Reihe: Graues Land, Band 2 Eine Besprechung / Rezension von Carmen Weinand |
Mit "Die Schreie der Toten" setzt Michael Dissieux die Geschichte um Daryll, den Zeitungsjungen, fort, der im ersten Teil "Graues Land" lediglich eine kleine Nebenrolle hatte.
Gehen wir noch einmal zurück ins graue Land, wo in den Hügeln noch der alte Harvey lebte, der seine totkranke Frau pflegte und sich nach dem Verschwinden nahezu aller Menschen in seinem Haus verbarrikadierte. In Zeiten, wo noch alles seinen geregelten Ablauf hatte, war Daryll einmal Harv's Zeitungsjunge.
Inzwischen sind nur wenige Wochen vergangen. Harvey und seine Frau sind tot. Die Story konzentriert sich nun zunächst auf den 13-jährigen Daryll, der sich gemeinsam mit der kleinen Mary Jane in seiner ehemaligen Schule versteckt. Die graue Welt hat sich nicht verändert. Die wenigen Überlebenden verschanzen sich noch immer in ständiger Angst vor den Kreaturen, die nachts um die Häuser streifen. Mittlerweile sind die Bestien mutiger geworden und machen die Suche nach lebensnotwendigen Dingen immer gefährlicher. Nachdem auch Mary Jane von einer der Bestien gebissen wird, verschwindet diese nach wenigen Tagen. Daryll beschließt, den sicheren Schutz seines Klassenzimmers zu verlassen, um andere Überlebende zu finden.
Schon nach kurzer Zeit trifft er auf den alten Murphy, Harvey's alten Freund, der sich um Harvey's verletzte Enkelin Demi kümmert. Als wenig später auch Wulf dazu stößt, beschließen sie, gemeinsam die Stadt zu verlassen, in der Hoffnung auf Hilfe und so etwas wie eine Zukunft.
Wie schon in "Graues Land" besticht Michael Dissieux durch seine eindringliche und greifbare Erzählkunst. Es gab eigentlich keinen Moment in dem ich die erdrückende und hoffnungslose Atmosphäre nicht spüren konnte. Der Autor schafft eine dichte und belastende Stimmung, die schon fast zu viel wäre, wenn da nicht immer im richtigen Moment kleine Auflockerungen in Form von warmen Erinnerungen und kurzen Flashbacks kämen. Dieses Einstreuen positiver Energie, wie ich es jetzt mal nennen möchte, hält den Leser gekonnt bei der Stange und verhindert das Aufkommen von Frustration. Ich möchte mal fast sagen, dass hier mit den Gefühlen der Leser gespielt wird. Erst denkt man noch, dass alles absolut hoffnungslos ist, und im nächsten Moment ist man überzeugt davon, dass alles wieder gut wird.
Nicht ganz unschuldig daran sind die geschickt ausgearbeiteten Charaktere.
Wieder darf der Leser tief in die Gedanken der einzelnen Figuren eintauchen und sich von den unterschiedlichsten Stimmungen gefangen nehmen lassen.
So war ich hautnah dabei, als Daryll sich innerlich von seiner Kindheit verabschiedete und lernte, über sich hinaus zu wachsen.
Ich sah durch Demi's Augen wie ihre Mutter starb und ich erfuhr durch Wulf, dass man für immer ein Vater sein kann, auch, wenn man längst keiner mehr ist.
Jeder einzelne von ihnen trägt eine Moral in sich, die es zu entdecken gilt. So dauert es dann auch nicht sonderlich lange, bis man sich an jeden Charakter gewöhnt und ihn lieb gewinnt.
Ein zweiter Teil hat immer den Nachteil, dass man ihn mit dem ersten Teil vergleicht. Oftmals schneiden die Nachfolgeteile schlechter ab als ihre Vorgänger. Hier fällt mir ein direkter Vergleich jedoch schwer, weil die Story inhaltlich etwas andere Wege geht, als zuvor. Der erste Teil lebt quasi von seinem stillen Grauen, wo hingegen der zweite Teil mehr Bewegung in die Handlung bringt. Ich würde noch nicht soweit gehen, von Action zu sprechen, aber hier passiert definitv mehr. Die Figuren sind entschlossener und handlungsbereiter. Die Sache kommt schlicht und ergreifend in Gang. Trotzdem musste ich nicht auf die Gänsehaut verzichten, die während meiner Lesestunden sozusagen mein Dauergast war.
Die Fragen, die der goreverwöhnte Horrorfan nun eventuell noch hat, will ich auch gerne beantworten. Auf überzogenen Splatter und Fäkalsprache muss man hier verzichten. Sex ist hier nur Nebensache. Natürlich gibt es Tote, die nicht sanft im Schlaf sterben, aber die Beschreibungen halten sich im magenfreundlichen Rahmen. Vollkommen okay für Splatterfans - noch besser für empfindsame Gemüter. Dieser Roman ist also für eine breite Leserschaft geeignet.
Wieder wurden einige Fragen offen gelassen. Michael Dissieux lässt seine Leser nach einem finalen Showdown mit einem Cliffhanger und dem Wunsch nach einer sofortigen Fortsetzung zurück.
Wie alle Bücher vom LUZIFER-Verlag ist auch dieses Buch wieder hervorragend verarbeitet und von absolut hochwertiger Qualität. Der stabile Einband schützt das Buch, so dass es auch jetzt noch wie frisch aus dem Laden aussieht.
Das stimmige und atmosphärische Cover wurde von Timo Kümmel gestaltet. Ich finde es wunderbar gelungen und sehr passend für diesen Roman.
Innen im Buch haben wir wieder Illustrationen, die jeweils passend zur Handlung ab und zu auftauchen und die Bilder in unseren Köpfen dezent bestätigen. Klasse gemacht!
Fazit:
"Die Schreie der Toten" ist ein absolut würdiger Nachfolger von "Graues Land" - ein Must-Have für Fans von stillem Grauen und düsterer Endzeitstimmung. Klare Kaufempfehlung!