Gesa Schwartz wurde 1980 in Stade geboren. Sie hat Deutsche Philologie, Philosophie und Deutsch als Fremdsprache studiert. Ihr besonderes Interesse galt seit jeher dem Genre der Phantastik. Nach ihrem Abschluss begab sie sich auf eine einjährige Reise durch Europa auf den Spuren der alten Geschichtenerzähler. Zurzeit lebt sie in der Nähe von Hamburg in einem Zirkuswagen. Mehr Informationen zu Gesa Schwartz auf ihrer offiziellen Homepage: www.gesa-schwartz.de Das Interview: Eine neue Autorin erscheint auf der Bühne der Literaten und nimmt sich des phantastischen Genres mit dem Thema Gargoyles an, um die eher unbekannteren Fabelwesen bekannter zu machen und vorzustellen. Ein Interview von Erik Schreiber |
Bereits in der Romanik und später in der Gotik und Renaissance verwendeten die Baumeister, insbesondere bei größeren Kirchengebäuden, häufig dämonische Gestalten oder Tiere in einer symbolischen Bedeutung. Da sie sich als Wasserspeier an der Außenfassade der Kirchen und verständlicherweise niemals innen befinden, symbolisieren sie den Einfluss des Teufels auf die irdische Welt, der im Kontrast zur Reinheit des Himmelsreiches - symbolisiert durch das Innere der Kirche - steht. Diese Wasser speienden Wesen werden Gargoyle, auch Gargylen, genannt und haben den Ruf, Beschützer zu sein. Ihr dämonisches Aussehen soll den Geistern und Dämonen einen Spiegel vorhalten, soll sie vergraulen und somit Kirchen und Klöster vor bösen Mächten schützen. Gargoyle werden oft mit animalischem Körper und Gesicht dargestellt, seltener mit menschenähnlichem Körper und dämonischen Gesichtszügen. Häufig haben sie Schwingen, mit denen sie aber laut Mythologie nicht fliegen, sondern nur gleiten können. Gargoyle besitzen mächtige, dreifingrige Klauen und sind, wie Drachen, sechsgliedrige Lebewesen.
Erik Schreiber:
Hallo Gesa, vielen Dank, dass Du Dir ein wenig Zeit nimmst, um mir ein paar Fragen zu beantworten. Seit Deinem erfolgreichen Erstlingswerk musstest Du sicherlich viele Fragen beantworten. Ich fange also einmal ganz vorne an. Welches besondere Ereignis sorgte dafür, dass Du überhaupt zu schreiben begonnen hast?
Gesa Schwartz:
Da gab es kein besonderes Ereignis. Seit ich denken kann, erzähle ich Geschichten, und ich schreibe sie auf, seitdem ich dazu in der Lage bin. Das Schreiben ist ein elementarer Bestandteil meines Lebens, ohne den ich mir mein Dasein nicht vorstellen möchte.
Erik Schreiber:
Daraus ergab sich für Dich der Berufswunsch, eine Autorin zu werden?
Gesa Schwartz:
Vielleicht ist es ein wenig so, wie Michael Ende in Jim Knopf schreibt: Ein richtiger Lokomotivführer will Lokomotivführer werden und sonst gar nichts. Dass es bei mir dennoch ein langer Weg war bis zum Beruf der Schriftstellerin, kann man auf meiner Homepage nachlesen.
Erik Schreiber:
Du erwähnst den 1995 verstorbenen Autoren Michael Ende. Ist er ein Vorbild für Dich?
Gesa Schwartz:
Obwohl ich in Bezug auf das Schreiben selbst keine Vorbilder habe, ist Michael Ende jemand, den ich sehr bewundere, und das in vielerlei Hinsicht, ja. Er ist nicht nur ein Meister des Freien Spiels, sondern er steht auch für eine Kunstauffassung und für philosophische Konzepte, die den meinen sehr nah kommen.
Erik Schreiber:
Fühlst Du Dich als Autorin nicht nur als eine unter vielen?
Gesa Schwartz:
Nein, zumindest nicht im negativen Sinn. Jede Geschichte ist einzigartig, ebenso wie jeder Mensch.
Erik Schreiber:
Das ist gar nicht negativ gemeint. Nur wenn Hunderte schreiben, ist es schwierig, die Perlen, oder außergewöhnliche Geschichten, zu finden. Was liest Du persönlich?
Gesa Schwartz:
Was ist eine außergewöhnliche Geschichte? Außergewöhnlichkeit gehört doch besonders in der Kunst zu den subjektivsten Dingen, die es gibt. Aber es stimmt: In der Flut an Neuerscheinungen als Debütant nicht unterzugehen, ist nicht so leicht - ebenso wie es für den Leser nicht einfach ist, die passende Geschichte für sich herauszufinden. Ich habe bezüglich meiner Lesevorlieben keine Einschränkung, lese also alles, was mir begegnet. Immer gern lese ich allerdings Goethe, Thomas Mann, Michael Ende, ebenso wie ein paar Philosophen (gerade zum Beispiel Nietzsche und Rousseau). Und auch Neil Gaiman, Tad Williams und Alan Moore dürfen nicht fehlen.
Erik Schreiber:
Hast Du bereits vor Grim Texte veröffentlicht, und wo?
Gesa Schwartz:
Ich habe in verschiedenen Literaturzeitschriften und Anthologien zuvor Texte veröffentlicht, die allerdings nicht dem Genre der Phantastik zugeordnet sind.
Erik Schreiber:
Wie oft hast Du Grim angeboten, bis ein Verlag sich dafür wirklich interessierte?
Gesa Schwartz:
Meine Agentur hat die Vermittlungsarbeit übernommen, während der es dann zur Auktion um Grim kam, bei der Lyx schließlich den Zuschlag erhalten hat.
Erik Schreiber:
Wieviel Zeit hast Du dann noch einmal investieren müssen, um das Buch zu überarbeiten, bis der Lektor / die Lektorin zufrieden war?
Gesa Schwartz:
Wieviel Zeit das genau war, weiß ich nicht mehr. Aber die Zusammenarbeit mit meiner Lektorin verlief ausgesprochen gut. Es musste nicht viel geändert werden - aber genau das Richtige.
Erik Schreiber:
Wie kamst Du auf die Idee zu Grim? Was war das auslösende Ereignis?
Gesa Schwartz:
Das auslösende Ereignis war ein Bild, das eines Nachts in mir auftauchte, und zwar war das eine steinerne Gestalt mit gewaltigen Schwingen hoch über den Dächern von Paris. Hierbei handelte es sich um Grim, und als er mir seinen Namen nannte, wusste ich, dass ich seine Geschichte erfahren und erzählen möchte.
Erik Schreiber:
Welche Rolle spielt für Dich Paris? Warst Du schon dort?
Gesa Schwartz:
Ich war schon sehr oft in Paris und die Stadt ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes phantastisch. Als Geburtsstadt der gotischen Wasserspeier eignet sie sich natürlich ideal als Setting für Grim, aber auch darüber hinaus passt sie hervorragend zur Geschichte, denn sie hat den gleichen Rhythmus und Atem wie meine Erzählung.
Erik Schreiber:
Wird Paris für Dich der Ausgangsort für weitere Geschichten bleiben, zumal Grim mehr oder weniger gebunden ist an seinen ‚Job’ als Wasserspeier? Oder wirst Du Dich der Geschichte von Paris annehmen?
Gesa Schwartz:
Grim ist ja kein Wasserspeier, und äußerlich daher höchstens durch seine Arbeit für die OGP an die Stadt gebunden. Innerlich verbindet ihn natürlich sehr viel mit Ghrogonia, die Stadt ist ihm sehr ähnlich, wie im Laufe der Geschichte deutlich wird. Paris wird auch in den folgenden Bänden eine wichtige Rolle spielen, einfach auch weil Ghrogonia die Hauptstadt der Anderwelt ist und daher interessante Dinge häufig dort geschehen oder zusammenlaufen. Die Geschichte von Paris ist sehr spannend und wird möglicherweise noch stärkeres Gewicht bekommen. Schon im ersten Band war es mir wichtig, die Hintergründe bestimmter Orte und Gegebenheiten gründlich zu recherchieren. Ein Beispiel ist hier das Hôtel Raoul, das eine interessante Geschichte hinter sich hat und dessen noch vorhandenes Eingangsportal in Grim eine entscheidende Rolle spielt - ebenso wie alles, was (möglicherweise tatsächlich) dahinter liegt.
Erik Schreiber:
Hast Du die Schauplätze selbst besucht und nach welchen Merkmalen suchtest Du sie aus?
Gesa Schwartz:
Ich habe sehr intensiv für Grim recherchiert und die Schauplätze so weit wie möglich selbst besucht. Auf meiner Homepage kann man einen Einblick in meine Recherchearbeit gewinnen. Ich suche mir die Schauplätze nicht im eigentlichen Sinn aus, da es mir sehr wichtig ist, dass sich die Geschichte von innen, d. h. aus sich selbst heraus, entwickelt. Im glücklichsten Fall begebe ich mich nach der Konzipierung der Geschichte mit meinen Figuren auf ihr Abenteuer und nicht nur einmal wurde ich dabei an Orte geführt, die ich mir zuvor nicht einmal hätte vorstellen können.
Erik Schreiber:
Grim ist eine ganz besondere Person, wenn man ihn als solche sehen möchte. Warum schilderst Du ihn so anders?
Gesa Schwartz:
Ich habe Grim so beschrieben, wie er sich mir gezeigt hat. Er ist tatsächlich eine sehr besondere Figur. Seine Vielschichtigkeit ist nicht ohne weiteres zu durchdringen, und noch immer verbirgt er Geheimnisse in sich, von denen nicht einmal er selbst etwas Genaueres weiß. Eines Tages, so hoffe ich, wird er sie erkunden und mich auf diese Reise mitnehmen.
Erik Schreiber:
Hast Du Dich genauer über Gargoyles informiert, bevor Du die Geschichte von Grim niedergeschrieben hast?
Gesa Schwartz:
Ja, ich habe auch bezüglich der Gargoyles sehr viel recherchiert. In anderen Interviews habe ich bereits einiges über meine Faszination für Gargoyles erzählt. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht wiederholen, aber auf meiner Homepage findet man die Links dorthin.
Erik Schreiber:
In Grim stecken scheinbar noch ein paar Geheimnisse. Ich habe das Gefühl, du hast noch nicht alles erzählt.
Gesa Schwartz:
Hm, was soll ich dazu sagen außer: Das ist wahr. :)
Erik Schreiber:
War es schwer, in die neue Welt einzutauchen?
Gesa Schwartz:
Nein, es war in jeder Hinsicht ein phantastisches Abenteuer.
Erik Schreiber:
Welches Vorbild hat Ghrogonia?
Gesa Schwartz:
Ghrogonia hat kein Vorbild. Ich habe die Stadt gemeinsam mit Mia kennen gelernt, ohne zuvor großartig zu planen - und diese Methode war für mich genau richtig. Nur so konnte ich die Atmosphäre der Stadt so wahrnehmen, wie sie in der Geschichte beschrieben wird.
Erik Schreiber:
Neben Grim treten noch viele andere Wesen auf. Wie hältst Du sie auseinander?
Gesa Schwartz:
In einem anderen Interview sagte ich einmal, dass ich in all meinen Figuren stecke, ähnlich einem zerbrochenen Mosaik, dessen Einzelteile nun von verschiedenen Wesen beherbergt werden. Ich kenne meine Figuren sehr genau, habe mir selbst über die Nebencharaktere intensive Gedanken gemacht und jeden einzelnen mit einer detaillierten Vergangenheit und einem vielschichtigen Innenleben ausgestattet, selbst wenn ich dieses noch nicht bei allen Figuren zeigen konnte, weil es die Geschichte nicht erfordert hat. Das Problem, sie auseinander zu halten, stellt sich mir daher nicht. Darüber hinaus erlebe ich die Abenteuer meiner Figuren sozusagen mit ihnen Hand in Hand. Da fällt es schwer, sich aus den Augen zu verlieren.
Erik Schreiber:
Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie verschwimmen bei Dir. Neben dem Paris unserer Welt spielt ein Teil der Handlung in einer anderen Welt, ähnlich einem verfremdeten Spiegelbild. Wie entstand die Welt?
Gesa Schwartz:
Auch diese Welt entstand aus der Geschichte heraus. Bis zu der Szene, da sich meine Figuren in diese Welt begeben, wusste ich nicht, dass der Riss der Vrataten tatsächlich genau das ist: ein düsterer, sardonischer Ort, ein Zerrbild unserer Realität.
Erik Schreiber:
So wie die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie verschwimmen, so ist Gut und Böse nicht wirklich eindeutig. Gibt es für Dich diese Eindeutigkeit nicht?
Gesa Schwartz:
Doch, diese Eindeutigkeit gibt es für mich durchaus, allerdings entspringt sie immer dem subjektiven Empfinden, und dem verweigere ich mich als Geschichtenerzählerin in der Funktion meines Berufs. Ich bin noch nie gern den einfachen Weg gegangen, und in gewisser Weise mangelt es einer reinen Schwarzweiß-Malerei stets an Tiefe und Vielschichtigkeit. Beides ist mir aber sehr wichtig und es ist für mich überaus interessant, die Graustufen zwischen den Extremen zu beleuchten oder in die Abgründe des Bösen oder auch Guten hinabzusteigen und mich überraschen zu lassen von dem, was ich dort finde.
Erik Schreiber:
Grim ist ein Mitglied der OGP und des GBG. Kannst Du das mal ein wenig näher erklären?
Gesa Schwartz:
Grim ist Mitglied der Obersten Gargoyle Polizei, der anderweltlichen Polizei, und vertritt somit das Gesetzbuch der Gargoyles. Humor, Ironie und Sarkasmus sind wichtige Instrumente sowohl für Grim als auch für mich selbst, um die anderweltliche Gesellschaft zu beschreiben und darzustellen. Grim ist als ranghoher Schattenflügler der Obersten Gargoyle Polizei Ghrogonias verpflichtet, das Gesetzbuch der Gargoyles zu vertreten. Dass er in vielerlei Hinsicht mit den Regeln der steinernen Gesellschaft auf Kriegsfuß steht, wird bereits früh in der Geschichte deutlich und in ihrem weiteren Verlauf auf ein innerliches Fundament gestellt, das Grim erst am Ende des Abenteuers vollständig begreifen kann.
Erik Schreiber:
Warum eine Polizeieinheit? Gab es keine andere Möglichkeit einer Wächterorganisation?
Gesa Schwartz:
Die OGP passt als bürokratisches Ungetüm genau in die Gesellschaft der Anderwelt, wie ich sie zu Beginn der Geschichte darstelle. Diese Organisation ist wie die Anderwelt Ghrogonias düster und in gewisser Weise erstarrt. Sie ist ein überwachendes, eiskaltes Monstrum, das seine Existenzberechtigung in dieser Form aus Furcht, Neid und Hass gewinnt und dessen Zeit an sich schon lange abgelaufen ist.
Erik Schreiber:
Das heißt, Du hast Dir die Bundesrepublik Deutschland und vor allem die Agentur für Arbeit als Vorbild genommen?
Gesa Schwartz:
;o) Ich denke, dass es vor allem in den sogenannten industrialisierten und technisierten Nationen wenig Länder und/oder staatliche Einrichtungen gibt, auf die eine solche Beschreibung nicht zumindest in Ansätzen passen würde.
Erik Schreiber:
Wenn ich das Buch ganz bewusst lese und mir die Mühe mache, Deine Gedanken zu hinterfragen, finde ich doch einiges an Gesellschaftskritik. Ist dies gewollt?
Gesa Schwartz:
Ich habe mich nicht hingesetzt und mir überlegt, dass ich jetzt mal unterschwellig dies und jenes kritisieren könnte. Das hat sich aus der Geschichte selbst entwickelt, und da dies Themen sind, die mich selbst sehr beschäftigen, habe ich sie natürlich aufgegriffen und gestaltet. In erster Linie möchte ich Geschichten erzählen, ihnen gerecht werden, sie so erzählen, wie sie es verdienen. Ich lese selbst ungern Geschichten, in denen man - wie Bastian in der Unendlichen Geschichte sagt - „zu was gekriegt werden“ soll, und solche Geschichten möchte ich auch nicht schreiben. Unbedingt möchte ich aber durch die Geschichten, die ich lese, zum Nachdenken gebracht werden, und ich freue mich, wenn meine Geschichten das ebenfalls beim Leser bewirken könnten. Denn das ist für mich sicher: Eines der größten Übel unserer Gesellschaft ist die Gedankenlosigkeit.
Erik Schreiber:
Welchen Beruf übst Du aus?
Gesa Schwartz:
Ich bin Schriftstellerin. Nebenher unterrichte ich außerdem Deutsch als Fremdsprache.
Erik Schreiber:
Wie nimmst Du Dir die Zeit zum Schreiben. Jeden Tag zwei Stunden?
Gesa Schwartz:
Nein, damit würde ich nicht auskommen. Ich schreibe in jeder freien Minute.
Erik Schreiber:
Wenn Grim dafür zu sorgen hat, dass kein Mensch von der Anderswelt erfährt und nichts von den phantastischen Bewohnern, warum hat er Dich gewählt, um die Geschichte niederzuschreiben?
Gesa Schwartz:
Eine Antwort auf diese Frage würde vermutlich einiges von der Geschichte verraten. Aber Grim hat sich selbst dazu geäußert. Auf meiner Homepage kann man seine Gedanken dazu in Form eines Briefes nachlesen.
Erik Schreiber:
Was hast Du zu befürchten, hast Du doch gerade allen Menschen die Möglichkeit gegeben, von dieser Welt zu erfahren?
Gesa Schwartz:
Im besten Fall werde ich nach Ghrogonia gebracht. ;) Nein, ich denke nicht, dass ich etwas zu befürchten habe. Wenn ich mir die Welt der Menschen in ihrem jetzigen Zustand ansehe, werden die wenigsten meine Geschichte ernst nehmen. Sollte diese Geschichte dennoch Konsequenzen für mich bedeuten - nun ja, dann vertraue ich darauf, dass Grim sein Versprechen halten wird (was auch immer das bedeutet). :)
Erik Schreiber:
Warum ist das Buch so dick, und gleich ein Mehrteiler?
Gesa Schwartz:
Der Umfang der Geschichte hat sich aus ihr selbst heraus ergeben. Sie hätte nicht auf zweihundert Seiten erzählt werden können. Ein Mehrteiler ist sie allerdings nicht, auch wenn es ein weiteres Abenteuer um Grim und Mia geben wird - sie ist in sich abgeschlossen, und so wird es auch mit der kommenden Geschichte sein.
Erik Schreiber:
Der letzte Satz kommt mir sehr gelegen, denn inzwischen kann ich keine Mehrteiler mehr sehen. Das Problem ist für mich immer: Die Geschichte fängt stark an, hat einen fast langweiligen Mittelteil, bevor die Erzählung zu Ende geht. Kommen wir zum folgenden Buch. Willst Du / Kannst Du darüber schon etwas erzählen? Worum geht es diesmal?
Gesa Schwartz:
Viel darf ich noch nicht verraten, aber Grim und Mia werden erneut in ein Abenteuer verwickelt, das allerdings noch ein wenig rasanter und düsterer wird als das vorangegangene.
Erik Schreiber:
Was liest Du selbst? Hast Du eine Vorliebe?
Gesa Schwartz:
Ich lese sehr viel und mit Leidenschaft. Vorlieben habe ich da nicht, obwohl - doch! Gute Geschichten. ;)
Erik Schreiber:
Kann Literatur die Welt verändern?
Gesa Schwartz:
Wenn ich daran nicht glauben würde, wenn ich nicht wüsste, dass sie mich schon verändert hat und immer noch verändert, wenn ich nicht erfahren hätte, dass die Welt sich verwandelt, wenn man sich selbst verwandelt - und eben dies kann geschehen, wenn man in eine Geschichte eintaucht und dann auf seltsame Weise verändert in die Realität zurückkehrt -, dann würde ich vermutlich keine Zeile mehr schreiben. Meine Geschichten entstehen aus einer inneren Notwendigkeit heraus und ich wüsste nicht, worin diese Notwendigkeit bestehen sollte, wenn nicht in dem Glauben daran, dass Geschichten die Welt verändern können.
Erik Schreiber:
Welche Bedeutung hat Literatur für Dich?
Gesa Schwartz:
Literatur ist eine Magierin, die mich in ihre Welt aus Buchstaben zieht und sie vor meinen Augen und durch mich selbst verwandelt, bis sie mich einmal im Inneren durcheinandergeschüttelt hat und mich dann als etwas Neues, anderes in die äußere Welt zurückschickt.
Erik Schreiber:
Mia ist eine der Hauptpersonen und erfährt erst nach fast 300 Seiten, dass Grim ein Gesetz gebrochen hat, um mit ihr Kontakt aufzunehmen. Hätte sie das nicht schon vorher erahnen können?
Gesa Schwartz:
Das tut sie doch. Grim bricht das Gesetz, um Mia das Leben zu retten, und nicht, um zu ihr Kontakt aufzunehmen. Beide lernen sich auf Seite 254 kennen und auf Seite 258 denkt Mia: „Er hatte sie nicht an die OGP ausgeliefert, obwohl er als Schattenflügler dazu verpflichtet gewesen wäre - und er hatte ihr das Leben gerettet.“ Im späteren Gespräch mit Remis erfährt Mia lediglich, dass dies nicht nur eine verpflichtende Regel oder Sitte ist, sondern ein Gesetz, festgelegt im GBG. Von diesen juristischen Gepflogenheiten hätte sie, die bis vor wenigen Tagen nicht einmal etwas von der Anderwelt wusste, nichts ahnen können.
Erik Schreiber:
Im Prinzip ist Mia aber doch an Grim interessiert. So als Freund und angenehmem Gesprächspartner. Dennoch wirft sie, im Gespräch mit anderen, ihm vor, als Schattenflügler ihr nur den Kopf einschlagen zu wollen. Schließlich hassen die Schattenflügler die Hartids. Du stellst damit das Mädchen etwas zwiespältig dar, was sich durch das ganze Buch zieht. Hast Du Dich noch nicht entscheiden können, welche Rolle Mia spielen soll?
Gesa Schwartz:
Ich denke nicht, dass Mia in ihrer Situation nach einem angenehmen Gesprächspartner oder Freund sucht oder dass sie nach einem einzigen Gespräch mit Grim - und zu diesem Zeitpunkt haben sie sich erst einmal unterhalten - bereits sagen würde, dass sie Interesse an ihm hat. Ihre Gründe, mit ihm zusammen zu arbeiten, nennt sie ja - letztlich hat sie einfach keine andere Wahl. Außerdem wirft Mia ihm das oben Genannte keineswegs vor, sondern verschafft ihrem Gefühlschaos und ihrem körperlichen Schmerz (ausgelöst durch das, was kurz zuvor geschah: „Ihr Kopf knallte gegen etwas Hartes, ihre Hände schürften über den Boden. In ihrem Kopf explodierte der Schmerz, er durchzog ihren Körper wie ein Peitschenhieb.“ (Seite 280), woran Grim nicht gerade unschuldig war) durch Sarkasmus Luft. Wenn man bedenkt, was in der Szene vor dem Gespräch, das du ansprichst, passiert ist, und wie Grim sich da verhalten hat, ist Mias Reaktion verständlich.
Darüber hinaus hat Mia erst vor wenigen Tagen von der Anderwelt erfahren, die eben keine Märchenwelt ist, sondern im Gegenteil grausame und verstörende Züge aufweist. Natürlich hat Mia dann Angst, wenn sie plötzlich einem Schattenflügler gegenübersteht - einem jener Wesen, die ohne Skrupel einen Hybriden in Ghrogonia auf bestialische Weise hingerichtet haben, was sie hautnah miterlebt hat, und dieser Schattenflügler sich dann so verhält, wie Grim es in besagter Szene tut. Mia hat auch die Furcht ihres Bruders vor diesen Wesen erlebt und nicht zuletzt ist sie aufgrund anderer Geschehnisse (die ich hier nicht verraten möchte, um nicht zu spoilern) verständlicherweise innerlich verzweifelt und aufgewühlt. Sie befindet sich in einem Gefühlschaos, ihr gesamtes bisheriges Weltbild wurde mit einem Schlag auf den Kopf gestellt, sie ist hin- und hergerissen zwischen dem, was sie sieht, und dem, was sie fühlt und glauben möchte. Denn auch wenn sie sich einerseits vor Grim als Schattenflügler fürchtet, spürt sie doch, dass mehr in ihm steckt als das, was er nach außen trägt, und dass dieses MEHR eine große Faszination auf sie ausübt. Genau den Zwiespalt, den du nennst, trägt Grim ja in sich und Mia erkennt und empfindet ihn, kann ihn sich aber nicht erklären.
Mias Rolle ist eindeutig umrissen und ihre innere Entwicklung war mir bereits klar, bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe, ebenso wie ihr inneres Schwanken, ihre Unsicherheit und ihre Verzweiflung. Als zwiespältig empfinde ich sie nicht, wohl aber als hin- und hergerissen. Es ging mir nie darum, eine strahlende Heldin zu erschaffen, die problemlos mit allem umgehen kann. Mia ist ein junges Mädchen, das Schreckliches durchgemacht hat und sich jetzt mit Dingen konfrontiert sieht, die Mia einerseits faszinieren, andererseits aber auch überfordern, und Grim gehört in seiner gesamten Schattenhaftigkeit und inneren Zerrissenheit eindeutig dazu.
Erik Schreiber:
Obwohl Mia befürchtet, in Grim nicht unbedingt einen Freund sehen zu können, rettet er ihr nur ein paar Seiten später das Leben und setzt seines aufs Spiel. Und sie sagt nichts dazu. Nicht einmal Danke. Das ist ein bisschen wenig, um eine freundschaftliche Beziehung aufzubauen.
Gesa Schwartz:
Grim rettet Mia vorher das Leben, also bevor sie sich überhaupt kennen lernen. Dessen ist sie sich bewusst und sagt aus diesem Grund ja auch zu seinen Freunden, dass sie Grim kennen lernen möchte, um sich bei ihm bedanken zu können. Doch dann erfährt sie, dass sie seinen Turm nicht verlassen darf, also praktisch eine Gefangene ist, und als ihr dann noch seine geballte Ablehnung entgegenschlägt, errichtet sie ihre Mauer um sich, die sich leitmotivisch durch das ganze Buch zieht - ebenso wie bei Grim. Hier prallen zwei Gegensätze aufeinander, die sich voreinander schützen und sich gleichzeitig näher kommen wollen, und beide gehen nicht gerade geschickt vor, was ihre Beziehung betrifft. Wesentlich ist hierbei, dass beide zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise daran interessiert sind, eine Freundschaft oder Ähnliches aufzubauen, sondern sich im Gegenteil davor fürchten, sich näher zu kommen. Ihre Verbindung ist in erster Linie eine Zweckgemeinschaft (jedenfalls reden beide sich genau das ein), sie haben ein gemeinsames Ziel, das keine Freundschaft zwischen ihnen erfordert. Dass letztlich Furcht hinter ihrem gegenseitigen Verhalten steckt und wie groß diese Furcht vor eben einer solchen Freundschaft ist, wird im weiteren Verlauf der Handlung gezeigt.
Erik Schreiber:
Noch eine Frage zum Schluss. Was hat Dein Buch mit Frank L. Baums Zauberer von Oz zu tun? Manche Stellen Deines Buches erinnern mich spontan immer wieder an den Kinderbuchklassiker.
Gesa Schwartz:
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Zauberer von Oz nicht gelesen habe, daher kann ich die Frage nicht beantworten.
Erik Schreiber:
Liebe Gesa, ich möchte mich sehr herzlich für Deine Geduld und die ausführliche Beantwortung meiner Fragen bedanken. Ich wünsche Dir noch viel Erfolg mit Deinen weiteren Projekten.