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Interview mit Thomas Plischke Ich bin sehr erfreut, wieder einen deutschen Autoren vorstellen zu dürfen. Die meisten Leser kennen Thomas Plischke durch die Veröffentlichung im Piper Verlag mit seinem Buch „Die Zwerge von Amboss“. Aber er schrieb bereits für andere Verlage. So schrieb er unter anderem für das Rollenspiel „Engel“. Ich möchte versuchen, darauf einzugehen und Thomas mit seiner Arbeit gebührend vorzustellen. |
Vielen Dank, dass Du mir für dieses Interview ein wenig Zeit einräumst. Du bist mir kein Unbekannter, habe ich Dich doch bereits in meiner privaten Datenbank über Autoren, weil Du mir unter anderem beim Projekt „Engel“ aufgefallen bist. Es war schon verlockend zu lesen, was andere Interviewpartner fragten. Doch habe ich bewusst darauf verzichtet. Es kann daher sein, dass ich die gleichen Fragen stelle. Beginnen möchte ich jedoch mit der folgenden Frage. Was fasziniert Dich an der Phantastik und warum schreibst Du nicht 'normale' Romane?
Thomas Plischke:
Sehr gerne mache ich das Interview, Erik! Eigentlich bin ich im persönlichen Umgang immer etwas schüchtern. Im Laufe der Zeit macht man die Erfahrung, dass viele Leser neugierig auf die Personen sind, die hinter den Büchern stehen; da ich selbst weiß, wie schrecklich ungestillter Wissensdurst ist, stehe ich daher für neugieriges Herumbohren aller Art stets gern zur Verfügung. Doch zurück zur Frage: Da werde ich ja gleich zu Beginn mit beinahe schon philosophischen Themenkomplexen konfrontiert! Also zunächst mal sei vorangestellt, dass ich alles Mögliche für die Schublade schreibe, was mehr oder weniger ‚normal` ist: Theaterstücke, Drehbücher, Kurzgeschichten und Romanentwürfe. Aktuell liege ich gerade bei einem eher klassischen Thriller für den Piper Verlag in den letzten Zügen (wobei es in diesem Roman allerdings ein durchaus starkes phantastisches Element gibt).
Hmm, es stimmt also wohl, dass ich ein Phantastik-Liebhaber bin. Insbesondere mag ich an diesem Genre die ungeheure Freiheit und die Möglichkeit, altbekannte Metaphern in ganz andere, neue Formen zu bringen. Leider wird diese Freiheit allzu oft nicht genutzt, und viele Phantastik-Autoren zwängen sich ohne Not in noch engere Korsette, als man sie bei realistischeren Romanen findet.
Erik Schreiber:
Bei mir war es recht einfach, zum Phantastik-Liebhaber zu werden. Jules Verne, David A. Wollheim waren meine ersten Autoren. Wie wurdest Du zum Phantastik-Liebhaber?
Thomas Plischke:
Gute Frage eigentlich ich kann mich an mein erstes Phantastik-Buch nicht mehr genau erinnern. Aber drei Dinge waren wohl wichtige Mitauslöser für meine Liebe zu diesem Genre: Zunächst mal habe ich als Neunjähriger im Fernsehen Werbung für das Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ gesehen und konsequent gequengelt, bis mir das Basis-Set unter den Weihnachtsbaum gelegt wurde - das ist wahrscheinlich der Grundstein für meine Neigung zur Fantasy und zum Fabulieren. Außerdem habe ich in ähnlich zartem Alter auch eine Zeit lang „John Sinclair“ gelesen, was mich vermutlich auf Erzählen in Serie und auf Spaß am Horror geeicht hat. Und schließlich habe ich noch sehr gerne Superhelden-Comics gelesen, die ja thematisch an die Science-Fiction/Fantasy/Horror angrenzen. Während DSA und „John Sinclair“ inzwischen fast gänzlich aus meinem Leben verschwunden sind, bin ich den Superhelden treu geblieben: Comics als Medium haben sich ja in den letzten Jahren sehr verändert, weshalb ich auch als Erwachsener noch viel Freude an den bunten Bildern habe. Gerade habe ich übrigens sogar einen ganzen Roman um „Superhelden“ geschrieben: „Kalte Krieger“ erscheint Ende 2009 und bietet mal eine moderne Sicht auf Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten - wobei es sich eher um einen Thriller als um eine Action-Geschichte handelt, wie man sie meist bei Superhelden findet.
Erik Schreiber:
Wie legst Du für Dich den Begriff Phantastik aus?
Thomas Plischke:
Eine gute Frage: Bei der Phantastik steht meiner Meinung nach das Irreale im Mittelpunkt. Man entwirft Welten, die sich von unserer massiv entscheiden, und diese Unterschiede kann auch ein unbedarfter Leser klar als solche erkennen: angefangen beim unsterblichen Blutsauger über den Hyperraumantrieb bis zu Zwergen, die unter der Erde leben.
Aber nur weil es solche Unterschiede gibt, heißt das meiner Meinung nach noch lange nicht, dass es keine Bezüge zu unserer Welt geben darf! Im Gegenteil: Meine Texte sollen unterhalten und Spaß machen, sie sollen aber auch mal ein bisschen zum Nachdenken anregen - und das klappt eben am besten mit Bezügen zur Realität.
Erik Schreiber:
Das heißt also, der Spaß steht mit der Geschichte im Vordergrund und Deine sozialkritischen Gesichtspunkte sind die 'intellektuelle Beilage'?
Thomas Plischke:
Ja, so kann man es wohl sagen. Als Autor bei einem Publikumsverlag sollte man bei aller Versuchung, sich völlig ungehemmt auszutoben und den Roman völlig neu erfinden zu wollen, natürlich die Verkäuflichkeit der eigenen Werke im Auge behalten. Ich sehe das Schreiben nicht nur als Berufung, sondern auch als Beruf an: Ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt, also schreibe ich auch Texte, die den Lesern (hoffentlich) auf die eine oder andere Weise unterhalten. Immerhin ist Bücherlesen nicht unbedingt das billigste Hobby der Welt, und ich verkneife mir aus Respekt vor meinen Lesern allzu Verkopftes oder frei Interpretierbares. Wild und rücksichtlos schwafeln kann ich sehr viel freier in meinem Blog (plischke.blogspot.com) und in Kurzgeschichten, die sich generell hervorragend für Experimente aller Art eignen (und die man eben auch an anderer Stelle leichter unterbringen kann).
Wenn ich ganz ehrlich bin, ist der Unterhaltungsgedanke nicht nur der Verkäuflichkeit geschuldet. Ich halte es wie eine Menge meiner Kollegen: Ich schreibe einfach Bücher, die ich selbst gerne lesen würde. Ein Buch ohne jedes „erzählerische Interesse“, das sich rein der Ausgestaltung einer unverbrauchten Form oder dem lustvollen Spiel mit der Sprache verdingt, kann selbstredend interessant sein. Ich persönlich möchte von Büchern jedoch vor allem unterhalten werden.
Erik Schreiber:
Gehen wir zur Kurzgeschichtensammlung vom Piper Verlag, „Das Fest der Vampire“. Wie kam es zu Deiner Mitarbeit?
Thomas Plischke:
Das war sehr unkompliziert und nur wenig mysteriös: Ich bin von Carsten Polzin [dem Leiter der Fantasy-Sparte beim Verlag Piper] gefragt worden, ob ich was beisteuern möchte, und habe ja gesagt. Alles andere wäre echt doof von mir gewesen, denn man hat nicht jeden Tag die Gelegenheit, eine Kurzgeschichte in einer derart illustren Runde zu veröffentlichen und beim Inhalt auch noch so gut wie völlig freie Hand zu haben!
Solche ‚kleinen’ Beiträge sind für mich immer eine willkommene Abwechslung vom jeweils aktuellen Romanprojekt und daher gern genommen. Auch für das „Science-Fiction-Jahr 2009“ vom Wilhelm Heyne Verlag werden Ole und ich einen Beitrag einreichen, und bei der nächstjährigen Kurzgeschichtensammlung von Piper dürfen wir wohl ebenfalls wieder mitmachen.
Erik Schreiber:
Womit ich zu einer ganz anderen Frage komme. Für mich ist das „Science-Fiction-Jahr“ das wichtigste Nachschlagewerk in der SF, wie „Magira - Jahrbuch zur Fantasy“ in der Fantasy. Was bedeutet für Dich das „Science-Fiction-Jahr“?
Thomas Plischke:
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das „Science-Fiction-Jahr“ erst durch Ole kennen gelernt habe. Mein Co-Autor ist ja mit der Science-Fiction aufgewachsen und kennt diese Sammelbände daher schon seit vielen Jahren. Seitdem ich es kenne, bin ich sehr angetan: Die Idee, Artikel und Aufsätze zusammenzutragen, die eher eine populärwissenschaftliche oder feuilletonistische Ausrichtung haben, halte ich für ungemein sinnvoll. Sie zeigt, dass eine kritische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Literatur eben nicht zwingend trocken sein muss, sondern jedem Menschen mit entsprechendem Interesse spannende und vor allem tja, da ist es wieder unterhaltsame Einsichten liefern kann.
Erik Schreiber:
Zurück zu Deiner Kurzgeschichte. Es war mir sehr schnell klar, dass der Besucher ein Einbrecher war, doch das Mädel blieb recht geheimnisvoll. Wie kam es zu der Idee?
Thomas Plischke:
Der Titel der Anthologie war da ausschlaggebend. Von Anfang an wollte ich eine Horrorgeschichte beitragen, und als es dann um Vampire ging, habe ich mir überlegt, wie man diesem viel bemühten Thema und seinen Erzählmustern noch etwas Neues abgewinnen kann. Kurzgeschichten sind ja meist, wie man so schön sagt, „auf Effekt geschrieben“, daher soll bis zum Schluss eine gewisse Ungewissheit im Raum schweben - und die zeigt sich halt vor allem im Mädchen. Vorstadtvampire finde ich persönlich noch einigermaßen unverbraucht.
Erik Schreiber:
Dieser Ausflug in die Phantastik mag vorerst genügen. Du selbst hast sicherlich noch mehr geschrieben. Womit begann Deine Autorentätigkeit und was war Deine erste Veröffentlichung?
Thomas Plischke:
Ich habe schon als Kind geschrieben, unter anderem „Fan-Fiction“ zu Superhelden-Comics, die zum Glück nie veröffentlicht worden ist. Dann habe ich eine Zeit lang sehr viele Kurzgeschichten geschrieben, doch die sind wohl leider in weiten Teilen verloren. Meine erste Ehrung habe ich dann für das Theaterstück „Spiegelungen“ erhalten, das im Rahmen meiner Facharbeit am Gymnasium entstand.
Meine erste, wirklich eigenständige Veröffentlichung war „Endspiel - das Runde im Eckigen“, ein Fußball-Verschwörungsthriller zur WM 2006 (derzeit leider vergriffen). Meine Arbeit beim Verlag Piper stellt für mich gewissermaßen einen Wendepunkt und einen Neuanfang zugleich dar: Erst seit Anfang 2008 würde ich mich ernsthaft als Autor bezeichnen und das Schreiben als meinen tatsächlichen Beruf sehen.
Erik Schreiber:
Hat Dich irgendjemand oder irgendetwas bei deinen literarischen Versuchen beeinflusst?
Thomas Plischke:
Lesen habe ich mit vier gelernt, mit Hilfe der Tageszeitung und eines Textmarkers. Das hat sicher dazu geführt, dass ich ziemlich früh ganze Bücherberge verschlungen habe. Prägend war da sicher, dass ich als Sechsjähriger eine wunderbare Gesamtausgabe von Karl May geschenkt bekommen habe.
Im Laufe der Zeit habe ich schon einiges gelesen und fast jedes gelesene Buch prägt natürlich etwas, sei es nur mit dem Gedanken „So wie die oder der will ich es nicht machen.“ Autoren will ich an dieser Stelle keine aufzählen, da gibt es einfach zu viele.
Ansonsten habe ich dann als Jugendlicher mit Rollenspiel angefangen - und das hat sicher meine Liebe zum Geschichtenerzählen und zur Phantastik maßgeblich beeinflusst. Den eigentlichen Sprung zum Autorendasein habe ich jedoch zugegebenermaßen wohl vor allem wegen Ole gewagt, der mich immer im Schreiben bestärkt und mir über Jahre hinweg ein bisschen von der Versagensangst genommen hat, die wohl jeden Autor von Zeit zu Zeit plagt.
Mit welchen Rollenspielen hast Du begonnen? Klassich deutsch mit „Das Schwarze Auge“ oder eher mit dem amerikanischen „Dungeons & Dragons“?
Thomas Plischke:
Ganz klassisch mit DSA - aber relativ schnell habe ich dann noch andere Spiele entdeckt. „Shadowrun“ als Genre-Mix mit starker Action-Note hat mich eine ganze Weile in seinen Bann geschlagen. In den letzten Jahren habe ich mich dann aber hauptsächlich mit der „Welt der Dunkelheit“ und „Cthulhu“ auseinandergesetzt. Horror-RPGs sind als Einstieg für neue Spieler ideal, und sie funktionieren auch blendend ohne großangelegte Kampagne - beides kommt mir sehr entgegen.
Erik Schreiber:
Rollenspiel, Larp, Theater, Geschichten erzählen, Bücher lesen und sammeln, das sind die besten Voraussetzungen, um Geschichten auch zu schreiben. Welche Teile hast Du davon schon ausprobiert?
Thomas Plischke:
Alle, außerdem habe ich noch Filme und TV-Serien gesehen, Videospiele gespielt, Drehbücher geschrieben und übersetzt wie lektoriert *lacht*. Mein ganzes Leben scheint sich um Geschichten zu drehen: sowohl um meine als auch um die anderer Menschen, die ich miterleben darf.
Bücher, Filme (bzw. TV-Serien) und das Rollenspiel sind aber sicher die für mich heute wichtigsten Elemente, wobei es großen Spaß macht, auch mal selbst ein Drehbuch zu verfassen. Aktuell arbeite ich gerade mit weirdoz* und audionym an mehreren Projekten [u. a. dem Hörspiel zum Videospiel „Sacred 2“]. „Larp“ habe ich ein paarmal ausprobiert, aber das war nie so richtig mein Ding.
Bücher und Rollenspiele sammle ich schon seit einigen Jahren und das wird mich (hoffentlich) bis an mein Lebensende begleiten. Als Ole und ich unsere Sammlungen zusammengelegt haben, kam da schon einiges zusammen, und über die Jahre hinweg haben wir das immer mehr ausgebaut. Heute behauptet Ole gerne, dass wir mit gut 4000 Bänden „die größte Rollenspielsammlung Nordwestdeutschlands“ haben - ob das stimmt oder nur eine kühne Behauptung ist, weiß ich nicht. Zum Spielen kamen wir in letzter Zeit leider nicht, aber nächstes Jahr werden wir wohl eine neue Kampagne starten.
Ins Kino gehe ich zwar kaum noch, aber zu Hause schaue ich sehr viele aktuelle US-Serien und Filme, insbesondere wenn es sich um Phantastisches handelt.
Erik Schreiber:
Ich habe zu Beginn Ole Johan Christiansen erwähnt. Er ist Dein Mitarbeiter, Co-Autor, bester Freund, Lebensgefährte. Wie kam es zur Zusammenarbeit. Entwickelt ihr die Ideen zusammen?
Thomas Plischke:
Als Ole und ich uns kennen lernten, war es tatsächlich Liebe auf den ersten Blick, so klischeehaft das auch klingen mag. Bis wir uns das beide eingestehen konnten, hat es jedoch eine Weile gedauert.
Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass uns nicht nur die Liebe, sondern auch viele gemeinsame Interessen und Ansichten verbinden. Trotzdem sind wir grundverschiedene Menschen, was zum einen dafür sorgt, dass nicht zuviel Routine einkehrt, und zum anderen auch dazu führt, dass die Zusammenarbeit unglaublich produktiv und abwechslungsreich ist. Dass wir uns manchmal streiten, dass die Fetzen fliegen, ist da ein mehr oder minder willkommenes Übel.
In der Tat entwickeln wir so gut wie alles zusammen. Dabei erstellen wir zunächst zusammen ein Konzept, dann übernimmt einer von uns beiden die eigentliche Schreibarbeit und der andere geht den Text noch einmal durch und rückt ihn gerade.
Erik Schreiber:
Es ist natürlich immer leicht, nach Wurzeln zu fragen, aber schwer zu beantworten. In welcher Erzähltradition siehst Du Dich und wie würdest Du gern schreiben wollen?
Thomas Plischke:
Zunächst mal sehe ich mich als „postmodernen Autor“, um mal ein viel bemühtes Schlagwort heranzuziehen. Gemeint ist damit, dass ich insbesondere von klaren Genregrenzen nicht viel halte, sondern gerne verschiedene Elemente und Konventionen miteinander vermische. Der Einfachheit halber greife ich bei den Traditionen dann doch mal auf die klassischen Genres zurück.
Im Bereich der Fantasy bin ich da (ohne es vorher zu wissen) auf einer Linie mit aktuellen Fantasy-Autoren wie Abercrombie, Martin und Erikson, die auf düstere Fantasy-Welten setzen, in denen auch aktuelle Themen aufgegriffen werden.
Im Bereich des Horrors stünde ich gerne in der Tradition von Poe, Lovecraft, Matheson und King - aber bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg, insbesondere da Horror (abgesehen von der seltsamen Mischform der Romantasy) ja von den Verlagen stark gemieden wird.
In der Sci-Fi habe ich bisher nur wenig gemacht, und wenn ich mich da mal ranwagen sollte, dann wird es wohl eher in Richtung eines Sci-Fi-Thrillers gehen. Mit der klassischen Space Opera kann ich nur noch wenig anfangen.
Erik Schreiber:
Wenn es das Buch nicht schon gäbe, welches würdest Du schreiben wollen?
Thomas Plischke:
Aktuell wäre das wohl „Cryptonomicon“ von Neal Stephenson: brillant geschrieben, tiefschürfend, ohne je langweilig zu werden, und noch dazu eine sehr spannende Mischung verschiedenster Elemente.
Erik Schreiber:
Aber es würde sicherlich etwas anders enden?
Thomas Plischke:
Nicht zwingend. Wenn man einigermaßen lange als Lektor und Korrektor mit den Texten anderer Leute zu tun hat, stellt sich jedoch schon so eine Art Berufskrankheit ein, dass man ständig an Formulierungen und Handlungssträngen herumschrauben möchte (die Grenze zum Verschlimmbessern ist da leider manchmal fließend). Das Ende wäre also wahrscheinlich das gleiche, der Weg dahin unter Umständen ein etwas anderer.
Erik Schreiber:
Damit bin ich auch schon langsam da, wo ich hin wollte, bei „Die Zwerge von Amboss“ nämlich. Der Roman hat viele Anspielungen an die Wirklichkeit. Es ist keine High Fantasy, keine richtige Abenteuerfahrt, eher eine Weltgeschichte am Beispiel einiger Handlungsträger. Ist es das, was Du vorhast?
Thomas Plischke:
Ja, das kann man sehr gut so sagen. Ich vermische ja Thriller, Psychodrama und Abenteuerroman kräftig miteinander, um einen bestimmten Ausschnitt aus der Geschichte der „Zerrissenen Reiche“ zu illustrieren. Dieser Ansatz wird sich übrigens auch in den kommenden Bänden so fortsetzen: Es gibt immer einen Handlungsstrang im Zwergenbund, in dem Verschwörungen und Politik ungemein wichtig sind, ein Handlungsstrang dreht sich um den Krieg in den eigentlichen Zerrissenen Reichen der Menschen, und einer folgt unseren restlichen Helden dahin, wo immer es sie auch hinverschlagen mag. Dazu kommt dann ein ‚schwebender Handlungsstrang’, den es jeweils nur in einem Band gibt - im zweiten Teil, „Die Ordenskrieger von Goldberg“, beispielsweise stehen die Ereignisse in der namensgebenden Ordensburg im Mittelpunkt, und bei ihnen ergab sich die günstige Gelegenheit, die Themen Religion und Glaube anzusprechen.
Erik Schreiber:
Ordenskrieger, Ordensburg, das erinnert mich sofort an Templer, Malteser Orden oder den Deutschen Orden. Wird uns etwas in dieser Richtung erwarten?
Thomas Plischke:
Goldberg ist eine uralte Feste, auf der ein Orden von Menschen sich dem Dienst an den Herren, ihren fernen Göttern, verschrieben hat. Da der Orden für die Verwaltung ungeheurer Schätze verantwortlich ist, ist er gezwungen, eher unpolitisch zu sein bzw. sich völlig unpolitisch zu geben - da liegt also schon ein kleiner Unterschied zu den meisten Ritterorden. Und der nächste Unterschied klopft auch bereits an: Es sind eben keine „Ritter“ im Sinne berittener Adliger oder zumindest schwergepanzerter Kämpen. Ich habe mich da eher von Frank Herberts „Dune“ und ostasiatischen Orden inspirieren lassen. Ebenfalls eher ungewöhnlich ist der Sachverhalt, dass die beiden wesentlichen Figuren in Goldberg weiblich sind - die Ordensmutter Esavintje und ihre Tochter Fianessa.
Erik Schreiber:
Wenn ich Deine Zivilisation der Zwerge in das europäische beginnende industrielle Zeitalter lege, bin ich sicher nicht verkehrt. Die ganze Zwergenkultur wurde verändert und anders aufgebaut. Inwieweit stand der real existierende Sozialismus Pate?
Thomas Plischke:
Beim ‚zwergischen Sozialismus’ handelt es sich natürlich um eine Parallelentwicklung; er hat gezwungenermaßen ganz eigene historische und soziale Wurzeln. Am ehesten kann man das wahrscheinlich mit der Evolution vergleichen: Dort entwickeln ganz unterschiedliche Arten und Familien bestimmte vergleichbare Merkmale wie Flügel oder das Linsenauge. Der Weg dorthin mag jeweils ein anderer sein, aber die Endergebnisse sind sich sehr ähnlich, wenn nicht gar deckungsgleich.
Beim Quasi-Sozialismus mit Rätedemokratie im Zwergenbund handelt es sich nur um eine Übergangsphase in der Gesellschaftsentwicklung, an deren (vorläufigem) Ende ein unserer Meinung nach besseres Ergebnis steht. Und das ist nicht - wie sonst so oft in der Fantasy - irgendeine Art von Feudalismus.
Erik Schreiber:
Das ist ein sehr verflochtenes Gefüge. Wurde bei der Entstehung dieser sozialen Gesellschaft auf Marx, Lenin und Engels zurückgegriffen. Sind Dir die Werke bekannt?
Thomas Plischke:
Wie viele junge Menschen hatte ich eine Phase, in der ich mich ein wenig mit Sozialismus auseinandergesetzt habe, und ins „Kapital“ sowie Lenins Schriften habe ich natürlich auch mal reingelesen. Als echten Kenner würde ich mich jedoch im Leben nicht bezeichnen.
Erik Schreiber:
Das sind aber nur ein paar Verflechtungen. Du gehst neben politischen Wurzeln auch auf historische Wurzeln zurück. Mit der Industrialisierung bei der Eisenbahn und der Waffentechnik bin ich schnell bei den historischen Weberaufständen. Werden Deine Zwerge mit einer ähnlichen Gegenwirkung aufwarten?
Thomas Plischke:
*grinst* Ja, werden sie. Aufstände, Fememorde, Attentate, Proteste und vieles mehr warten auf den Leser in den kommenden Bänden - und natürlich auch Ludditen, die alles Technische vernichten wollen. Wie im ersten Band bereits zu erkennen, ist die zwergische Gesellschaft ja kein monolithischer Block, in dem das Individuum sich komplett in die Ordnung einfügt. Die Zwerge sind zum Beispiel nach wie vor unglaublich traditionsbewusst, und es gibt einige von ihnen, die sich nach der (vermeintlich) guten alten Zeit zurücksehnen, in der man noch in untereinander zum Teil bis aufs Blut verfeindeten Sippen lebte.
Erik Schreiber:
Die Welt der Zwerge erinnert ein wenig an eine Parallel-Steampunk-Welt. Eisenbahn, Gewehre aber auch jede Menge "Bestien". Hat es lange gedauert, diese Welt aufzubauen?
Thomas Plischke:
Bis zur Veröffentlichung hat es sieben Jahre gedauert, in denen wir die Welt natürlich immer wieder überarbeitet haben. Ole ist ein unglaublich kreativer Mensch, wenn es um Weltenbau und Plots geht: Er zaubert scheinbar aus dem Nichts komplexe und in sich stimmige Konzepte, die man dann super gemeinsam weiterentwickeln kann.
Viele unserer Überlegungen werden übrigens wohl nie beim Leser ankommen, schlichtweg weil es keinen sinnvollen Weg gibt, sie dem Leser spannend und unterhaltsam zu vermitteln. Wir wollen nämlich explizit keine Passagen wie bei Tolkien, in denen der Leser 80 Seiten lang etwas über das Leben der Hobbits erfährt, ohne dass dies einen erkennbaren Zweck für die Geschichte hat. Ursprünglich war einmal geplant, kleine Textpassagen aus der Welt der Zerrissenen Reiche einzustreuen - ein Auszug aus einem Text über zwergische Phrenologie beispielsweise -, doch das hat den Lesefluss zu sehr gestört, weshalb diese Abschnitte entfallen mussten.
Die Weltenerschaffung für die Literatur ist sicher einfacher als für ein Rollenspiel. Aber das Rollenspiel war für Euch sicher eine Quelle schöpferischen Gedankengutes?
Thomas Plischke:
Diese Frage muss ich in zwei Teilen beantworten. Also zunächst mal ist der Weltenbau für einen Romanen nicht einfacher als der beim Rollenspiel - er ist vielmehr ganz anders. RPG-Welten haben einen völlig anderen Anspruch, der durch die spielerischen Elemente gegeben ist. Völker und Klassen etwa müssen ungefähr gleich stark sein, und die Welt muss auch Spielgruppen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen an ein Abenteuer oder eine Kampagne genug ‚Platz’ bieten. In Romanwelten hingegen gilt das natürlich nicht. Die sind maßgeschneidert - und für die Figuren, die sie bevölkern, braucht es keine faire Verteilung von Machtpotenzial oder besonderen Fähigkeiten. Die Stimmigkeit der Welt sollte aber in beiden Fällen gegeben sein - beim Roman liegt das Hauptproblem in der Vermittlung. Beim Rollenspiel kann ich einfach beim Spielleiter nachfragen, wenn es um Details geht, die mich aus welchen Gründen auch immer plötzlich brennend interessieren. Was für Schuhe tragen die Leute? Was kostet ein Pfund Butter? Gibt es in dieser Stadt eine Diebesgilde? Beim Roman muss ich den Hintergrund spannend und unterhaltsam vermitteln und das meiner Meinung nach auch noch so, dass der Leser nicht stutzt und denkt: „Oho, das ist jetzt aber langweilige Hintergrundinfo, die ich mal eben schnell überblättere“.
Als Inspirationsquelle sind Rollenspiele aber toll: Gerade D&D mit seinen sehr unterschiedlichen Welten, die allerdings einen ähnlichen regeltechnischen Überbau verwenden, war hilfreich. Dort werden viele Entwicklungen des Fantasy-Genres kodifiziert, abgewandelt und weiterentwickelt. Daraus haben wir dann einen eigenen Ansatz entwickelt, dem man seinen ‚Urvater Rollenspiel’ jedoch nur noch bedingt anmerkt.
Erik Schreiber:
Bei Dir verwischen sich die Grenzen zwischen den Phantastik-Bereichen und der Wirklichkeit. Und ich habe den Eindruck, Du schreibst nichts ohne Absicht. Vermute ich das richtig?
Thomas Plischke:
Wer schreibt schon ohne Absichten? Mir geht es beim Schreiben vor allem um zwei Dinge: Erstens soll der Text Spaß machen und zweitens fände ich es schön, wenn der Leser etwas mehr als pures Vergnügen mitnimmt. Das kann selbstverständlich ‚nur’ eine positive Erinnerung an den Text sein. Lieber ist mir natürlich, wenn auch noch mal über das Gelesene nachgedacht wird und man sich fragt, mit welchen Aussagen, die einem so begegnet sind, man übereinstimmt und welche man nicht teilt.
Bei „Die Zwerge von Amboss“ ging es mir auch darum, einmal Vorurteile und Rassenhass in einer verkehrten Welt zu zeigen. Viele der „Kurzbeine“ haben eine sehr schlechte Meinung von den Menschen. Da der Leser ja nun aber selbst ein Mensch ist, wird ihm wohl auffallen, wie dumm und kurzsichtig solche Verallgemeinerungen im Grunde sind. Alle Menschen (und natürlich auch alle Zwerge, Elfen, Halblinge etc.) sind zunächst Individuen, und jedes dieser Wesen hat es verdient, dass man sich eine eigene Meinung über es macht.
Erik Schreiber:
Wenn ich mir die Zwerge ansehe, vor allem Bugeg, dann denke ich, wird sich die Erzählung noch etwas mit Rassismus auseinandersetzen. Auch einen Aufstand der Menschen als eine Art Flüchtlings-Machtlosigkeit erwarte ich in den nächsten Romanen.
Andererseits erwarte ich mit Gorid Seher politische Ränkespiele, Umstürze, friedlich wie auch gewalttätig, und Ähnliches. Richtig?
Thomas Plischke:
Da liegst Du völlig richtig. Das sind alles Themen, die wir in der Reihe verarbeiten wollen. Im ersten Buch werden Rassismus und Politik als zentrale Motive eingeführt, im zweiten und dritten Teil kommen Religion und Krieg hinzu, im vierten und fünften werden Kapitalismus und Verantwortung wichtige Themen sein, und im sechsten und siebten schließlich werden diese Themen dann zusammengebracht und wir bieten ein paar Lösungen an, wie wir sie gern öfter in der Fantasy sehen würden.
All diese Motive stehen natürlich vor allem zwischen den Zeilen. Vordergründig gibt es die schon oben erwähnte Handlung mit Thriller, Drama und Abenteuerelementen.
Erik Schreiber:
Bugeg ist ein typischer Emporkömmling, ein Zwerg mit einigen Schwächen. Er bekommt plötzlich einen neuen Job, mehr Macht. Da ist der Machtmissbrauch nicht weit. Wird der schnelle Aufstieg mit einem genau so schnellen Fall enden?
Thomas Plischke:
Hm über diese Sache sind schon mehrere Leser gestolpert. Bugegs Fall ist schon sehr schnell und sehr, sehr endgültig - eigentlich dachte ich, dass das relativ klar wäre. Im zweiten Band werden Bugegs Karriere und ihr unrühmliches Ende noch einmal kurz thematisiert.
Erik Schreiber:
Und mein Lieblingsthema: Verschwörungstheorien. Mit Patientin 23 (wie sinnig ausgerechnet diese Nummer) und dem zwergischen Leiböffner wird es sicher in diese Richtung weitergehen.
Thomas Plischke:
Tja, da hast Du mich schon wieder ertappt. Ich bin auch großer Fan von Verschwörungstheorien, insbesondere wenn sie möglichst abstrus und irrwitzig sind. Daher musste Ulaha zwangsläufig diese sehr bekannte Nummer bekommen. Im Handlungsstrang, in dessen Mittelpunkt Ulaha steht, werden eine ganze Menge Elemente eingeführt, die später in der Reihe noch wichtig werden: angefangen bei den ‚zwergenverachtenden’ Experimenten über den „Ewigen Hain“ bis hin zu Kolbners Verdientenschaft.
Leider musste das Buch in nicht unerheblichem Maße gekürzt werden (unser ursprüngliches Manuskript hatte etwa 600 Seiten), und das ging in Teilen zu Lasten der Passagen in der Heilanstalt. Die Gespräche zwischen Ulaha und Kolbner waren einfach zu lang und zu philosophisch. Also haben wir die meisten der Themen neu verpackt und präsentieren sie etwas leichter verdaulich und spannender in den kommenden Bänden.
Erik Schreiber:
Im vorliegenden Roman geht es vor allem um Menschen, Zwerge und Halblinge. Bedenke ich, dass Du gern mit Klischees arbeitest, werden andere Völker, wie etwa die Drachen und die angesprochenen Elfen oder gar Orks und Trolle, auch auftreten. Wird das nicht etwas zu viel Klischee?
Thomas Plischke:
Klischees sind grundsätzlich ja nichts Schlechtes, solange man sie als Klischee erkennt. Doch als denkender Mensch sollte man eben bereit sein, ein Klischee zu hinterfragen und jedes Wesen als Individuum zu betrachten. Drachen und Elfen gibt es übrigens in der Tat, Orks und Trolle indes nicht. Gerade bei den Drachen haben wir uns für einen Sonderweg entschieden: Wir haben sie erst auf ihre Quintessenz heruntergekocht und anschließend gehörig verfremdet. Drachen sind in den Zerrissenen Reichen „große, mächtige Wesen, die gelegentlich auch mal Feuer speien und andere Völker unterjochen“ - reptilienartig sind sie hingegen nicht unbedingt.
Erik Schreiber:
Mal provokant: Werden die Drachen wie in „Shadowrun“ die Kapitalisten der Zwergenfirmen? Die Elfen sind Ökos? Die Zauberer eine elitäre intellektuelle Gruppe?
Thomas Plischke:
Kapitalisten sind unsere Drachen nicht, nein. Sehr wohl aber bar jeder Skrupel und (menschlicher) Moral. Sie sind Relikte aus einer fernen Vergangenheit, die nicht verstehen wollen (oder können), dass die Zeiten sich geändert haben. Unsere Elfen lieben die Natur - muss das im Gegensatz zum Kapitalismus stehen? Wir denken nicht
Erik Schreiber:
Du hast gesagt, der erste Band wurde stark gekürzt, von weiteren Bänden ist die Rede. Es ist also eher eine Serie und keine der beliebten (mir inzwischen zum Hals raushängenden) Trilogien?
Thomas Plischke:
Ursprünglich waren „Die Zerrissenen Reiche“ auf 4 Bände ausgelegt, die aus jeweils zwei Büchern bestehen sollten. In den ersten drei Bänden sollte dann immer ein übergeordnetes Hauptthema eingeführt werden: im ersten Rassismus und Politik, im zweiten Religion und Fanatismus, im dritten Schicksal und freier Wille. Der abschließende Band sollte all diese Aspekte zusammenführen und dabei vielleicht auch ein paar Antworten geben, die an den zuvor gemachten Setzungen rütteln.
Nach der Kürzung des ersten Bandes mit seinen zwei Büchern hat der Verlag dann beim zweiten Band angefragt, ob er wieder so lang wird. Als wir das bejahten, hat der Verlag uns freundlicherweise angeboten, die Bücher 3 - 8 als jeweils eigenständigen Band herauszubringen. So werden es also jetzt insgesamt 7 Bände.
Trilogien haben durchaus ihre Berechtigung, wenn man sich beim Aufbau der Erzählung an einer klassischen Drei-Akt-Struktur orientiert. Man kann Geschichten, die als Serie angelegt sind, jedoch auch anders erzählen, und das versuchen wir gerade mit den Zerrissenen Reichen.
Erik Schreiber:
Wechseln wir mal wieder das Thema. Ich versuche immer wieder die Einstellungen der Autoren zu verschiedenen Themen abzufragen. Gerade bei Dir wird offen mit rassistischen und nationalistischen Tendenzen umgegangen. Versuchst Du in der Welt der Fantasy die stereotypen Klischees aufzubrechen, wie es in der Science Fiction Gang und Gäbe ist?
Thomas Plischke:
Das tue ich in der Tat. Die Sci-Fi hat ja eine sehr lange, sehr schöne Tradition, wenn es um den Umgang mit tatsächlichen historischen und sozialen Entwicklungen geht. Was die Sci-Fi kann, kann die Fantasy allerdings auch, meine ich. Viele der Themen, mit denen Sci-Fi schon lange umgeht, und ebenso viele philosophische Fragen, denen man dort nachgeht, bleiben in der Fantasy außen vor. Das möchte ich gerne ändern.
Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass die Fantasy schon voller Klischees ist, die ans Rassistische grenzen: Zum Beispiel sind Zwerge oft goldgierige Säufer, Elfen häufig weltfremde Ökos und die Halblinge meist faule und feige Stubenhocker. Indem ich nun real existierende Vorurteile aufgreife und sie auf erdachte Kreaturen übertrage, überspitze ich diese Grundsituation noch etwas.
Die Fantasy birgt meines Erachtens nach das Potenzial zu noch sehr viel größerer Freiheit im Umgang mit problematischen Themen als die Sci-Fi. Sci-Fi - und vor allem die harte - ist auf Gedeih und Verderb an einige Grundgegebenheiten in unserer Welt gebunden. Die Fantasy nicht, und da liegt ihre Stärke und ihr Reiz. Unglücklicherweise ist die Fantasy zugleich aber in bestimmten Formeln erstarrt - noch dazu solchen, die heute nicht mehr unbedingt zeitgemäß sind. Wenn man Fantasy mag, ist es eine bittere Erkenntnis, doch viele der Vorwürfe, es handele sich um ein tendenziell reaktionäres Genre, treffen bei näherer Betrachtung zu (die mal mehr, mal weniger ausgeprägte Blut-und-Boden-Mentalität bei kriegerischen Auseinandersetzungen oder die Bestimmung von auserwählten Weltenrettern etwa).
Du betrachtest die Fantasy also als einen Nährboden, der es Dir ermöglicht, gesellschaftliche Themen in einem neuen Zusammenhang, bis hin zu satirischer Überspitzung, darzustellen?
Thomas Plischke:
Ja, wobei der Zusammenhang auf keinen Fall satirisch sein muss. Aktuell arbeite ich gerade neben den Reichen noch an einem anderen Fantasy-Projekt, in dem auch gesellschaftliche Themen eine Rolle spielen. Bei der Konzeption geht es aber sehr viel weniger um Satire - stattdessen beziehe ich mich stärker auf andere Werke, die ich dann ein wenig auf die Schippe nehme oder fast bis zur Unkenntlichkeit verzerre.
Erik Schreiber:
Willst Du eine Art soziale Fantasy schreiben? Auf Missstände in der Wirklichkeit aufmerksam machen, indem Du sie in die erfundene Welt überträgst?
Thomas Plischke:
Darum geht es mir in Teilen sicherlich auch. In Europa gibt es in vielen Köpfen noch die klare Trennung zwischen E und U, also „ernsthaften Werken“ und „unterhaltenden Werken“. Das wird dann auch beinahe immer als Gegensatz verstanden (in Teilen laste ich dies den Kulturpessimisten der Frankfurter Schule mit ihrer aus höchst unschönen Erfahrungen mit der Propagandaverwertbarkeit von Massenmedien erwachsenen Verdammung der „Kulturindustrie“ an). In den USA und anderen englischsprachigen Ländern ist man da um einiges unverkrampfter, und dort kann Unterhaltung mühelos ernsthaft und das Ernsthafte ohne Probleme unterhaltend sein. Shakespeare beispielsweise ist ohne Zweifel ein großer Dramatiker, aber seine Werke entstanden aus dem wirtschaftlichen Druck heraus, damit auch Geld zu verdienen. „L’art pour l’art“ ist zwar ein hehres Motto, aber in einer kapitalistisch geprägten Welt leider kaum zu verwirklichen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass alle Mauern in den Köpfen der Menschen einstürzen und sie sich eigene Meinungen zu den Dingen in der Welt bilden.
Doch zurück zur Frage: Der Anspruch in meinen Werken beim Verlag Piper steckt nicht in der poetischen Sprache (wobei man dahin wohl gelegentlich einen Ausflug unternehmen darf); mir geht es darum, politische und soziale Themen mit Spannung und Unterhaltung zu verknüpfen. An dieser Stelle darf ich wohl verraten, dass wir vor wenigen Tagen die Zusage für eine neue Reihe bei Piper bekommen haben, die parallel zu den Zerrissenen Reichen erscheinen wird und in der wiederum Politik und Unterhaltung gekoppelt werden. Nur eben deutlich anders als bei den Reichen - sprich, unter Zuhilfenahme etwas anderer Erzählstrukturen, einer leicht abgewandelten Sprache und mit Verweisen auf andere politische Themen
Erik Schreiber:
Willst Du über die neue Serie schon etwas sagen?
Thomas Plischke:
Wollen schon, aber darf ich das auch? Naja, ich mach es einfach mal. Während die „Zerrissenen Reiche“ ja stark eine Art ‚Fortschreibung der Fantasy’ sind, handelt es sich bei der neuen Reihe um eine Vermischung der Fantasy mit einem ganz anderen Subgenre. Wir nehmen uns Elemente aus beiden Genres und mixen sie kräftig durch, um daraus eine spannende Mischung zu machen. Es wird nicht so stark um Politik gehen (wobei die natürlich auch eine Rolle spielt); wir greifen stattdessen einige philosophische Themen auf.
Erik Schreiber:
Du hast mit Verena Stöcklein zusammen geschrieben. Ist die Zusammenarbeit mit ihr Zufall oder Absicht gewesen?
Thomas Plischke:
Mit Verena sind Ole und ich seit fast 10 Jahren befreundet. Ursprünglich haben wir uns über die Arbeit kennengelernt, sodass es nur konsequent war, dass wir an einigen Werken auch sehr eng zusammengearbeitet haben. Eines Tages haben wir dann alle drei festgestellt, dass da noch mehr als nur Freundschaft und Kollegialität ist, weshalb wir seit nunmehr fünf Jahren auch eine romantische Beziehung zu dritt führen. Auch wenn wir privat immer enger zusammengerückt sind, haben sich unsere beruflichen Wege inzwischen etwas auseinanderentwickelt. Verena liegt einfach nicht soviel am Schreiben wie Ole und mir, und daher versucht sie sich gerade (sehr erfolgreich übrigens) in der weiten Welt der Wirtschaft. Während uns indes kaum Zeit fürs Rollenspiel mehr bleibt, hat Verena gleich mehrere Runden laufen, an denen sie regelmäßig als Spielerin und Spielleiterin mitwirkt.
Erik Schreiber:
Das Titelbild ist sehr eindeutig. Auch wenn der Zwerg keine Pickelhaube trägt, hat er für mich etwas ‚Preußisches’. Welchen Einfluss hattest Du als Autor auf das Titelbild?
Thomas Plischke:
Sehr viel, und das ist wohl im Buchbereich eher ungewöhnlich. Es gab anfänglich ein paar Probleme, und sogar ein falsches Cover war eine Zeit lang im Umlauf! Daraufhin durften wir dann einen Illustrator vorschlagen, und da wir Henrik um zwei Ecken schon kannten, konnten wir uns auch direkt mit ihm abstimmen. Das war wirklich großartig, wobei der Verlag aber noch ein paar sehr gute und wichtige Veränderungen vorgeschlagen hat.
Erik Schreiber:
Wie jeder gute Fantasy-Roman besitzt das Buch eine Karte. Die ungewöhnliche Darstellung hat mich sofort gefesselt. Wie kam der Kartenmaler auf diese Art der Darstellung?
Thomas Plischke:
Durch meine Arbeit im Rollenspielbereich kannte ich Tobias Mannewitz - und für mich war von Anfang an klar, dass ich eine Karte von ihm wollte. Er ist einfach ein Genie, was die Umsetzung von Karten angeht und hat auch schon einiges an Erfahrung in diesem Bereich.
Von ihm kamen dann auch viele Vorschläge bezüglich der Gestaltung und Aufmachung - insbesondere die Polzentrierung war seine Idee.
Erik Schreiber:
Bist Du mit der Darstellung zufrieden?
Thomas Plischke:
Unbedingt. Im zweiten Teil gibt es ja einen etwas anderen Ausschnitt, bei dem man mehr von den Zerrissenen Reichen sieht. Tobi hat einfach das Zwergische sehr gut getroffen und sich angenehm von ‚klassischen’ Fantasykarten abgesetzt, die man mit ihrem mittelalterlichen Stil fast überall zu sehen bekommt.
Erik Schreiber:
Betrachtet man die Karte, dann ist es gerade einmal die Nordhalbkugel einer Welt, mit vielen leeren Seeflächen. Was erwartet uns auf der Südhalbkugel?
Thomas Plischke:
Wenn oben die Zwerge sind, wer ist dann wohl unten? Da es sich um eine typisch selbstverliebte, zwergische Karte handelt, fehlen natürlich einige wichtige Teile der Welt. Aber die gewinnen erst in späteren Bänden an Bedeutung. Eventuell wird es dafür dann auch eine ganz andere Karte geben, die nicht von einem Zwerg stammt und dementsprechend einen anderen Stil aufweist
Erik Schreiber:
Du hattest von einer ‚parallelen Reihe’ gesprochen, die kommen soll. Wird aus dem Süden der Welt eine Invasionsflotte auftauchen? Oder spielt sie sonst noch eine Rolle?
Thomas Plischke:
Die parallele Reihe spielt in einer ganz anderen Welt und hat natürlich auch ganz andere Themen - das ‚parallel` bezog sich vielmehr auf die Veröffentlichung. Nach den oben erwähnten sieben Bänden, die ja eine fortlaufende Geschichte erzählen, werde ich die Welt der „Zerrissenen Reiche“ also erstmal zurücklassen. Wenn die Reihe unglaublich erfolgreich wird, dann hat Ole, glaube ich, sogar schon ein paar Pläne für eine potenzielle Nachfolgereihe in der gleichen Welt in einer seiner Schubladen, doch das wird dann ganz sicher eine sehr andere Geschichte.
Die Südhalbkugel werden die Leser aber im Rahmen der „Zerrissenen Reiche“-Reihe auch noch kennen lernen. Nur den Südpol selbst werden wir wahrscheinlich außen vor lassen: Es gibt zwar recht genaue Planungen, was dort vor sich geht, aber wenn wir das auch noch hineinbrächten, würde es wohl einfach zu viel des Guten und wir bräuchten noch mehr Bände. Endlosreihen sind mir persönlich zuwider, lieber mag ich einen klaren Abschluss und einen konkreten Neuanfang.