Serie: Incognito Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Das Gespann Ed Brubaker und Sean Phillips gehört seit einigen Jahren zu den Stars eines US-amerikanischen Comic-Genres, das man gemeinhin dem Crime-Noir zurechnet, auch wenn Einflüsse des klassischen Superhelden-Comics unverkennbar sind. Nach rund 10-jähriger Zusammenarbeit erscheint mit „Icognito“ nach „Scene of Crime“ (dt. bei Speed), „Criminal“ (dt. bei Panini) und „Sleeper“ (dt. bei CrossCult) die vierte Serie der beiden Ausnahmetalente auf Deutsch.
Einst war Zack Andersen ein gefürchteter Superschurke, der unter dem Kampfnamen Zack Overkill zusammen mit seinem Zwillingsbruder Xander mehr als 200 blutige Verbrechen mit Hunderten von Toten verübte, einen Teil auf eigene Rechnung, die Mehrzahl im Auftrag eines sinistren Schurken namens Black Deaths.
Heute ist Zack ein kleiner Bürobote, ein Nichts, kaum mehr als eine Nummer im Zeugenschutzprogramm, in welches er nach dem Tod des Bruders und einer Aussage gegen seinen Boss aufgenommen wurde. Durch staatlich verordnete Drogen seiner Kräfte beraubt, ist er nun gezwungen, einem öden, unbefriedigenden Job nachzugehen und die Feindseligkeiten seines neuen Betreuers zu ertragen.
Das Wissen um den Verlust seiner Macht und um die Gefangenschaft in weniger als in Mittelmäßigkeit lässt den deprimierten Mann zu experimentellen Drogen greifen, die jedoch die unerwartete Nebenwirkung haben, dass sie die Dämpfung seiner Kräfte aufheben.
Auch wenn die letzten Jahre in mentalen Ketten aus Zack kein geläutertes Mitglied der Gesellschaft machten, so entschließt sich der harte Mann - unfähig der neuen Machtfülle zu entsagen -, keine Verbrechen zu begehen, sondern als düsterer, maskierter Held Menschen vor dem Schlimmsten zu bewahren.
Allerdings hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht: nicht nur, dass sein im Gefängnis sitzender Boss vom Wiederauftauchen des Totgeglaubten erfährt und seine Killer auf ihn ansetzt, Zack gerät auch in das Visier des S.O.S. (Special Operations Service), jener staatlichen Organisation, die ihn einst ausschleuste und deren Führer ihn nun zu einem Lockvogel für weitere Verbrecher machen möchte.
Auch in „Icognito“ folgt Ed Brubaker seiner persönlichen Vorliebe, gebrochene Charaktere in den Mittelpunkt einer Geschichte - hier eines Crossovers aus „Crime Noir“-, „Hard Boiled“- und Superhelden-Story - zu stellen, Charaktere, angesichts derer sich die klaren Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen richtig und falsch auflösen und das Individuum in einem geradezu atavistischen Ringen um Identität und Freiheit zurückbleibt. Stilistisch bleibt der Autor ebenfalls seinem schon bekannten Konzept treu, durch zahlreiche Rückblenden den Lebensweg des Hauptprotagonisten nachzuzeichnen, wobei „Incognito“ allerdings signifikant weicher, heller und weniger pessimistisch als z. B. die durch und durch düstere „Sleeper“-Reihe wirkt. Was man Brubaker vorhalten könnte, ist, dass er mit dem vorliegenden Comic sein Å’uvre nicht wirklich erweitert wird, sondern es eher als Variation (s)eines alten Themas daherkommt.
In visueller Hinsicht nimmt das schroffe, leicht unbestimmte Artwork Sean Phillips in Verbindung mit der stimmungsvollen Koloration Val Staples, die in einigen Szenen einen Hauch zu bunt wirkt, einmal mehr die dunklen Ideen Brubakers nahezu perfekt auf.
Fazit: eine dunkle und spannende Exkursion in die menschliche Seele, der es allerdings - verglichen bspw. mit „Sleeper“ - etwas an Härte, Radikalität und Düsternis mangelt. Dennoch: nicht nur für Freunde des „Crime Noir“ ein heißer Tipp!