Titel: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Man stelle sich vor, Lenin wäre nicht nach Russland geflohen, sondern hätte in der Schweiz sein Wirken entfaltet. Nicht im Osten, sondern im Zentrum Europas entstünde so das neue sozialistische Zentrum, das sich erstarkt den faschistischen Nachbarstaaten entgegenstemmt und den ersten Weltkrieg bis in die heutige Zeit ausdehnte. Vor diesem Hintergrund erzählt ein Schwarzafrikaner seine Geschichte, wie er als Kommissär der Streitkräfte hinter der Front ermittelt. Dabei stellt sich mehr und mehr heraus, dass die Zustände in der hoch gepriesenen Sowjetrepublik Schweiz bei weitem nicht so großartig sind, wie immer gesagt wird, und dass der verhasste und bekämpfte Rassismus auch in der Schweiz existiert.
Christan Krachts Kurzroman besticht vor allem durch seine sprachliche Wirkung. Gekonnt lässt der Autor seinen namenlosen Protagonisten von Kriegsgräueln erzählen und beschreibt dabei auch so manche unschöne Szene. Allerdings wird dem Umstand, dass es sich um einen Schwarzafrikaner handelt, wenig Tribut gezollt. Das ist sicherlich auch schwierig, da der Roman aus der Ich-Perspektive erzählt wird, und dadurch hat es sich der Autor schwer gemacht, die Geschichte lebendig zu erzählen: Zu groß ist die Distanz zwischen dem Leser und dem Kommissär. Inhaltlich konnte der Autor jedoch wenig überzeugen. Die Geschichte einer veränderten Schweiz mag interessant klingen, doch dies ist eine von vielen Alternative-Timeline-Geschichten und im Vergleich zu anderen Werken, wie z. B. Philip K. Dicks "Das Orakel vom Berge", schneidet diese Erzählung nicht so gut ab. Der Autor hält sich zu bedeckt, scheut, noch genauer ins Details zu blicken und mehr sein Augenmerk auf die Menschen zu lenken, die in dieser veränderten Welt leben. Außerdem ist das Werk viel zu kurz, um die Materie wirklich ausgiebig zu behandeln. Der Autor belässt es bei einigen, wenig konkreten Andeutungen und würgt am Ende den Roman sehr abrupt ab. Das Ende mag vielleicht die größte Schwachstelle sein, denn richtig befriedigend ist es nicht: Der Held geht nach Afrika zurück und lässt Europa hinter sich zurück. Sicher, das hat eine gewisse Aussagekraft, aber deswegen muss mir so ein Schluss nicht gefallen. Da hätte es originellere Möglichkeiten mit einer besseren Aussage gegeben.
Fazit: Dies ist ein SF-Roman für Nicht-SF-Leser. Die werden sich erfreuen an der Sprache und dem ungewöhnlichen Szenario, das eine vollkommen fremdartige und doch manchmal vertraute Welt beschreibt. Der Kenner der SF-Literatur wird jedoch mit diesem Buch nicht froh, hat er doch schon einige Bücher mit ähnlichen Szenarien gelesen. Aber wegen der Sprache und einiger origineller Wendungen, die den Roman durchaus flüssig lesbar machen, gebe ich dem Buch 6 von 10 Punkten.