Titel: Heile Welt an Rhein und Ruhr Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Einige Jahrzehnte in der Zukunft ist die Welt, so wie wir sie kennen, nicht mehr existent. Angesichts fortschreitender Zerstörung der Umwelt, der wachsenden Weltbevölkerung und der aus beiden Gründen resultierenden globalen Unruhen haben sich die Zentren westlicher Urbanität entschlossen, ihre jeweiligen Städte gegenüber den restlichen Gebieten abzuschotten. In sogenannten "Blessed Islands" leben fortan die privilegierten und gut ernährten Menschen. Sie haben eine gute Ausbildung, genießen alle Vorzüge moderner Technik und besitzen eine moderne Medizin. Jeder Mensch in den "Blessed Islands" unterliegt einer Indoktrinierung durch eine faschistisch anmutende Ideologie. Schon im Schulunterricht wird jedem klargemacht, dass es alternativlos sei, einen Großteil der Menschen von jeglicher Weiterentwicklung abzukoppeln, wolle man nicht den eigenen Lebensstandard grundsätzlich gefährden.
Außerhalb der "Blessed Islands" leben die "Dirty People". Einige von ihnen können in den "Blessed Islands" arbeiten, werden jedoch nur als moderne Sklaven ohne weitere Rechte missbraucht und ausgenutzt. Sie haben keine organisierte Gesundheitsversorgung, leben in slumartigen Gebieten und leiden an Hunger. Natürlich finden sich aufgrund dieser Lebensumstände einige Menschen, die dagegen ankämpfen wollen, die die Trennung der Zivilisation aufheben wollen - koste es, was es wolle.
Da kommt es gerade recht, wenn der Ideologiechef des "Blessed Island" Rhein und Ruhr einen geschäftlichen Flug nach Australien plant. Dank eines eingeschleusten Virus können Mitglieder einer deutschen Terroristengruppe alles über die geplante Reise herausfinden und ihre Verbündeten in Australien entsprechend informieren.
Ziel der Aktion ist Karl.
Karl ist der Prototyp eines Bürokraten und könnte eine Blaupause aus Terry Gilliams Film "Brazil" darstellen. Völlig überzeugt von der Ethik und Moral seines Tuns und seiner Gesellschaft, hofft er auf einen baldigen Karriereschub, um der nächste "Blessed Major" in seinem Gebiet zu werden. Seine Frau Elisabeth ist Lehrerin und schildert in ihrem Unterricht die historische Entwicklung vom Chaos der Anfangsjahre bis zur Entstehung der "Blessed Islands".
In Australien steht Dingo einer Terrorgruppe vor. Mitten im Outback warten sie auf die Ankunft des Flugzeuges mit Karl, um den Ideologiechef gefangen zu nehmen und ihn in einen ferngesteuerten Spitzel nach ihrem Willen zu verwandeln. Dabei stellt Dingo das genaue Gegenstück zu Karl da. Auch er ist von seinem Tun kritiklos überzeugt und überschreitet für seine Vorstellungen auch ohne weiteres in einem Maße Grenzen, das eigentlich der normalen Ethik widerspricht.
Als Karl und Dingo aufeinander treffen, kommt es zu einem heftigen Schlagabtausch der verschiedenen Gesellschaftssysteme und eine Partei beginnt umzudenken ...
Klaus Heimanns Buch sollte man nicht in der Erwartung aufschlagen, einen spannenden Thriller vorzufinden. Stattdessen beschäftigt sich der Autor primär mit den Vorteilen und Nachteilen der jeweiligen Gesellschaftssysteme und diskutiert mithilfe der Protagonisten Dingo und Karl den Sinn und Zweck von "Dirty People" und "Blessed Islands". Natürlich gibt hier Heimann eine Richtung vor und mengt der Person Dingo so viel Schlechtes bei, dass dem Leser die Wahl nicht schwer fallen sollte, wem denn die Syampathien gehören. Doch ist ein grenzenloses und gemeinschaftliches Teilen aller irdischen Ressourcen angesichts der drohenden Klimaveränderungen überhaupt möglich? Diese Frage stellt sich Heimann leider nicht. Teilen klingt gut, also ist es gut.
Mittels der Frau Karls, Elisabeth, erklärt Heimann die Entstehung der beiden Systeme. Wie konnte es dazu kommen und wie sehen sie aus. Dabei durchzuckt Elisabeth immer kurzzeitig ein Reflex von Widerstand, der aber nie zu blühen beginnt. Die üblichen Mitläufer des vorherrschenden Systems - von dem man so gut profitiert - stellt Heiman gut dar, dieser Prototyp ist aus vielen totalitären Systemen nur zu gut bekannt.
Heimann versucht mit der leidlich spannenden Entführungsgeschichte etwas Drive in den Roman zu bringen, was ihm angesichts eines vielleicht völlig anderen Zielkonzeptes des Buches nicht so sehr gelingen mag. Heimann wollte mahnen und warnen. Denn in der heutigen Welt sieht man teilweise schon einige dieser Ausschlusstendenzen zwischen Arm und Reich umgesetzt (USA/Mexiko, Israel/Palästina). Die Botschaft ist angekommen, das hat Heimann durchaus erreicht.
"Heile Welt in Rhein und Ruhr" ist ein dystopischer, mahnender Roman in einem für den Leser bekannten Umfeld, der vielleicht nicht zu den spannendsten Stücken der Literatur zählt, jedoch eine wichtige Botschaft transportiert.
Meine Bewertung: 7,5 von 10 Punkten.