Serie/Zyklus: Der Herr der Ringe Besprechung / Rezension von Arne Handt.
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Tja, ich weiß nicht mehr so recht, was mich eigentlich dazu getrieben hat, diesen Soundtrack für die aktuelle Ausgabe der "Klangwelten" auszuwählen. Er hat mir beim Ansehen des Filmes eigentlich nicht besonders gefallen und es war auch eher mein Anliegen, Soundtracks vorzustellen, die nicht einem aktuellen Medienhype unterliegen.
Wie dem auch sei, ich habe bestimmt keines meines bisherigen Rezi-Objekte derart intensiv (und kritisch) "beohrt" wie den vorliegenden Score von Howard Shore, was unter anderem daran liegt, dass ich herauszufinden versucht habe, was an dieser Oscar-prämierten Musik so besonderes ist - auch wenn diese Auszeichnung ja eigentlich nicht sehr viel bedeuten muss.
Anders als bei den bisherigen Soundtracks werde ich diesmal nicht sofort Stück für Stück betrachten, sondern mir die verschiedenen musikalischen Themen nacheinandner vorknöpfen - denn sie sind ja die eigentlichen Bausteine - und zwischendurch etwas zu den einzelnen Titeln sagen. Wir haben es hier, wenn ich nicht falsch gezählt habe, mit immerhin sieben verschiedenen Themen bzw. Motiven zu tun, die für verschiedene Situationen, Stimmungen oder Personen stehen. Die Zuordnung ist nicht immer eindeutig, ich hatte auch nicht die Zeit, den Film mir speziell auf diesen Aspekt hin noch einmal komplett anzuschauen, aber anhand einiger Szenen wurde die Bedeutung der meisten Themen zumindest so in etwa klar.
Das erste dieser Themen habe ich "Mythos-Motiv" getauft, da es meistens in Zusammenhang mit der Geschichte Mittelerdes auftaucht. Es besteht aus einer (in der Regel von Streichern vorgetragenen) geheimnisvollen Moll-Akkordverbinung, die beispielsweise sehr deutlich ausgespielt wird, als die Gefährten die Argonath passieren, am Ende des Stückes "The Great River". Allerdings taucht es schon ganz am Anfang (zumindest des Soundtracks) in "The Prophecy" auf, wenn auch zunächst verborgen: Nach einem von Chorsängern dominierten, schwerblütigen Einstieg treten plötzlich die Streicher in den Vordergrund, hier wird das Mythos-Motiv zweimal an- und umgedeutet (beim zweiten Mal durch die Hörner). Bevor es allerdings zum ersten Mal richtig ausgespielt wird, bekommen wir das präsentiert, was ich "Mordor-Motiv" nenne: Sich in Halbtonclustern aufbauende Tonreibungen (meistens in Chor und Bläserstimmen) sorgen für eine brenzlige, dramatische, finstere Atmosphäre, hier denke ich an Sauron, die Nazgûl, Minas Morgul, und so weiter. Der durch die Reibungen entstehende Gänsehautklang ist übrigens, so banal dieses Motiv auch klingen mag, sehr charakteristisch für diesen Soundtrack und immer wieder anzutreffen, häufig in Verbindung mit anderen Themen.
So stimmungsvoll Shore die düsteren und geheimnisvollen Aspekte des Filmes in Musik verpackt, so kitschig tut er es bei den hellen und freundlichen: Die Hobbit-Themen, zwei an der Zahl, gefallen mir überhaupt nicht. Beide werden in "Concerning Hobbits" vorgestellt; das erste - von einer heftig tremolierenden, keltisch anmutenden Flöte unerträglich kitschig vorgetragen - erinnert mich frappant an das Thema aus dem (sehr schönen) zweiten Satz von Dvoraks "Aus der neuen Welt". Am deutlichsten wird dies in "The Ring Goes South" - nun ja, verbuchen wir das mal als Zitat eines großen Meisters. Es ist zwar, wie gesagt, schrecklich kitschig, aber das ist noch besser zu ertragen als das unmotivierte Gefiedel des zweiten Themas. Hier habe ich gelegentlich den Eindruck, Howard Shore sind die Ideen ausgegangen, so dass der Violinist gezwungen war, die Zeit mit eigenen (anscheinend nicht vorhanden) Einfällen zu überbrücken - aber ich mag mich irren. Wie dem auch sei, die musikalische Reise ins Auenland verkommt leider zu einem Badeausflug in den Schmalztopf - schade auch. Dabei hat z. B. Jerry Goldsmith doch so schön vorgemacht, wie man freundliche Stimmungen aus eingängigen Melodien konstruiert (z. B. Logan's Run) ohne dabei trivial zu werden...doch ich schweife ab.
Der wahrscheinlich mitreißendste aller musikalischen "Bausteine" dürfte Shores "Gefährten-Thema" sein. Diese Bezeichnung drängt sich praktisch auf, da es bei allen heroischen Aktionen der Protagonisten präsent ist. Nach Angaben von Howard Shore wird es zum ersten mal es beim "Council of Elrond" voll ausgespielt - obwohl mir aufgefallen ist, dass es vorher, bei Gandalfs Ritt nach Isengart ("The Treason of Isengard") bereits mehr als nur angedeutet wird. Beim Rat Elronds transportiert es übrigens - von Streichern ungewöhnlich sanft vorgetragen - noch eine eher würdevoll-erhabene Atmosphäre, während es sonst eher den Charakter einer Heldenfanfare hat, z. B. in "The Bridge of Khazad-Dûm", und dies passt auch besser.
Ein weiteres gelungenes, wenn auch nicht sehr originelles Thema würde ich am ehesten den Orks zuordnen: Hammer- und Paukenschläge dienen hier als rhythmischer Hintergrund für eine unheilsverkündende Melodielinie der Hörner. Es erklingt z. B. als Untermalung für die Entstehung der Uruk-Hai in Isengart.
Nicht vergessen möchte ich ein Thema, das im Film (nach meinen Beobachtungen) nur ein einziges Mal auftaucht - in diesem Film, wohlgemerkt. Es handelt sich um die fiesen "Tröten" Mordors, die wir zu hören bekommen, bevor die Neun von Minas Morgul aus aufbrechen, um den Ringträger zu jagen.
Soweit zu dem musikalischen Material des Soundtracks, eine Kritik an Enyas Sangeskünsten spare ich mir, da ich niemanden beleidigen will und manches sicherlich Geschmackssache ist. Erwähnen möchte ich aber noch eine weitere Ähnlichkeit, die mir aufgefallen ist: Eine Wendung in "The Prophecy" erinnert mich so ein bisschen an Williams' "Imperial March" aus Star Wars... ob das wohl Zufall ist?
Zusammenfassend muss ich sagen, dass ich meine negative Meinung über diesen Soundtrack nach intensivem Hören teilweise revidiert habe - die Passagen, in denen es "zur Sache" geht, hat Shore gelungen umgesetzt und z. T. für diesen Film ganz charakteristische Klangeindrücke geschaffen. Und wenn diese Filmmusik auszeichnungswürdig ist, dann ist sie das nach meiner Auffassung aufgrund dieser Tatsache.
Allerdings ergibt sich - und das entspricht sowohl den Stimmungen des Filmes als auch den Stärken Shores - insgesamt eine deutliche Dominanz der dramatischen, dissonanten, und damit auch auf die Dauer anstrengenden Klänge; teilweise klingt es so, als würden ständig die ersten Takte von "O Fortuna" aus Orffs Carmina Burana wiederholt, was wohl kein Mensch lange aushalten könnte. Und leider ist auch das instrumentelle Repertoire ziemlich eingeschränkt: Chöre, Streicher, Hörner - andere Instrumente scheint sich Shore für die Teil zwei und drei aufgespart zu haben, von den kitschig-keltischen Flöten natürlich abgesehen.
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