Titel: Huguenins Frau |
M. P. Shiel (1865 - 1947) ist ein Klassiker der englischsprachigen Phantastik. In Deutschland ist der Autor eher unbekannt, und von seinen zahlreichen Romanen und Erzählbänden liegt soviel ich weiß nur „The Purple Cloud“ in Übersetzung vor („Die purpurne Wolke“, Heyne Science Fiction Classics 1984). Absonderlicherweise orientiert sich die eben erschienene Auswahl mit sechs Erzählungen, autobiographischen Notizen und Anmerkungen an einer spanischen Ausgabe. Als Herausgeber wird der spanische Bestsellerautor Javier MarÃas genannt, der offenbar über die Rechte an Shiels Werk verfügt. Dies basiert wiederum auf einer reichlich bizarren Geschichte: Shiel ließ sich zum König einer unbewohnten Antilleninsel ausrufen und begründete damit das imaginäre Königreich von Redonda. Der dritte Nachfolger und damit auch Nachlaßverwalter von Shiel ist - aus welchem Grund auch immer - MarÃas, ein Autor, der mit Phantastik wenig zu tun hat. Entsprechend enthält sein Vorwort auch mehr dezente Hinweise auf eigene Werke als auf Leben und Werk von Shiel. Am Ende des Buches gibt es noch eine zehnseitige Liste mit von MarÃas ernannten Würdenträgern des Königreichs Redonda - und auch diese Persönlichkeiten haben mit phantastischer Literatur rein gar nichts zu tun. Das einzig Positive an diesem eitlen Mumpitz ist lediglich, daß ohne den zugkräftigen Namen des Herausgebers MarÃas Shiels Erzählungen wohl gar nicht erschienen wären.
Der Umfangreiche und durchaus notwendige Anmerkungsapparat stammt übrigens von Antonio Iriarte, der auf dem Titelblatt mit keinem Wort erwähnt wird. Leider wurden die Anmerkungen für die deutsche Ausgabe leicht gekürzt, und ein unverständlicher spanischer Begriff wird in der Übersetzung nicht erklärt.
Nun zu den eigentlichen Erzählungen: Unter diesen ist Vaila („House of Sounds“) zu Recht die berühmteste - eine Variante von Poes „Fall of the House of Usher“, in der das Spukhaus eine monströse Sanduhr enthält, die nach Ablauf von 500 Jahren die Vernichtung des Hauses auslöst.“Huguenins Frau“ handelt von der fatalen Liebe zu einer dämonischen Frau, die sich als grausiges Monster entpuppt. Sprachlich originell ist „Elendes Los eines gewissen Saul“ - der Bericht eines Schiffbrüchigen in einer Höhle unter dem Meer, dem langsam die Atemluft ausgeht ... „Die Braut“ und „Der bleiche Affe“ orientieren sich an viktorianischen Gespenstergeschichten oder auch am morbiden Witz entsprechender Kriminalgeschichten - dies gilt vor allem für die letzte Erzählung „Der Primas der Rose“ über eine Londoner Geheimgesellschaft, die auf teuflische Art und Weise Selbstjustiz übt.
Zusätzlich gibt es eine kurze Einleitung und einen autobiographischen Text von Shiel, die beide allerdings wenig aufschlußreich sind. Die Anmerkungen von Iriarte sind hingegen ausgezeichnet, und da Shiel seine Texte mit Zitaten, Anspielungen und kryptischen Begriffen schmückt, sind sie auch ein unerlässlicher Beitrag.
Insgesamt gesehen, ist das Buch ein gelungener Einstieg in Shiels makabres, morbides, dekadentes und manchmal sehr eigenwilliges Werk. Die Texte sind sprachlich ziemlich anspruchsvoll, doch dank der guten Übersetzung immer atmosphärisch dicht und auf eine ungesunde, bedrückende Art unheimlich. Nur schade, daß nicht mehr Texte von Shiel und mehr Informationen über diesen Autor enthalten sind. Eine Bibliographie zu Shiels Werk wäre sinnvoller gewesen als die nichtssagende und gänzlich überflüssige Liste der Würdenträger von Redonda.
Fazit: empfehlenswert für Freunde und Sammler klassischer, düster-dekadenter Phantastik mit einer Vorliebe für Autoren wie Arthur Machen, Clark Ashton Smith, Barbey D`Aurevilly und Edgar Allan Poe.