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Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
David Bowies Musik war stets stark von SF-Elementen beeinflusst. Was liegt also näher, als eine Anthologie mit Geschichten herauszugeben, die von Songs des Künstlers inspiriert wurden. Herausgeberin Karla Schmidt hat in diesem Buch nun 20 Geschichten gesammelt:
Dirk Röse: Purgatorium
(inspiriert durch "All the Madmen")
Physikalische Gesetze haben ihre Gültigkeit verloren, doch die Menschen nehmen es nicht wahr. Das war eigentlich keine Geschichte nach meinen Geschmack, aber gut unterhalten hat sie mich dennoch. Das ist wieder eine jener Erzählungen, bei denen man sich fragt, ob eine etwas längere Form nicht besser gewesen wäre. Aber letzten Endes war das eine Analogie für das Alte und das Neue. Der Held in einer Welt, in der es für ihn keinen Platz mehr gibt. Ein altes Thema, das immer wieder gerne aufgegriffen wird.
Dietmar Dath: Solus Ipse, leerer Drache
(inspiriert durch "Fill Your Heart")
Ein Mann scheint an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, doch er existiert überhaupt nicht. Die Idee, die erste Person für einen fiktiven Charakter als Protagonisten zu wählen, ist verrückt. Als Leser versucht man immer wieder darüber nachzudenken und scheitert an der Unmöglichkeit. Eine gute Geschichte.
Jasper Nicolaisen: Kleines Mädchen aus China
(inspiriert durch "China Girl")
Alptraumhafte Drogenexzesse. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll: Soll sich das nun voll auf David Bowie beziehen? Und der Titel? Das war irgendwie hingebogen. Also mit der Geschichte bin ich gar nicht zufrieden. Schade, denn den Song mochte ich immer (und die Geschichte passt IMHO nicht zu den Gefühlen, die ich habe, wenn ICH den Song höre).
Jakob Schmidt: Die betrübte Strahlenkanone
(inspiriert durch "Running Gun Blues")
Wie sich wohl eine Superwaffe fühlt? - Hier erfährt man es. Diese Geschichte fand ich wirklich gelungen. Was für eine verrückte Idee, als Erzähler ein intelligentes Waffensystem zu nehmen. Einziger Wermutstropfen: Die Inhaltszusammenfassung zu Beginn der Anthologie spoilert. Allerdings wüsste ich jetzt auch nicht, wie man die Story zusammenfassen sollte, ohne das zu spoilern.
Anna Janas: Life on Earth?
(inspiriert durch "Life on Mars?")
"Life on Earth?" ist eine Geschichte über eine Kultur von Robotern oder KIs, die auf einer Erdkultur aufbaut. Mich hat das Herumreiten auf EDV-Begriffen ein wenig gestört. Das lenkt nur vom eigentlichen Thema ab und außerdem scheint es unglaubwürdig, dass es in der Zukunft noch diese Begriffe und Dinge geben wird. Alles entwickelt sich ja weiter und das sollte in die Geschichte einfließen. Der Schlussgag war aber gut gesetzt - vor allem auch wegen des Bezugs zum Thema.
Pepe Metropolis: Hinterland
(inpiriert durch "Red Sails" / "Lodger" A-Seite)
Ein Forscher und sein Assistent auf den Spuren eines Kollegen, der im Südpazifik verschollen ist. Das war eine klassische Phantastik-Geschichte, die sich nicht eindeutig einordnen lässt, aber eindeutig von jemand verfasst wurde, der Ahnung von Phantastik hat. Schön.
Bibo Loebnau: Tief-Blau
(inspiriert durch "Sound and Vision")
In einer von despotischen Staaten dominierten Welt suchen Forscher in der Tiefsee nach einer neuen Lebensweise. Das war mal eine reine SF-Kurzgeschichte und obendrein gut erzählt. Das Ende war mir ein bisschen zu mager. Wie soll ich sagen: Da wurden gleich mehrere Klischees bedient und wirklich logisch waren die Handlungen des Schurken nicht. Der Aspekt mit der organischen Bauweise war aber recht gelungen und originell.
Barbara Streun: On Idle
(inspiriert durch "Time" / "Saviour Machine" / "Heathen")
Eine gut erzählte Zeitreisegeschichte. Nicht mehr und nicht weniger. Ich meine, das Thema war schon in den 1960er Jahren vollständig abgehandelt. Alles, was wir heute noch lesen können, sind nur noch Variationen.
Ernst-Eberhard Manski: Der Saxophonist vom Rathaus Neukölln
(inspiriert durch "Warszawa" / "Neukölln")
Nach einer fünf Jahr währenden Forschungsreise muss der Erzähler feststellen, dass sein Heimatviertel Berlins einer Katastrophe zum Opfer gefallen ist. Eine Geschichte mit viel Atmosphäre und einem Ende, das für mich zu aufgesetzt wirkt.
Karla Schmidt: Erlösungsdeadline
(inspiriert durch "Five Years" / "Joe the Lion" / "Looking for Water")
Ein alter Mann muss feststellen, dass seine Tochter sich einer Sekte anschloss, die nichts anderes im Sinn hat, als der Menschheit Frieden und Erlösung zu bringen. Doch der Mann ist skeptisch. Wieder eine gute Geschichte mit vielen Parallelen zu "Lebenslichter". Mir gefiel das mit der Erlösersekte recht gut und auch die Tatsache, dass der Leser keine Antworten erhält. Vielleicht liefert Karla diese ja noch nach.
Wulf Dorn: Jenseits der Mauer
(inspiriert durch "
In einer Kuppel leben die Menschen geschützt vor einer zerstörten Umwelt, doch Leon möchte wissen, wie es draußen aussieht. Also mir hat die Geschichte so gar nicht recht gefallen. Die Gegensätze waren zu groß und warum sollten die Menschen so sehr verfettet sei? Ich meine, bei einem Film wie "Wall-E" konnte ich es ja verstehen, dass die Menschen auf dem Raumschiff zu wahren übermäßigen Monstren wurden, aber warum sollten in der Stadt alle Menschen fett sein? Also meinen Geschmack traf diese Geschichte nicht. Das war insgesamt zu wenig.
Karsten Kruschel: Fünfte und Vierte Sinfonie oder: Müllerbrot
(inspiriert durch Glass / Bowie / Eno: "Heroes Symphony" / "Low Symphony")
Herbert Schleitheißen-Müller gilt als Retter der Menschheit, doch ist er das wirklich? Die Geschichte war richtig fies und menschenverachtend und erinnerte mich an Harry Harrisons "Make Room! Make Room!" oder auch die Verfilmung "2023... die überleben wollen". Im Prinzip ist das aber auch nichts anderes als der Replikator der Enterprise. Auch dort wird alles mit Ausnahme von Toten wiederverwertet.
Nadine Boos: Kamera(d), Action!
(inspiriert durch "The Man Who Sold the World")
Ein Soldat der Zukunft torpediert (im wahrsten Sinne des Wortes) ein Abkommen zwischen der Volksrepublik Deutschland und den KI-Vereinigten Staaten. Eine gute Geschichte mit einem zu erwartenden Ende, aber das war ja so gewollt. Mir gefielen die beiden Erzählstränge: auf der einen Seite der Reporter und der Veteran, auf der anderen Seite die Politikerin aus einem höchst dynamischen Deutschland (*ggg*) und ein sehr konservativer Amerikaner. Dieses Gerüst dient für den Aufbau einer sehr interessanten Weltordnung. Darüber würde ich gerne noch mehr lesen.
Markolf Hoffmann: Triptychon
(inspiriert durch "Heart's filthy Lesson")
Ist ein Verbrechen Kunst oder ist Kunst ein Verbrechen? Mit diesem Widerspruch kommt ein Mörder frei, doch nicht alle wollen ihn ungeschoren davonkommen lassen. Hat mir sehr gut gefallen: wortgewaltig und gut inszeniert. Und es wird auch eine (zumindest für mich) neue Idee geboten, die am Ende demontiert wird. Toll, die beste Geschichte der Sammlung!
Aleksandr Voinov: Nicht Amerika
(inspiriert durch "This is not America")
Ein Pilz infiziert Menschen und verwandelt sie in geistlose Automaten. Eine Zombie-Geschichte! Ich bin kein Experte darin, aber selbst für mich war sie nicht sehr originell. Gut, die meisten Zombies waren Börsen-Broker, aber das war ja nicht der entscheidende Aspekt.
Tobias Bachmann: Die letzte Telefonzelle
(inspiriert durch "No one Calls")
Der Agent und eine eigensinnige, sprechende Telefonzelle. Das Ganze war recht witzig, aber das Ende fand ich nicht voll überzeugend.
Tobias Lagemann: P.O.S
(inspiriert durch "Putting out Fire (with Gasoline)")
Soldaten der Zukunft halten den Stress des Krieges nur eine gewisse Zeit aus, bevor sie wahnsinnig werden. Keine wirklich originelle Geschichte, aber gut und stimmungsvoll erzählt. Das war gute Unterhaltung.
Valerie Kreifelts: Der Anfänger
(inspiriert durch "Absolute Beginners")
Ein Ninja infiltriert eine westliche Attentäter-Einheit. Also die Geschichte konnte mich nun überhaupt nicht ansprechen. Das war ein Klischee-Konzentrat ohne neue Ideen. So etwas will ich nicht lesen.
Dirk C. Fleck: Schneider ist raus
(inspiriert durch "V2-Schneider")
Malin fährt im Zug und hört dabei die Erinnerungen Schneiders, eines SS-Offiziers, auf seinem Diskman. Mir geht es genauso. Die Story war sehr stimmungsvoll und hat mir gefallen. Die Sache mit den Erinnerungen eines 13-jährigen sehe ich anders. Solche Erinnerungen setzen sich fest. Mein Vater war Ende des Krieges 17 und er kann mir noch viel berichten. Sollte er 97 werden, so kann er dann immer noch auf diese Erinnerungen zurückgreifen, weil sie einfach sehr prägend waren.
Siegfried Langer: Berlin, Nachklang
(inspiriert durch "Let´s Dance")
Eine WG erlebt den Tod Bowies. "Berlin, Nachklang" fand ich als abschließende Geschichte gelungen, weil sie alles in einen guten Rahmen bringt, auch wenn die Idee mich nun wirklich nicht überzeugt hat. Aber als Teil des Ganzen passt die Geschichte perfekt.
Im Großen und Ganzen ist "Hinterland" eine wirklich gelungene Anthologie, in der sich mit "Triptychon" eine echte Perle des Genres verbirgt. Die Autoren waren offensichtlich nicht alle mit dem SF-Genre wirklich vertraut und das führt dazu, dass Ideen präsentiert wurden, die einfach schon umfassend von verschiedensten Autoren abgehandelt waren. Aber es gab auch wirklich gelungene Geschichten. Das Projekt ist auf jeden Fall gelungen und das Ergebnis ist diese wirklich interessante Anthologie.
7 von 10 Punkten.