Titel: Ich fürchte mich nicht Eine Besprechung / Rezension von Jana B |
"Ich fürchte mich nicht" ist eine Dystopie für Jugendliche, wovon es mittlerweile unzählige Variationen gibt. Da ist es natürlich schwer, aus der Masse herauszustehen, etwas Neues zu präsentieren. So ist es auch hier, man merkt sehr deutlich, dass sich die Autorin sehr bemüht hat, eine komplett "neue" Geschichte zu schreiben. Leider ist ihr das nur teilweise gelungen. Der Hintergrund der Handlung ist allen Dystopie-Lesern bekannt, wenn auch in leicht abgewandelter Form; Die Erde wurde fast komplett durch den Klimawandel zerstört, die Tiere sind mutiert, die Menschen verzweifeln und geraten in Panik. Eine neue Regierung kommt an die Macht, die die Menschheit unterdrückt. Ja, das kennen wir schon alles. Hier hätte ich trotzdem sehr gerne mehr erfahren, über die Bevölkerung, die Sektoren, die Umstände, vielleicht hätte Frau Mafi einfach mehr ins Detail gehen müssen, dann würde das alles auch nicht so nach Mainstream klingen. Allerdings ist das ja nicht die gesamte Handlung, es geht nämlich um Juliette, und Juliette hat eine Gabe, denn sie kann Menschen allein durch ihre Berührung töten, indem sie ihnen die Lebenskraft raubt. Klingt abgedreht, ist aber in Wirklichkeit eine tolle Idee, die zudem auch noch sehr interessant umgesetzt wurde.
Womit wir auch schon bei der Protagonistin wären. Juliette hat viele Facetten. Im ersten Moment jammert sie noch wegen jeder Kleinigkeit, im nächsten gibt sie sich als mutige Kämpferin. Dabei ist sie kein unangenehmer Charakter. Gleich am Anfang wird man als Leser mit ihrer Gefühls- und Gedankenwelt konfrontiert und lernt Juliette auf dieser Weise sehr gut kennen. Man erfährt, was für eine schwere Kindheit sie hatte und entwickelt Mitleid für die junge Frau. Man könnte am Anfang fast meinen, dass sie ein wenig verrückt ist, merkt aber schnell, dass das nur so ist, weil ihre Gabe ihr das Leben wirklich schwer macht. Trotzdem wird im Laufe der Geschichte klar, dass Juliette sehr naiv ist, was sie aber fast noch sympathischer macht. Insgesamt betrachtet also eine nicht herrausstechende, aber durchaus angenehme Protagonistin.
Neben Juliette steht auch Adam im Vordergrund. Adam ist ein Soldat, und, um es kurz zu fassen, ein absolut unbeeindruckender Charakter. Hier hat sich Frau Mafi an einigen Klischees bedient, er ist stark, mutig, wahnsinnig gut aussehend (natürlich!), ist bereit, für Juliette sein Leben zu opfern und ist nebenbei auch noch sehr bodenständig und intelligent. Um es in einem Wort zusammenzufassen: langweilig. Wirklich schade, denn ich glaube, dass ein kantiger, interessanter Charakter neben Juliette der ganzen Geschichte den letzten Schliff gegeben hätte, den man aber so vergeblich sucht.
Zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesgeschichte, und das ist genau der Punkt, der mir an diesem Buch am wenigsten gefallen hat. Denn diese Liebesbeziehung entwickelt sich nicht, sondern bricht plötzlich herein und ab da können sich die beiden kaum halten. Ich meine, bitte? Geht das wirklich so schnell? Juliette findet ihn gleich bei der ersten Begegnung unglaublich attraktiv und er ist selbstverständlich auch nicht abgeneigt. Und plötzlich geht alles ganz schnell und sie liegen sich küssend in den Armen. Okay. Wenn's sein muss. ABER, dann kann ich es nicht glauben, dass Juliette JEDES MAL, bis zum bitteren Ende, einen roten Kopf bekommt, wenn er sie nur anschaut. Wenn man schon so eine überstürzte Beziehung darstellt, dann wenigstens glaubwürdig. Außerdem entwickeln beide ziemlich schnell sexuelle Triebe, die sie dann auch fast ausleben. Leider hat es auf mich einfach nur so gewirkt, als ob sich die Autorin hier ausgetobt hat. Mich hätte die Haupthandlung, Juliettes Gabe und der Zustand der Erde viel mehr interessiert, als dieses ewige " Oooh, ich liebe dich, liebst du mich auch? ".
Gefallen hat mir Warner. Er ist der "Bösewicht", aber dafür um einiges interessanter als die Protagonisten. Warner ist berechnend, kalt, elegant, hat aber durchaus einen weichen Kern. Mich interessiert seine Vorgeschichte sehr und hoffe wirklich, dass man im nächsten Teil mehr über ihn erfährt. Er ist zwar ein Psychopath und ein Mix aus etlichen Vorurteilen, die man solchen "Bösewichten" gegenüber hat, trotzdem macht er die ganze Handlung aber sehr viel spannender und interessanter, denn er möchte Juliette auf seiner Seite haben, um mit ihr Macht auszuüben. Ich bin sehr gespannt, wie weit er gehen wird, um diesen Plan in die Tat umzusetzen.
Das Ende der Geschichte, bzw. das letzte Viertel, hat mich wirklich überrascht. Es ging plötzlich Richtung "X-Men" und "Die Unglaublichen", was aber sehr cool war, denn diese Wendung hätte ich nicht erwartet. Deshalb freue ich mich auf den Folgeband, denn ich möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht, obwohl das Buch nicht einmal mit einem Cliffhanger endet. Übrigens kann ich mir eine Buchverfilmung sehr gut vorstellen, was nicht oft vorkommt.
Zum Schluss das Beste am ganzen Buch; der Schreibstil. Er ist wunderschön und fast poetisch. Außerdem zeichnet er sich durch die zahlreichen durchgestrichnenen Passagen aus, die Juliettes Gedanken wiederspiegeln. Dadurch weiß man ganz genau, wie sich Juliette fühlt und was sie gerade denkt und kann so eine ganz besondere Bindung zu ihr aufbauen. Zwar kommen einige Wiederholungen vor (z.B. läuft es Juliette ständig kalt den Rücken runter oder sie errötet), aber da die Stimmung bei der Erzählung absolut stimmt, fällt das nicht allzu sehr ins Gewicht.
>> Der Mond dagegen ist ein treuer Begleiter. Er verschwindet nie. Er ist immer da, zuverlässig, schaut herunter, kennt unsere hellen und dunklen Momente,wandelt sich unentwegt, so wie wir. Jeden Tag zeigt er sich in einer anderen Form. Manchmal schwach und schwindend, manchmal kraftvoll und leuchtend. Der Mond versteht, was es heißt Mensch zu sein. Unsicher. Allein. Gezeichnet von Kratern der Unvollkommenheit. << - Seite 32
Insgesamt betrachtet ist "Ich fürchte mich nicht" eine sehr interessante Leseerfahrung gewesen, die aber nicht allzu viele neue Ideen aufweist. Eine undefinierbare Protagonistin, ein langweiliger Liebhaber und ein wirklich interessanter Bösewicht dominieren hier das Spektakel und begleiten den Leser auf der Reise in eine erschreckende Zukunft, von der man aber leider zu wenig erfährt. Der Schluss macht definitiv Lust auf mehr und hat dafür gesorgt, dass ich auf jeden Fall zu dem Folgeband greifen werde. Und da der Schreibstil so unglaublich schön ist, kann ich auch ein wenig über die übertriebene Liebesgeschichte hinwegsehen. Ein Buch mit Fehlern, welches aber auch seine positiven Seiten hat.