Serie / Zyklus: NOVA SF-Magazin, Band 14 Eine Besprechung / Rezension von Alfred Kruse |
Helmuth W. Mommers & Uschi Zietsch : Zwei Nachrufe auf Ernst Vlcek
Sehr persönlich gedenken Helmuth W. Mommers und Uschi Zietsch an ihren Freund Ernst Vlcek. Sie haben mir zu diesem traurigem Anlass den Menschen Vlcek deutlich nähergebracht. Danke dafür.
Hardy Kettlitz : Nachruf auf Thomas M. Disch
Hardy Kettlitz gedenkt an den großen amerikanischen Autor, der sich 2008 das Leben nahm. Mit teilweise persönlichen Reminiszenzen erzählt er über Leben, Werk und Persönlichkeit von Thomas M. Disch.
Ralph Noetzel / Niklas Peinecke : 2-Raum-Wohnung
Ein Universitätsprofessor macht ein Experiment und vermietet die gleiche Wohnung, allerdings phasenverschoben, an zwei Mieter. Da gibt es Abweichungen und die Phasen überlagern sich ...
Nicht wirklich ein neues Thema, aber flott und amüsant erzählt. Die Gefahren einer solchen neuen Technologie werden plastisch und mit Humor dargestellt, ebenso die seltsame Welt der Wissenschaftler und ihrer Assistenten. Lesenswert !
Florian F. Marzin : Nächstes Jahr in Fitzroy
Ein australischer Schafscherer findet seine großen Lieben in einer kleinen, von Unbsterblichen bewohnten Stadt ...
Gelungen führt der Autor den Leser bereits in den ersten Absätzen in den australischen Outback und das beschwerliche Leben der Schafscherer ein. Man ist sofort in der Geschichte drin, spürt fast die Hitze und den Durst. Im weiteren gelingt es Florian F. Marzin, den Protagonisten detailliert und plastisch darzustellen, ohne daß der Leser sich langweilt, denn diese Darstellung geschieht vor der eigentlichen Geschichte. Der Plot ist bis zu einem gewissem Grad Standard, eben die "Kolonie von Unsterblichen"-Geschichte. Der Autor erzählt dies allerdings nicht direkt, sondern aus der Perspektive des Protagonisten, mit dem der Leser zusammen die Geheimnisse von Fitzroy entdeckt. So unterhält man sich ausnehmend gut, fiebert mit ihm bzw. seinen Eltern und Freunden mit.
Hartmut Schönherr : Übertragungsfehler
Die "Gleichberechtigung" ist absolut geworden, Männer verwandeln sich regelmäßig in Frauen und vice versa. Norman will sich scheiden lassen, dazu muß er das Schloß Karlasruhe betreten. Seine Frau Susen dagegen gehört zu einer Terrortruppe, die das Schloß sprengen wollen. Norman gewinnt.
Viele komische und skurrile Ideen, beim ersten Mal liest sich die Geschichte nicht schlecht. Doch sie wird nur durch diese Überraschungen lesbar, beim zweiten Lesen langweilt man sich doch ziemlich. Schade um die wirklich gelungenen Ideen.
Frank W. Haubold : Das Schiff
Die Allianz der Menschen entsendet eine Sternenflotte mit Kolonisten zur Besiedelung weiterer Planeten. Innerhalb dieser Flotte hat sich ein Polizeistaat gebildet, Andersdenkende werden brutal unterdrückt. Als die Flotte einen Planeten kolonisieren will und die Kolonisten im Meer verschwinden, tötet sie die einheimischen Meeresbewohner. Das ist das letzte i-Tüpfelchen, das 12 Menschen zur Flucht motiviert.
Durch den Tod der intelligenten Meeresbewohner sieht eine außerirdische Rasse die Galaxis durch die Armada und ihre Kolonien bedroht. Obwohl absolut friedfertig entsenden sie einen der ihren mit dem letzten großen Kriegsschiff, das sie gebaut haben, das Problem zu beseitigen. Was er auch tut.
Der letztjährige DSFP-Preisträger hat wieder zugeschlagen. Gelungen erzählt Frank W. Haubold zwei Geschichten gleichzeitig, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Einerseits erzählt er eine klassische Action-Story über die Rebellion gegen ein Unterdrückungssystem, andererseits eine ebenso klassische Social Fiction über die Notwendigkeit, manchmal zur Waffe greifen zu müssen. Und beide (Halb-) Geschichten sind faszinierend geschrieben, die Harmonie des Nebeneinander ist aber das Bemerkenswerteste an dieser Story.
Christian Weis : Schöpfungsliberalismus
Der Papst fliegt zu einem Planeten um festzustellen, ob das Christentum dort durch Jesus’ Bruder erzeugt wurde. Und war es sein älterer oder jüngerer Bruder ?
Christian Weis gelingt es hier, in eine Geschichte über Kirchenpolitik, Intrigen und ein Attentat auch Gedanken über die Kirche der (nahen) Zukunft einfließen zu lassen. Darf der Papst Chinese sein ? Wie stellt sich die Kirche zu anderen, ähnlichen Religionen auf anderen Planeten ? Dies wird vielleicht nicht endgültig ausdiskutiert, aber doch ausführlich beleuchtet und schön dargestellt.
Ret Marut : Trümpfe in der Hand
Während des Ersten Weltkrieges entwickelt ein genialer Wissenschaftler eine Bombe, dessen Explosionskraft einer Atombombe ähnelt.
Ret Marut ist B. Traven - und hat deutlich Besseres geschrieben. Dies ist nur eine weitere Story der Reihe "Genialer Wissenschaftler", die zu dieser Zeit "in" war. Nichts weltbewegendes, nur durch die Zeit, aus der sie stammt, und durch den Autor, der sie schrieb, wieder aus der Versenkung aufgetaucht.
Thomas Wawerka : Auf der anderen Seite
Erik ist das Kind eines Mannes aus einer Parallelwelt. Als Erwachsener dringt er selber dort ein, besteht in einer Burg ein paar Abenteuer und kehrt dann mit seiner Freundin nach Hause zurück.
Die Story sprüht nur so vor Einfällen, vor Gimmicks 'n Gadgets. Leider schafft Thomas Wawerka es nicht, diese in eine inhaltlich anspruchsvolle Story zu packen, den letzten Gimmick, das andere Überleben von Hitler beim Stauffenberg-Attentat, muß er noch ausführlich erklären. Obwohl spannend erzählt, ist dies doch eine Einmal-Lesen-Geschichte, beim zweiten Mal ist der Drive doch etwas raus. Nichtsdestotrotz sollte man sich dieses erste Mal Lesen in jedem Fall gönnen, mir zumindet hat es wahnsinnig Spaß gemacht.
Nir Yaniv : Warheit und Werbung (Truth in Advertising)
Ein Werbungs-Nanovirus bringt einen Menschen dazu, etwas zu kaufen, obwohl er das eigentlich garnicht will.
Urkomisch und zynisch zugleich : Nir Yaniv stellt einen möglichen Auswuchs heutiger Marketing-Methoden überspitzt in die Zukunft projiziert gelungen dar. Auf drei Seiten redet nur der Nanovirus und man fühlt sich in eine Dauerwerbesendung versetzt. Aber selten so gelacht, den Autor merk' ich mir.
Gero Reimann : Die Hyperrealitäten des David Lynch
In ziemlich trockener wissenschaftlicher Art bewertet Gero Reimann die neueren Filme von David Lynch. Ein ziemlich komplexer Artikel, der zwar zum Nachdenken anregt, aber nicht einfach so herunterzulesen ist. Ohne zumindest grobe Vorkenntnisse der Film-Geschichte und -Theorie ist man meines Erachtens als Leser hiervon überfordert. Hat man allerdings diese Grundkenntnisse und kennt (zumindestens in groben Zügen) die angesprochenen Filme, so macht die Lektüre dieses Artikels richtig Spaß.
Helmuth W. Mommers : Die deutsche Science Fiction 2007
Sehr knapp schildert HWM seine Eindrücke der SF des vorletzten Jahres. Zu knapp, wie ich finde, ich hätte seine Bewertungen gerne etwas ausführlicher und detaillierter gehabt. Aber auch so gibt dieser Artikel mir einige Anregungen, für Neulinge innerhalb der deutschen SF ist er eine Fundgrube und ein Wegweiser.
Fazit: Nach der überragenden 13. Ausgabe des NOVA-Magazins enttäuscht diese 14. doch etwas. Obwohl keine Story schlecht ist, fehlen doch die überragenden Geschichten, die die letzte Ausgabe zu einem Meilenstein der deutschen SF machten. Alles in allem eine (für NOVA) durchschnittliche Ausgabe, diesmal allerdings mit für mich persönlich ansprechenderen Sekundär-Artikeln als sonst. Und "durchschnittlich" bei NOVA bedeutet immer noch "besser als die aktuell erhältlichen amerikanischen Anthologien", so daß ich hier auf ganz, ganz hohem Niveau meckere.
NOVA 14 - die Rezension von Erik Schreiber