Ein Interview mit Stephan Bellem
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Erik Schreiber:
Hallo Stephan, vielen Dank dafür, dass Du Dir ein wenig Zeit nimmst, um ein paar Fragen zu beantworten.
Die übliche Frage lautet ja: Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Wenn ich mir ansehe, was und wie Du schreibst, würde ich sagen, Du kommst aus dem Rollenspielbereich. Zum einen die normalen Fantasy-Rollenspiele, zum anderen Warhammer Fantasy. Ist das richtig?
Stephan Bellem:
Ja, das stimmt. Als ich so zwölf Jahre alt war, entdeckte ich Das Schwarze Auge und etwa zeitgleich auch R. A. Salvatores Vergessene Reiche. Da ich mir als Spielleiter gerne eigene Abenteuer ausdachte und die dann immer länger wurden, kam das Schreiben quasi schleichend über mich. „Kanduras“ sollte der Titel für ein eigenes Rollenspiel werden, doch über die Landkarte und den Hintergrund kam ich nie hinaus. Als dann die Spielgruppe sich langsam auflöste, begann ich in der von mir erdachten Welt kürzere Geschichten für mich selbst zu schreiben. Und dann startete das ehrgeizige Projekt, eine Reihe zu beginnen, aus der jetzt (erstmal) eine Trilogie geworden ist.
Erik Schreiber:
Da muss ich gleich einmal nachhaken. Du schreibst "erst mal". Bedeutet das, dass Du weitere Ideen hast, den Kontinent Kanduras zu beleben?
Stephan Bellem:
Ja, die habe ich. Ob sich die alle umsetzen lassen, ist die andere Frage. Kommt natürlich auch darauf an, ob die Leute das lesen wollen. Die Geschichten in Kanduras sind schon recht klassische Fantasy, ein Mix aus High-Fantasy und Sword and Sorcery. Andere Welten, die ich ausforme, werden dann andere Genretypen bedienen, aber das ist alles noch nicht spruchreif. Gib mir noch ein Jahr oder zwei ...
Erik Schreiber:
In der Regel dauert es bei Rollenspielern immer ein wenig, um nicht zu sagen Jahre, bis sie sich entschließen zu schreiben, fertig zu werden und zu veröffentlichen. Sah das bei Dir ähnlich aus?
Stephan Bellem:
Ein wenig ja. Ich hatte bereits mit 14 einmal versucht einen Roman zu beginnen. Ich kam, glaube ich, auf drei A4-Seiten. Ich wählte damals eine geschnörkelte Schrift und es war eine zehn Mann starke Heldentruppe, absolut schrecklich. Aber einige Namen (und nur die) haben die Zeit überdauert. Khalldeg, Gordan und Cordovan sind noch Relikte von damals. Die Arbeit an Tharador begann vor beinahe sechs Jahren. Damals schrieb ich den Roman in einem Storyforum nieder. Alle paar Tage oder auch Wochen kam ein neuer Teil. Irgendwann neben der Ausbildung wurde ich dann fertig. Man merkte dem Projekt deutlich an, dass es eine lange Entstehung hinter sich hatte. Vor allem sprachlich. Direkt nach Vollendung gab es zwei Anschreiben an zwei große Verlage, die natürlich zurecht den Text abwiesen. Erst mal frustriert und zeitlich auch etwas knapper bemessen, wandte ich mich vom Schreiben ab. Ein Jahr später packte es mich aber mit voller Kraft und ich MUSSTE schreiben. Ich überarbeitete den Roman vollständig, gönnte mir auch zwei Testleser und ließ fleißig korrigieren. Parallel dazu arbeitete ich an der ganzen Reihe weiter. Und seitdem ist der Knoten quasi geplatzt. Die Grundfassung des zweiten Bandes entstand innerhalb von sechs Monaten und ich finde jeden Tag besser in meinen persönlichen Rhythmus hinein.
Erik Schreiber:
Du studierst hauptsächlich, hast sicherlich eine Freundin, einen großen Bekanntenkreis, wenn ich das mal so als gegeben hinstellen darf. Wann schreibst Du?
Stephan Bellem:
Früher schrieb ich meistens nachts. Letztes Jahr, nachdem ich den Vertrag bekommen hatte, habe ich das Schreiben ein wenig vor das Studium gestellt, um mehr Zeit dafür zu haben. Liege aber dennoch im Zeitplan für beides. Heute teile ich das besser ein. An den vorlesungsfreien Tagen schreibe ich 4-6 Stunden. Ansonsten nur, wenn ich Ideen habe, die ich unbedingt loswerden muss.
Erik Schreiber:
Bist Du ganz auf Fantasy ausgerichtet oder schreibst Du noch in anderen Genres?
Stephan Bellem:
Ja und nein. Ich plane gerade ein Projekt, das ein Thriller in einer Fantasywelt werden soll. Möglicherweise gar ein Spin-Off in Kanduras. Eine Idee für eine Sci-Fi-Geschichte trage ich auch mit mir herum, aber generell bleibt es Fantasy mit all seinen Subgenres. Es geht bei mir nicht ohne Schwert.
Erik Schreiber:
Die letzte Aussage bedeutet aber auch, es ist eine gewalttätige Fantasy. Kannst Du Dir vorstellen, eine Erzählung zu schreiben, die mehr über eine "beeinflussende Magie und Hexerei" oder aber über eine weniger "schwertlastige" Fantasy gesteuert wird?
Stephan Bellem:
Weniger schwertlastig? Geht so was denn? (lacht) Sicher, möglich ist alles. Das erwähnte Spin-Off wäre etwas weniger archaisch. Magie und Hexerei versuche ich meistens eher sparsam einzusetzen. Vor allem, wenn man mächtige Magier wie Xandor beschreibt, dann läuft man Gefahr, dass sie alles können. Eigentlich zaubert Xandor sehr wenig für seine Macht. Und auch Magier unterliegen klaren Grenzen. Eine andere Geschichte, an der ich gerade arbeite, kommt größtenteils ohne Magie aus, die dann sogar in eine ganz andere Richtung geht. Aber davon irgendwann mal mehr, momentan ist das noch in den Kinderschuhen.
Erik Schreiber:
Ich komme jetzt mal auf Deine Welt Kanduras zu sprechen und damit zum eigentlichen Grund meines Wissensdurstes. Ist diese Welt für Tharador entstanden oder ist sie ein Teil Deiner Rollenspielkampagne?
Stephan Bellem:
Wie ich bereits kurz erwähnte, entstand die Welt bereits vor der Romanidee, als Grundgerüst für ein eigenes Rollenspiel. Für dieses gab es aber niemals Regeln und dann wurde die Welt mit Hintergrund geschmückt, wie einer eigenen und umfangreichen Mythologie. Als das alles fertig war und klar wurde, dass ich kein Regelwerk erschaffe, sondern einfach „nur“ eine komplette Welt, begann ich die Geschichte um Tharador zu spinnen.
Erik Schreiber:
Du entlässt den Leser gleich in eine recht flotte Handlung, wobei mir persönlich der Prolog überflüssig vorkam, den Inhalt hätte man in die laufende Handlung einbeziehen können. Ist Tharador eine Deiner Rollenspielfiguren?
Stephan Bellem:
Nein, Tharador gab es niemals als Rollenspielfigur. Lustig, dass der Prolog dir nicht gefiel, ich habe ihn absichtlich als Mini-Vorgeschichte genutzt. In Band zwei wird es einen ähnlichen Prolog geben, der uns mehr über die Vorgeschichte einer anderen Person sagt. Diese Vorgeschichte wird aber auch wieder nur indirekt wichtig sein.
Erik Schreiber:
Tharador ist gleich zu Anfang der Sympathieträger. Andererseits ist er ein Gesetzesbrecher, da er desertiert. Du gehst damit den Weg, nicht jeder Gute ist nur gut und nicht jeder Böse ist gleich böse. In welcher Hinsicht werden sich Deine Handlungsträger weiterentwickeln. Was wird der Leser erwarten können?
Stephan Bellem:
Dergeron wird in Band zwei eine recht steile Karriere hinlegen, als Beispiel. Ich versuche meine Figuren nicht nur eindimensional zu gestalten, deshalb auch die viele Grübelei bei Tharador. Was die weiteren Wendungen angeht, so werden noch einige Figuren nicht ganz klar einzuschätzen sein. Aber das werden die Leser schon bald herausfinden.
Erik Schreiber:
Trotz der Vielzahl der Figuren, die in der Erzählung auftreten, erscheint mir die tragische Gestalt des Orkhäuptlings Ul'goth noch am sympathischsten. Gehe ich recht in der Annahme, dass Du dieser Person noch bedeutendere Rollen zuteilen wirst?
Stephan Bellem:
Ul’goth wird definitiv eine sehr wichtige Figur werden und er ist auch einer meiner Lieblinge. Und in Teil zwei werden den Leser auch noch mehr Figuren erwarten.
Erik Schreiber:
Wenn noch mehr Figuren hinzukommen werden, wird man auch ganz Abschied nehmen von liebgewonnenen Figuren?
Stephan Bellem:
Ja. Definitiv. Wer alles wann gehen muss, wird aber nicht verraten.
Erik Schreiber:
Tarvin Xandor wird als der böse Magier dargestellt, aber später nimmt ihn sein alter Meister in Schutz und erzählt etwas von „schwerer Kindheit“. Das ist das typische Klischee, das man anwendet. Erwartet mich nachher ein geläuteter Xandor?
Stephan Bellem:
Stimmt, Xandor ist das Klischee. Eines der Klischees, die mir gefallen und die ich darum gerne benutze. Aber ein geläuterter Xandor? Ich denke nicht, dass das funktionieren würde. Er hält sich selbst für so übermächtig, da ist kein Platz für Selbstzweifel.
Erik Schreiber:
Wenn ich mir die Handlung, die Handlungsträger und die bisher gemachten Aussagen und Hinweise im Roman ansehe, steht uns sicher noch die eine oder andere Überraschung bevor. Wenn ich ein wenig spekulieren darf: Ich selbst könnte mir vorstellen, dass plötzlich Tharador und die Menschen mit Ul'goth und den Orks und dem Magier Tarvin Xandor gegen eine neue Gefahr antreten. Liege ich richtig?
Stephan Bellem:
Fast, denn Xandor ist vermutlich verhindert, wenn die anderen sich treffen, oder es sagt ihm einfach niemand Bescheid.
Erik Schreiber:
Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren sind Deine ‚Fremdvölker’ sehr menschlich beschrieben. Für dich sind sie also gleichberechtigte Lebensformen?
Stephan Bellem:
Auf jeden Fall. Es gibt zwar auch einige Völker, die nicht so menschlich sind, aber die denkenden Rassen, die eine Kultur entwickelt haben, sind eben keine wilden Tiere. Dass diese Völker sich ähneln, hängt auch ein wenig mit dem mythologischen Hintergrund zusammen. Alle Götter waren Geschwister und brachten den sterblichen, niederen Völkern eine Einheit. Sie adoptierten diese Völker und führten sie durch die dunkle Vorzeit.
Erik Schreiber:
Von dieser dunklen Vorzeit hat man aber noch nicht sehr viel mitbekommen. Auf welcher Grundlage entstanden die Völker und wie muss man sie diese Adoption vorstellen?
Stephan Bellem:
Wie die einzelnen Völker entstanden, darüber ist nichts mehr bekannt. Fakt ist, dass sie existierten und von dem Volk der Elementare unterjocht waren. Die Elementare waren aufgeteilt in die vier Elementarprinzen (Erde, Feuer, Wasser, Luft), ihre Untertanen und den absoluten Herrscher, der alle vier Elemente in sich vereint, das Tetrament. Eines Tages erscheint Aurelion auf Kanduras. Hier beginnt die Zeitrechnung. Ihm gefällt das Land, aber es wäre ohne Bewohner noch sehr viel schöner. Seine Macht ist der des Tetraments ebenbürtig, aber die Feinde sind zu zahlreich. Daraufhin erschafft er die ersten Götter, Kanduri. In der Sprache der Götter steht Kandu für das Licht, Karand für die Dunkelheit und Ras bedeutet Sohn. Mittlerweile kann ich auch verraten, dass Suld Engel bedeutet und Suldras eben für Engelssohn steht (zwinker).
Zurück zu den Kanduri. Man muss sich Aurelion und die Kanduri als Wesen aus Licht vorstellen. Die Kanduri erkennen, dass sie auch gemeinsam dem Feind nicht gewachsen sind, und ändern ein jeder ihre Gestalt, um die niederen Völker anzuführen. Aurelion muss nach der Erschaffung der Kinder erst mal viele Jahre schlafen, um sich zu erholen. Als er wieder erwacht, haben seine Kinder die Elemente besiegt, sich aber mit den niederen Völkern verbündet. Die Kanduri kämpfen gegen den Göttervater. Der wird ob des Verrats verrückt und erschafft nach seiner Verbannung in die Niederhöllen die Dämonen, Aureliten genannt. Einige der Kanduri wechseln die Seiten, wie der Gott der Goblins. Das wäre die ganz, ganz kurze Version der 6.000 Jahre Geschichte des Kontinents.
Erik Schreiber:
Unter diesem Vorzeichen behandelst Du die Fremdvölker und ihre Fredartigkeit nur über deren persönliche und kulturelle Eigenschaften?
Stephan Bellem:
Richtig, ebenso wie ihre physiologischen Unterschiede. Beispielsweise lieben kandurische Zwerge lange warme Bäder, aber hassen fließende Gewässer, da sie staturbedingt miserable Schwimmer abgeben.
Erik Schreiber:
Aber dann könnten die doch am Grund entlanglaufen und müssten nur lang genug die Luft anhalten. Ich wollte mit dieser Aussage nur den fehlenden Humor andeuten. Ich vermisse ihn etwas, oder er kommt bei mir nicht recht an.
Stephan Bellem:
Gibt es etwas Witzigeres als Goblins, die Katapulte haben? Oder in Teil 2 versuchen eine eigene Kavallerie aufzubauen? Humor ist schwierig. Ich persönlich empfand ihn als ausreichend. Und gerade Khalldeg, der in Teil 1 noch etwas im Hintergrund steht, sollte nicht zusätzlich noch komisch bis lächerlich wirken. Die Goblins waren meine Wahl, für die Lacher zu sorgen, aber generell ist es ja eine ernste Geschichte.
Erik Schreiber:
Tharador entpuppt sich als junger Mann, der ein Paladin werden soll, aber eher zufällig davon erfährt. Ul'goth, König der Orks, ist in einer Lage, die ihn als Marionette zeigt, die aber aufbegehren will. Der Zwerg Khalldeg erinnert an den Warhammer-Zwerg Gortek, der Magier Gordan erinnert an Gandalf und ähnliche Magier in vergleichbarer Posititon, und andere Ähnlichkeiten mehr. Wie entstanden Deine Handlungsträger und wer sind die tatsächlichen Vorbilder für Deine Figuren?
Stephan Bellem:
Tatsächliche Vorbilder gibt es sehr wenige. Zumindest keine konkreten Figuren, eher Archetypen. Gordan beispielsweise ist nicht an Gandalf, sondern an den weisen Mentor angelehnt. Er wird auch eine ganz andere Rolle einnehmen als Gandalf im Herrn der Ringe. Die Ähnlichkeit zwischen Gotrek und Khalldeg bzw. Slayern und Berserkern, ebenso die Schlachtenwüter aus den Vergessenen Reichen, ist wohl schwer von der Hand zu weisen. Wobei gerade Khalldeg noch eine Menge mehr Raum erhalten wird in den Folgebänden, die ihn genauer charakterisieren.
Erik Schreiber:
Empfindest Du es als Last, wenn jemand damit beginnt, Vergleiche zu führen?
Stephan Bellem:
Ja und nein. Es ist natürlich nur logisch, dass man mit anderen verglichen wird, aber das ist nicht immer schmeichelhaft. Häufig läuft es leider unter der „schon wieder so wie bei xxx“-Schiene und dann ärgert es ein wenig. Andererseits ist es natürlich eine Ehre, mit großen Namen verglichen zu werden und dabei gut abzuschneiden. Vergleiche sind aber unumgänglich. Schließlich sind die Grundthemen, wie Freundschaft, der Kampf Gut gegen Böse, nichts Neues, und somit geht es in jedem neuen Buch eigentlich nur darum, ein altes Thema in einer neuen Geschichte zu erzählen. Da können Vergleiche nicht ausbleiben.
Erik Schreiber:
Ich versuche weniger die Autoren zu vergleichen, als das, was sie schreiben. Wenn Du selbst vergleichen würdest, in welcher Tradition würdest Du dich sehen? In der von Autoren, die Abenteuerfantasy schreiben, Schwert und Magie, oder eher die epische Fantasy?
Stephan Bellem:
Ich denke es ist so 70:30 Abenteuer:Epik. Ich persönlich mache mir da aber kaum Gedanken drüber. Die Ereignisse werden sicherlich den kleinen Kartenausschnitt grundlegend verändern, aber es bleibt dennoch die Geschichte um einige Individuen.
Erik Schreiber:
Wie zufrieden bist Du mit dem Titelbild und der Karte? Wer malte sie und nach welchen Vorlagen?
Stephan Bellem:
Das Titelbild stammte von Herrn Balaz, die Karte von Herrn Pesch. Beide haben fantastische Arbeit geleistet. Herr Pesch, indem er meine dilettantische Skizze umgesetzt hat, und Herr Balaz, der meine Vision des Covers perfekt umsetzte. Die Ideen stammten also von mir und mein Dank an den Verlag, dass man mir dabei so entgegenkam.
Erik Schreiber:
Helmut Pesch ist neben Erhard Ringer der meistbeschäftigte Kartenzeichner der Fantasy. War es Deine Idee oder eher die von Michael Krug mit seinen Beziehungen zum Bastei Verlag, wo Helmut arbeitet?
Stephan Bellem:
Da der Verlag solche Entscheidungen trifft, war es ganz allein Michael Krugs Verdienst, dass Helmut die Karte zeichnete, die wirklich sehr gelungen ist. Ich hoffe, dass er auch etwaige Erweiterungen des Kontinents übernimmt.
Erik Schreiber:
Vielen Dank, Stephan, für Deine ausführlichen Antworten. Ich wünsche Dir viel Erfolg mit Deinem Roman und natürlich viele Leser, die auf die nächsten Romane warten.