic Black", die einen Preis der International Horror Guild gewonnen hat. Dowling war schon immer ein Weltklasse-Schriftsteller.

Erik Schreiber:
Kennst Du ein paar andere australische Horror-Schriftsteller und magst Du ihre Bücher?

Will Elliott:
Ich habe ein paar auf Conventions getroffen, aber ich muss sagen, dass der Autor, der mich am meisten beeindruckt hat, David Kowalski, mit seiner epischen Alternative-Vergangenheit-Geschichte "The Company of the Dead" war. Dieses Buch war etwas Besonderes unter den australischen Romanen, und ich denke, dass Kowalski ein großes Talent mit einer großen Zukunft ist. (Zu dieser Meinung über seine Arbeit kam ich schon, bevor ich mich mit David anfreundete.) Er ist ein Schriftsteller, den man im Auge halten sollte.

Erik Schreiber:
Der auf Horror spezialisierte Verlag in Deutschland und Österreich ist Otherworld. Kennst du Bücher oder Autoren die von ihm verlegt wurden, wie Owl Goingback, Brian Keene, Michael Olivieri und David Moody?

Will Elliott:
Nein, aber ich werde sie zu meiner ständig-wachsenden 'Zu-lesen'-Liste hinzufügen ...

Erik Schreiber:
Der Horror ist in Deutschland zur Zeit nicht so populär. Ist Horror in Australien beliebter?

Will Elliott:
Nicht seit den 80ern, denke ich, als damals ein Wirbel um Stephen King und die "The-Nightmare-on-Elm-Street"-Filme gemacht wurde. Während sie wuchsen, wurde über diese Filme nur mit einem ehrfurchtsvollem Geflüster gesprochen, aber danach geriet Horror in eine Art Flaute. Es scheint aber ein Comeback zu geben. Dieses Genre hat sich eine Weile bedeckt gehalten, also wirkt es nun wieder wie etwas Neues und Frisches. Noch dazu hat diese Pause dem Genre wohl letztendlich eher geholfen - das schwache Interesse hat wahrscheinlich die formelhaften Schriftsteller vertrieben, die auf schnelles Geld aus waren. Dieselben Schriftsteller, die dem Genre einen schäbigen Ruf verschafften. Ich glaube, die sind jetzt alle damit beschäftigt, "Der DaVinci-Code" nachzuschreiben, also werden wir endlich ein paar Jahre Ruhe haben, bevor sie sich wieder dem Horror widmen.

Erik Schreiber:
Zum Schluss, was hast du als nächstes geplant?

Will Elliott:
Ich glaube, das nächste Buch wird ein Beispiel für dieselbe Formel sein, die aber ein anderes, sehr unterschiedliches Ergebnis produziert. Es heißt "Nightfall", eine viel ernsthaftere, dunkle Phantasie, kombiniert mit vielen Elementen zu einer Geschichte. Es handelt von einem Zeitgenossen namens Aden, der in einer fremden Welt aufwacht, mit der Erinnerung an seinen Selbstmord. Was aber noch seltsamer ist, ist, dass er aus einem Bilderrahmen aufzuwachen scheint - er ist ein Bild, das zum Leben erwacht ist. Er erinnert sich an unsere Welt, aber hat keine Ahnung von der Beschaffenheit dieses fremden neuen Ortes, geschweige denn, wer ihn zum Leben erweckt hat. Dennoch scheinen manche Dinge seltsam vertraut. Und am seltsamsten ist, dass alle Charaktere - viele davon bizarr, mörderisch und stark magisch - die er trifft, scheinbar wissen, wer er ist. Er muss herausfinden, wer er war, warum er sich selbst getötet hat, wie er in diese neue Welt passt (ist es das Jenseits?), und muss herausfinden, warum ihn viele als eine Bedrohung für die Existenz der Welt ansehen.
So wird "Nightfall" hoffentlich die nächste Roman, der gedruckt wird. Derzeit arbeite ich an der Grundstruktur einer möglichen Trilogie. Ich habe ein Setting, also lege ich jetzt nur noch das Grundgerüst und finde die Charaktere.

Erik Schreiber:
Vielen Dank für das Interview und die Zeit, die du dir dafür genommen hast. Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinen weiteren Projekten.

Will Elliott:
Danke für das Interview.

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