Serie / Zkylus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Sascha Hallaschka |
Greg Bears SF-Stories und -Romane werden von seinen Kollegen sehr geschätzt. Dies kann man daran ablesen, daß er hinter Ursula K. LeGuin der zweiterfolgreichste Autor ist, was die Vergabe des NEBULA betrifft - desjenigen Preises also, den die Science Fiction Writers of America (SFWA) alljährlich verleihen. Außerdem ist er neben Connie Willis der einzige Autor, der mindestens je einen NEBULA in den vier literarischen Kategorien (Roman, Novelle, Erzählung, Kurzgeschichte) erhalten hat.
Meine eigenen Erfahrungen mit Texten von Bear, mit dem ich einige Male auch schon sporadischen E-Mail-Kontakt hatte, hingegen sind durchaus zwiespältig: Seine sowohl mit dem HUGO und dem NEBULA ausgezeichnete Erzählung Blutmusik ist eben das - ausgezeichnet (SH-Wertung: 9); sein mit dem NEBULA prämierter Roman Das Darwin-Virus hingegen ist in der Tat so angenehm wie ein Virus (SH-Wertung: 2). So ist es also kein Wunder, daß ich an Heimat Mars mit durchaus ambivalenten Erwartungen heranging....
Die Zentralisten wollen die Macht auf dem längst von Menschen besiedelten Mars übernehmen und werfen all diejenigen Studenten der Mars-Universität Sinai, die sie für potentielle Gegner halten, kurzerhand von der Uni. Einige von diesen Studenten fliehen vor der Festnahme, werden aber gestellt. Die Machtübernahme durch die Zentralisten scheitert jedoch. Die Studenten kommen frei, müssen aber die Mars-Uni Sinai verlassen, die bis auf weiteres geschlossen wird.
Einige Monate später: CasseiaMajumdar, eine dieser Studentinnen, und der angehende Wissenschaftler Charles Franklin freunden sich an der Mars-Uni Durrey miteinander an, unternehmen eine Privatexkursion auf dem Mars und schlafen miteinander. Charles Familienbande, eine sogenannte "BG" (Bindende Gemeinschaft), geht pleite; Casseia beginnt ein Politikstudium, und beide trennen sich.
Die Erde ist mittlerweile komplett "durchglobalisiert": Konzerne haben die eigentliche Macht, und nur stromlinienförmig therapierte (sic!) Menschen kriegen noch anständige Jobs. Casseia fängt ein Praktikum bei ihrem Onkel Bithras an, das sie auch auf die Erde führt.
Die Erde will, daß die regionalen Mars-Regierungen sich vereinigen, um auf dem roten Planeten in Zukunft nur noch einen einzigen Ansprechpartner zu haben. Sie hat sich für diesbezügliche Verhandlungen die BG Majumdar als größte aller BGs herausgegriffen. Bithras stimmt für eine Vereinigung der BGs, um ein Embargo der Erde gegen den Mars zu verhindern und die offene Konfrontation beider Planeten, die er für letztlich unvermeidlich hält, so lange wie möglich hinauszuzögern. Denn in Wirklichkeit will die Erde nur den Zugang zu den Ressourcen des Mars und die Kontrolle darüber. Die Erdmission von Bithras, Casseia und ihrem Praktikantenkollegen Allen Pak-Lee scheitert jedoch: Die Erde will wie gesagt nur einen vereinigten Mars als Verhandlungspartner akzep-tieren, die BG Cailetet steht jedoch nicht hinter Bithras als Vertreter des gesamten Mars. Bithras, Casseia und Allen müssen unverrichteter Dinge zum Mars zurückkehren.
Casseia heiratet den Archäologen Ilya Rabinowitsch und tritt dessen BG Erzul bei. Nach einer verfassunggebenden Versammlung wird eine Art provisorische Zentralregierung des Mars gegründet, dessen Vizepräsidentin Casseia wird; die vorläufige Präsidentin heißt Ti Sandra.
Etwa zu dieser Zeit gelingt einem Team von Wissenschaftlern auf dem Mars die ferngesteuerte Umwandlung von Materie in Antimaterie - eine Errungenschaft, deren Folgen sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehen lassen. Casseia kandidiert bei der ersten freien Wahl des Mars und läßt bei sich eine sogenannte "Erweiterung" vornehmen, eine Vermehrung ihrer intellektuellen Fähigkeiten durch den Einsatz von einer Art Chip.
Auf dem Mars bricht das Chaos aus: Die Erde und die ihr nahestehende BG Cailetet stellen via virenverseuchter Rechner dem roten Planeten im Sinne des Wortes den Strom ab. Casseia und Ti Sandra werden getrennt. Letztere täuscht ihren Tod vor. Casseia wird zur Präsidentin des Mars ernannt und trifft sich mit Sean Dickinson, den sie noch vom Anfang der Geschichte - der gescheiterten Machtübernahme durch die Zentralisten - kennt und der dem Mars im Namen der Erde ein Ultimatum stellt, demgemäß sich der Mars der Erde völlig unterordnen soll. Die Mars-Bevölkerung ist nicht gewillt, sich dies aufzwingen zu lassen. Als Reaktion auf die Drohung der Erde setzen Charles Franklin und seine Wissenschaftlerkollegen ihre Erfindung auf eine Art und Weise ein, die sich wohl niemand auf der Erde auch nur in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können....
Auch wenn damit der größte Teil des Romaninhalts zusammengefaßt ist - über das, was den eigentlichen Kniff, die eigentliche Pointe des Buches ausmacht, kann und will ich hier nichts sagen, weil jedes Wort dazu eines zu viel wäre. Ich möchte in diesem Zusammenhang lediglich auf den Originaltitel des Romans hinweisen.
Zur Qualität von Heimat Mars: Ich halte es nicht für besonders geschickt, der Protagonistin Worte in den Mund zu legen, denen sich entnehmen läßt, daß sogar sie selbst die bisherige Handlung für läppisch hält. Bear tut dies jedoch gleich zweimal, und zwar auf den Seiten 187 ("triviale Einleitung") und 389 ("Überhaupt nichts hatte sich gewendet"). Das Problem: Casseias Beobachtungen treffen zu, denn die erste Hälfte des Buches plätschert wirklich ein wenig vor sich hin: Es geht um politische Verwicklungen, die mit SF, wie ich sie verstehe und lesen möchte, nicht allzu viel zu tun haben. Sie könnten genau so gut auf der Erde zwischen zwei Staaten stattfinden.
Des weiteren enthält der Roman mehrere Passagen, die wie SF wirken, die für Wissenschaftler geschrieben wurde. Kostprobe gefällig? "Die mesoskopische Probe behauptet beim absoluten Nullpunktihre eigene Identität. Es ist ein Problem, das mit der Konversion zu tun hat. Es liegt daran, daß so viele Deskriptoren durch ein derart kleines Volumen geleitet werden. Das könnte die Wirksamkeit der Pierce-Region beeinträchtigen." (S. 697)
Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wovon Bear hier spricht. Und selbst wenn es eine korrekte Extrapolation derzeitiger Wissenschaft sein sollte, wirkt diese Stelle (nebst mehreren anderen) doch wie "Techno-Babbel" um seiner selbst willen - eben wie SF für Wissenschaftler.
Und wenn mehrfach davon die Rede ist, daß es die Erde eigentlich nur auf die Ressourcen des Mars abgesehen hat, stellt sich mir dabei die Frage, worin diese bestehen. Bear schweigt dazu, was das ganze Geschehen leider nicht nachvollziehbarer macht.
Dennoch wohnen der Handlung zwei Interessantheitsaspekte inne: Zum einen möchte man irgendwie doch erfahren, wie es mit Casseia und dem Mars weitergeht, und zum anderen wird der Aspekt, der mit dem Originaltitel des Buches in Zusammenhang steht und über den ich hier schweigen muß, immer interessanter und spannender.
Anders gesagt: Die besten Passagen des Romans hängen mit derjenigen wissenschaftlichen Entdeckung zusammen, die erst im Lauf der Handlung gemacht wird und die auf alle beteiligten Charaktere ähnlich unglaublich wirkt wie auf den Leser. Sorry, aber mehr kann ich dazu hier wirklich nicht sagen.
Fazit: Viel Politik, viel Wissenschaft und eine Entdeckung mit drastischen Konsequenzen für alle Beteiligten - man kann das mögen, muß es aber nicht: 5 Punkte (von 10 möglichen).
Zwei Anmerkungen noch: Das Nachwort, das eindeutig noch zum Romantext gehört, weil es fiktional ist, wirkt im Inhaltsverzeichnis wie ein Sachtext, was ein wenig irritierend ist. Und ein besonderes Lob geht an das tolle umlaufende Titelbild von Zoltán Boros und Gábor Szikszai: Das ist fürwahr große SF-Kunst!
(31.3.2005)
Heimat Mars - Rezension von Christian Plötz
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