Titel: Graues Land Eine Besprechung / Rezension von Markus Solty (weitere Rezensionen von Markus Solty finden Sie auf seinem Blog Horror & Co.). |
Den Nachfolgeband dieses Romans, "Graues Land – Die Schreie der Toten", habe ich hier bei fictionfantasy schon (nachzulesen hier) besprochen. Damals schrieb ich, dass ich den Roman als eigenständiges Werk bewerten wolle. Was natürlich daran lag, dass ich "Graues Land" noch gar nicht gelesen hatte. Diese Scharte habe ich jetzt ausgewetzt und versuche mich nun an einer Rezension des Romans. Natürlich betrachte ich das Buch in erster Linie wieder als ein eigenständiges Werk.
"Die Welt hat sich weitergedreht" – so lautet das dem Roman voranstehende Motto, das aus Stephen Kings "Dunkler-Turm"-Saga entnommen ist. Nach Terror-Anschlägen in Europa hat sich die Welt insoweit weitergedreht, dass eine mysteriöse Krankheit oder Genveränderung aus vielen Menschen mehr oder weniger Zombies gemacht hat, die versuchen, die restlichen "normalen" Menschen entweder zu verspeisen oder zu Ihresgleichen zu machen. Und in der Phase, in der diese Apokalypse beginnt, lernen wir Harv kennen. Harv ist ein alter Mann, der sich um seine demente Frau Sarah kümmert. Die beiden wohnen ziemlich abgelegen in der Nähe der kleinen Stadt Devon in den USA. Da selbst der Zeitungsjunge Darryl nicht mehr allmorgendlich die Zeitung bringt und auch die Fernsehsender den Betrieb eingestellt haben , muss Harv davon ausgehen, dass außer ihm und Sarah nicht mehr allzu viele Menschen in der Umgebung leben. Ihm sind auch schon "Verwandelte" (er als Lovecraft-Fan nennt sie Shoggoten) begegnet, so dass er mit dem schlimmsttn rechnet. Die Versuche Kontakt zu seinen nächsten Nachbarn aufzunehmen, verlaufen nicht so, wie er sich das vorstellt und der Kontakt zu seinem Sohn und dessen Familie ist auch abgebrochen.
"Graues Land" ist eine Dystopie. Aber anders als viele andere Dystopien spielt dieser Roman auf sehr engem Raum. Es ist zwar kein reines Kammerspiel, aber es geht schon stark in diese Richtung. Der Haupthandlungsort ist Harvs und Sarahs Haus. Harv verlässt das Haus und seine direkte Umgebung genau dreimal. Und da der Roman in der ersten Person aus Harvs Perspektive erzählt ist, verlassen wir als Leser auch nur dreimal die direkte Umgebung des Hauses. Auch die, ich nenne sie der Einfachheit halber Zombies, kommen als handelnde Personen recht selten vor. Unterschwellig sind sie für de Leser aber immer in der Nähe.
Harvs Aktionen und seine Gedanken sind getragen von Angst. Angst vor den von ihn so genannten Shoggoten, Angst um seine Frau Sarah, Angst um seine Nachbarn, Angst um seinen Sohn und dessen Familie. Und diese Angst wird durch seine Gedanken transportiert. Ein Großteil des Buches ist zwangsläufig ein innerer Monolog, da Harv alleine mit Sarah in dem Haus lebt. Es gibt einige mehr als rührende Sequenzen, die die Liebe Harvs zu seiner Frau ausdrücken. Zum Beispiel als er es irgendwie möglich macht, nochmal ihren Lieblingsfilm "Casablanca" zu schauen. Das ist einfach nur schön, aber zugleich auch unendlich traurig, da Sarah durch ihre Krankheit, das alles gar nicht richtig miterlebt.
Der Roman ist eine private Geschichte. Ich kam mir vor, als ob ich durchs Schlüsselloch das Leben Harvs beobachtet habe. Und die Auswirkungen, die eine globale Katastrophe auf privates Glück oder Unglück hat, zeigen eher als manch actiongeladener Dystopie-Reißer die Grausamkeit einer solchen Situation auf. Man leidet als Leser mit dem alten Mann mit, man freut sich mit über die Erinnerungen an vergangene, glücklichere Zeiten und man hat zusammen mit Harv Angst, vor dem, was kommt. Zur letzten Konsequenz fehlte Dissieux aber dann wahrscheinlich doch der Mut. Irgendwann im Verlauf der Handlung kommen dann auch noch andere Figuren ins Spiel. Das treibt natürlich die Handlung voran, was in Spannungsromanen nicht unwichtig ist, aber ich glaube, dass das Buch emotional aufwühlender geworden wäre, wenn es sich auf alleine auf Harv und Sarah als handelnde Personen beschränkt hätte.
Trotzdem ist "Graues Land" eine Perle unter der Vielzahl an dystopischen Romanen, die in den letzten Jahren erschienen sind. Der Protagonist ist eine der sympathischsten Figuren, die mir in einem Buch begegnet ist. Es ist zwar abgedroschen, aber hier stimmt es. Man fiebert mit dem guten, alten Harv mit. Man wünscht ihm alles erdenklich Gute, aber man weiß auch, dass es in einer Welt, wie sie in dem Roman beschrieben ist, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht das Gute siegen wird.
Zum Schluss doch noch ein kurzer Vergleich zum Nachfolger "Schreie der Toten". Den habe ich in meiner Rezension ein Road-Novel genannt. Also fast schon das Gegenteil von einem Kammerspiel. Das macht diese beiden Romane zusätzlich noch interessant. Das sie in der Form so gegensätzlich sind. Mir gefällt "Graues Land" ein wenig besser als der Nachfolgeband, weil in diesem Roman die ausgelatschten Pfade des dystopischen Romans verlassen werden. "Schreie der Toten" verläuft von der Handlung her ähnlich wie viele andere Apokalypsebeschreibungen. Dafür merkt man aber bei "Schreie der Toten", dass Dissieux noch sicherer im Umgang mit der Sprache geworden ist. "Graues Land" kommt an einigen wenigen Stellen noch etwas holprig daher. Aber das sind alles nur marginale Kritikpunkte. Wer die beiden Werke noch nicht kennt, sollte dies schleunigst nachholen. Am besten macht man es nicht so wie ich, sondern in der richtigen Reihenfolge. Dann kann man die Querverweise im zweiten Band sofort beim Lesen erkennen. Und sollte es zu einem dritten Band kommen, werde ich auch bedenkenlos zugreifen.
Fazit: Fast schon kammerspielartiger dystopischer Roman, der in einem Mikrokosmos mit einem sympathischen Ich-Erzähler den Schrecken einer globalen Katastrophe und deren Auswirkungen auf das Individuum glaubwürdig darstellt.