Titel: In einer fremden Stadt, in einem fremden Land Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
Der amerikanische Autor Thomas Ligotti zählt zu den anspruchsvollsten Schriftstellern der derzeitigen Phantastik. Beeinflusst von Edgar Allan Poe, Ambrose Bierce und H. P. Lovecraft, versucht er, sich diesen Meistern des Unheimlichen anzuschließen. Bereits mehrere Schriftsteller haben versucht und versuchen immer wieder von neuem, Lovecraft, Poe usw. zu kopieren. Doch so richtig gelingen mag dies bisher keinem. Allerdings gibt es hierbei auch eine Ausnahme, und diese trägt eben den Namen Thomas Ligotti. Der unter Platzangst leidende Autor hat sich auf das Schreiben von Kurzgeschichten und Novellen spezialisiert. Hierfür wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Er ist nicht unbedingt das, was man als Schnellschreiber bezeichnet. Ganz im Gegenteil, denn für manche Geschichte benötigt er bis zu einem Jahr. Ligotti feilt lange an seinen Erzählungen herum. Bisher sind auf Deutsch vier Erzählbände erschienen: "Die Sekte des Idioten", "Teatro Grottesko", "Das Alptraumnetzwerk" und "In einer fremden Stadt, in einem fremden Land".
Wer Ligotti lesen will, muss sich Zeit nehmen. Man kann ihn sich nicht reinziehen wie Stephen King und Konsorten. Denn das Grauen, das er dem Leser vermitteln möchte, ist teilweise sehr abstrakt. Manche Geschichten erscheinen wie Beschreibungen düsterer Gemälde. Es sind bizarre, groteske und unheimliche Momentaufnahmen. Dies vollzieht Ligotti mit einer einzigartigen Wortwahl und einem teils recht eigenwilligen Schreibstil. Man muss sich sozusagen in seinem Stil erst zurechtfinden, bevor man das Grauen, das er in seinen Geschichten präsentiert, genießen kann.
Der Erzählband "In einer fremden Stadt, in einem fremden Land" ist eigentlich eine Zusammenstellung von Geschichten, die in den USA in vier verschiedenen Erzählbänden erschienen sind. Der Teil, der sich auf den Originalband "In a Foreign Town, in a Foreign Land" bezieht, befasst sich mit Geschichten über eine fremde, düstere Stadt, in der das Bedrohliche als bedrückende, klaustrophobische Stimmung den Leser in seinem Bann hält. Es ist schwer, zu erklären, um was es in den Geschichten eigentlich geht. Denn die Handlungen erscheinen eben wie jene oben genannten Bildbeschreibungen und Momentaufnahmen. Es ist von einer Stadt im Norden die Rede, in der unheimliche Dinge vorgehen. Dabei ist es unklar, ob diese Stadt nur in der Vorstellung des Ich-Erzählers existiert oder tatsächlich irgendwo an der nördlichen Grenze liegt. Auch die Überschriften verraten nicht viel über den Inhalt, sondern sind eine Art Stimmungsentwurf, der in den jeweiligen Geschichten ausgearbeitet wird. "Sein Schatten wird zu einem höheren Haus aufsteigen", "Die Glocken werden auf ewig klingen", "Eine leise Stimme flüstert nichts" oder "Wenn du das Singen hörst, wirst du wissen, es ist Zeit". Die Titel erscheinen wie Überschriften von seltsamen Gedichten, die versuchen, eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren. Und ich denke, genau dies trifft auch auf Ligottis Geschichten zu. Es sind viel mehr Prosagedichte als eigentliche Geschichten. Dadurch erzielen sie einen sehr hohen ästhetischen Wert.
Thomas Ligottis Geschichten sind geradezu einzigartig. Sie sind auf ihre Art fesselnd und liefern eine bedrohliche Stimmung, die sehr überzeugend wirkt. Wer sich gerne auf anspruchsvolle Weise unterhalten möchte, ist bei den Erzählungen von Ligotti sehr gut aufgehoben.