Titel: Ideale Welten: Die Geschichte der Utopie Eine Rezension von Mario Pfanzagl |
Utopia, Atlantis und der Sonnenstaat, schon lange vor der offiziellen Geburt der Science Fiction als Literaturgenre waren Utopien ein fester Bestandteil der Philosophie und sei es als nur als Sehnsuchtsfantasien nach einem gerechteren Staatswesen. Die moderne Science Fiction ist zwar mehr am Unterhaltungswert als Weitläufigkeit utopischer Szenarien interessiert, ihr Einfluss durch diesen Schritt zur Popularisierung aber größer als je zuvor. Umso interessanter erscheint es angesichts dessen wenn ein britischer Historiker und Professor für Politisches Denken sich einer Geschichte der Utopien annimmt, war es doch sein Landsmann Thomas Morus der mit Utopia (aus dem Griechischen: nirgendwo) den Utopien ihren Namen gab. Und wen überrascht es da noch, dass Gregory Claeys "Ideale Welten" seinen Anfang wirklich in dessen Beschäftigung mit Morus Utopia genommen hat.
Die Geschichte der Utopien als Vorstellung von einem gesellschaftlichen Idealzustand beginnt natürlich bereits im klassischen Zeitalter. In diesen ist die Utopie die Welt wie sie war, bevor Prometheus das Feuer stahl und Pandora Verderben über die Welt brachte. Auch Lykurg und die Reformen Spartas, sowie Platons Staat reihen sich in die antiken Utopien. Doch auch in der christlich-jüdischen Tradition existiert mit der Vorstellung vom Garten Eden und dem mit ihm verlorenen Paradies ein der griechischen Version ähnliches Konzept. Durch die Bibel schließlich wurden zahlreiche christliche Splittergruppen zur Ausschmückung ihrer Utopien inspiriert, etwa die Wiedertäufer oder auch die Puritaner.
Doch sind Utopien nur eine europäische Angelegenheit? Diese Frage stellt Claeys in Kapitel 3 und beantwortet sie sogleich damit dass es etwa bei Hindus und in den chinesischen Philosophie-Religionstraditionen (vor allem dem Konfuzianismus) durchs Vorstellungen vom idealen Herrscher gab. Selbst der Islam kennt mit der Stilisierung des Kalifats in Medina als Goldenes Zeitalter auch eine weltweit bekannte Utopie. Claeys führt seine außereuropäischen Utopien schließlich bis Mahatma Ghandi.
Gregory Claeys persönlichen Höhepunkt (und den Dreh- und Angelpunkt des Werks) bildet indessen die Darstellung der Utopie als definiertes Genre mit Thomas Morus Utopia und den Implikationen der Entdeckung der neuen Welt für spätere Utopien. In Kapitel 5 geht der britische Historiker anschließend einer etwas ungewöhnlichen Frage nach, nämlich Einfluss Daniel Defoes Robinson Crusoe und Johnathan Swifts Gullivers Reisen auf utopisches Denken entfaltet haben. Natürlich nach der Entdeckung der Neuen Welt als Zäsur beschäftigt sich der Autor auch mit der Auswirkung von Revolution und Aufklärung. Einen weiteren interessanten Ansatz verfolgt Claeys in Kapitel 8 über die Idealen Städte, vom Mittelalter bis in die Moderne. Der Verwirklichung utopischer Vorstellungen am nächsten kommt indessen Kapitel 9, Utopia als Gemeinschaft. Von den Shakers bis zu den Hippies, wobei Claeys konstatiert dass das Auftreten dieser sich auch zur Aufgabe gesetzt hatte ein verlorengegangenes Gemeinschaftsgefühl wiederzugewinnen oder etwas neues aus diesem zu schmieden. Doch Claeys geht noch weiter, über die Mormonen, bis zum britischen Sozialismus und den dem von Robert Owen geschaffenen 2000 Seelen-Ort New Lanark. Kapitel 9 zeugt erstmals von utopischen Konzepten die im Modell wirklich ausprobiert wurden. Den Abschluss bilden schließlich Ausführungen zu Sozialismus, Kommunismus und Anarchie, sowie den Weg zur Science Fiction.
Ein Buch voller großartiger Ansätze und Ideen wie man eine Geschichte der Utopien zeichnen kann, chronologisch aufgebaut und hie und da mit biografischen Anmerkungskästchen versehen. Doch entpuppt sich Gregory Claeys ambitioniertes Projekt überraschend schnell als wenig mehr als ein kommentiertes Literaturverzeichnis (das mit entsprechend kleinerer Schrift, um Bilder und Biografie-Kästchen gekürzt den Anhang hätte bilden können), denn meistens unternimmt der Historiker wenig mehr als ein entscheidendes Buch als Meilenstein vorzustellen und schon geht es weiter. Es ist gewissermaßen nur eine Chronik. Und entsprechend dürftig ist oftmals auch der Informationsgehalt, der sich in aller Kürze zudem kaum durch eine originelle Argumentation oder Verknüpfungsleistung auszeichnen kann. Nur einige (für meinen Geschmack viel zu wenige) Kapitel sind inhaltsstärker geraten, der Rest wird knappest abgehandelt und vermittelt einem gerade einmal einen Überblick, den man sich auch schon anders erworben haben kann, vielleicht war das auch Claeys Zielsetzung. Selbst Themen wie Revolution und Aufklärung bleiben unterbelichtet während die literaturwissenschaftlich angehauchten Ausführungen zur Wirkung von Gullivers Reisen und Robinson Crusoe deutlich mehr in der Gunst des Autors gestanden zu haben scheinen.
Fazit:
Faszinierende Ansätze, doch das Buch bleibt bis wenige Ausnahmen hinter den Erwartungen zurück mehr als ein kommentiertes Literaturverzeichnis zu sein, denn an der utopischen Literatur hat Gregory Claeys seine Chronik der Utopien ausgerichtet. Zumindest einen Überblick kann das Buch jedoch vermitteln.