| Reihe: Die Insel der Stürme, 3. Band Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Es hat länger gedauert, als ich gedacht hatte, bis der Abschlussband der Reihe „Die Insel der Stürme“ erschien. Daher war es auch nicht weiter verwunderlich, dass ich mich nicht gleich wieder in der Erzählung zurechtfand. Doch nach und nach fand ich mich in der phantastischen Erzählung wieder und konnte dem Blindschützen Jemren und dem Reiter Gorun auf ihrem Weg über die phantastische Inselwelt folgen. Beide brechen auf, um einem erneuten Krieg vorzubeugen, der zwischen dem Norden und dem Süden auszubrechen droht. Gleichzeitig gibt es aber auch die Zwistigkeiten innerhalb der Nraurn. Die selbsternannte Königin, auch als Nraur-a-Khae bezeichnet, muss sich mit dem abtrünnigen Nesyn auseinandersetzen. Nesyn erkennt, dass die Königin einen Weg geht, der nicht dem Weg entspricht, den sie gehen sollte.
Zankapfel aller Parteien ist jedoch das ewige Kind Lillia. Da ist die Totenpriesterin Amra, die sich bereit erklärte das Kind zu beschützen und es dorthin zu bringen, wohin Lillia will. Ziel ist es, die Prophezeiung zu erfüllen. Amra ist die Priesterin Lairens, des Totengottes Antiles, und will dessen Geheimnisse ergründen. Aber wer kann schon von sich sagen, seinem Gott von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten zu sein und mit ihm gestritten zu haben. Auch Jemren und Gorun sind dabei, dem Mädchen zu helfen. Gleichzeitig wollen sie aber auch höheren Zielen folgen, vor allem wollen sie einen dauerhaften Frieden. Nesyn und die Nraur-a-Khae wollen das Kind ebenfalls. Ein vorläufiges, wenn auch nicht endgültiges Ziel ist die Stadt der Feen, hoch oben im Gebirge. Dort, wo die Götter wohnen.
Das Buch bietet endlich den Abschluss der wunderbar geschriebenen Trilogie. Ich habe sie gern gelesen. Der einzige Wermutstropfen dieser Trilogie ist, dass die ersten beiden Bücher in einer sehr schönen Hardcoverausgabe erschienen und der letzte Band ‚lediglich’ ein Taschenbuch wurde. Im Regal sieht das ziemlich bescheiden aus.
Natürlich war ich auch ein wenig neugierig. Daher habe ich mich direkt an die Autorin gewendet und ihr einige Fragen gestellt. Die Antworten dazu möchte ich euch nicht vorenthalten.
Erik Schreiber:
Hallo Heide, endlich ist es geschafft und nach zwei Jahren Wartezeit kommt der Abschluss Deiner Trilogie. Warum hat es so lange gedauert?
Heide Solveig Göttner:
Das lag an einer Entscheidung des Verlags, auf die ich leider keinen Einfluss hatte.
Erik Schreiber:
Du bringst die Geschichte nicht nur zu einem Abschluss. Es sind gleich mehrere. Das Ende, wo Lillia endlich heimkehrt, und dann ein Happyend nach dem anderen. Wäre es nicht einfacher gewesen, mit der Zielerreichung aufzuhören?
Heide Solveig Göttner:
Beim Schreiben geht es sicher nicht darum, es sich einfach zu machen. Für mich müssen Texte spannend, schlüssig und gut strukturiert sein.
In den drei Bänden der „Insel“-Trilogie werden deshalb sehr unterschiedliche Handlungsfäden geknüpft, die es am Ende aufzulösen gilt. Inhaltlich bauen die Romane aufeinander auf, obwohl ich mich in jedem Buch bemüht habe, auch Neueinsteigern eine Brücke zu bauen.
Anfangs sind es Individuen, die aneinander geraten, dargestellt in den drei sehr gegensätzlichen Hauptfiguren: Gorun, Jemren und Amra. Im zweiten Band sind es dann deren Länder, zwischen denen die alte Feindschaft wieder aufbricht, obwohl die drei Helden das lieber verhindert hätten. Im dritten Buch greifen sogar die Götter in den Konflikt ein, denn Themen wie Glauben und Weltsicht spielen die ganze Zeit über eine wichtige Rolle.
Mit jedem Teil der Trilogie gelangt der Konflikt also auf eine neue Ebene. In der Trilogie gerät die ganze Insel in den Teufelskreis eines Kriegs, der eigentlich zu verhindern gewesen wäre. Es geht um folgende Fragen: Wie schließt man nach Jahren gegenseitigen Misstrauens Freundschaft? Kann man eine so alte und tiefe Feindschaft überhaupt überwinden? Des Rätsels Lösung besteht deshalb nicht allein in Lillias Geschichte, sondern vor allem im Schicksal der drei Hauptfiguren.
Erik Schreiber:
Warum musste die ‚echte’ Königin der Nraurn auftauchen. Das Intermezzo diente doch nur dazu, zu zeigen. dass Nesyn der Gute der Nraurn ist, oder?
Heide Solveig Göttner:
Nein, es geht um viel mehr. Das Thema der Trilogie ist die Insel selbst als ein vom Krieg geteiltes Land. „Alles ist zerrissen“, heißt es an manchen Stellen - das gilt auch für das Ziegenvolk und sogar für die Götter. Das Erscheinen der alten Nraurn-Königin macht deutlich, dass die Feldherrin Kajlyn-Gua mit ihrer kriegerischen Ader in Wirklichkeit eine Usurpatorin ist, die ihr eigenes Volk tyrannisiert. Nesyn wehrt sich zunächst gegen sie, weil sie ihn vor aller Augen demütigt - er hat also ein eher eigensüchtiges Motiv. Damit ist seine Entwicklung als Figur aber noch nicht abgeschlossen.
Indem sie den Weißen Fluss vergiften, haben die Nraurn selbst eine Art ‚Sündenfall’ auf sich geladen, der den Verfehlungen der Menschen in nichts nachsteht. Anfangs ist Nesyn durchaus verblendet von der Macht und handelt entsprechend gnadenlos und grausam. Erst als sein eigener Stern sinkt, wird ihm klar, dass er sich vielleicht auf dem Holzweg befindet. Zudem trägt die Begegnung mit Jemrens Schwester Harat dazu bei, dass er seine Gegner von einer anderen Seite kennen lernt - und feststellt, dass sie ihm gar nicht so unähnlich sind.
Erst durch die Begegnung mit der ‚wahren’ Nraurn-Königin wird ihm jedoch klar, dass er mit seinen Irrtümern nicht allein ist, sondern dass die Nraurn selbst von der „Zerrissenheit“ betroffen sind. Die greise Königin hat noch nicht einmal Hörner, wie Gorun bemerkt; sie ist keine Verfechterin von Krieg und Waffengewalt.
Nesyn ist also keineswegs einer der ‚Guten’; er ist jemand, der eine Lektion über sich und seine Ansichten zu lernen hat, genau wie die menschlichen Protagonisten auch.
Erik Schreiber:
Manchmal hatte ich den Eindruck, Du wolltest nur noch fertig werden. Die Schlacht zwischen den Nraurn und den Menschen im Tiefschnee war viel zu schnell vorbei und plötzlich waren die Nraurn ‚Geschichte’. Sie wurden überflüssig.
Heide Solveig Göttner:
Nichts weniger als das, denn am Ende der Trilogie sind sie wieder da - in Form eines geläuterten und weisen Nesyn, der nun die Aufgabe hat, den nachfolgenden Generationen das Erlebte nahe zu bringen. Für mich ist das einer der magischsten Momente der ganzen Reihe, denn es zeigt sich, dass Nesyn scheitert, dass er scheitern muss! Keiner der jungen Leute erinnert sich noch an die wahren Begebenheiten, als das Eine Kind auf der Insel erschien. Jemren, Gorun und Amra sind längst zu Sagengestalten geworden, um die sich jetzt vielfältige Deutungen ranken, und die Geschichte beginnt sich zu wiederholen.
Insofern ist jeder Teil des Romans genau so lang, wie er sein muss, um die Geschichte sorgfältig zu erzählen. Persönlich hätte ich sogar gern noch mehr Zeit mit meinen Helden verbracht. Nach so langer Zeit sind sie einem doch ans Herz gewachsen!
Erik Schreiber:
Auch die Aussage, die Götter seien nur eine andere Rasse, hat mich irritiert und war für mich fehl am Platz. Warum hast Du Dich zu dieser Entscheidung durchgerungen?
Heide Solveig Göttner:
Das ist eine logische Konsequenz, die sich aus dem Aufbau der Trilogie ergibt. Die drei Romane thematisieren, wie aus kulturellen Missverständnissen Ideologien und aus Ideologien schließlich Rechthaberei und Krieg wird. Letztlich ist alles eine Frage der Interpretation - sogar die Götter. Das macht Anrynan bereits mit ihrem Erscheinen im zweiten Band klar, als Jemren die Bemerkung herausrutscht: „Es gibt die Götter - und es gibt sie doch nicht.“
Nur wegen dieser Frage haben die Menschen doch Krieg geführt! Aber dieser Krieg entsteht eben aus einem wahnwitzigen und völlig überflüssigen Grund. Deshalb dürfen Anrynan und ihr Volk gar keine ‚echten’ Götter sein - ihr Volk wurde von den Menschen dazu erklärt. Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass sie und ihresgleichen durch ihre magischen Fähigkeiten doch einen ganz anderen Handlungsspielraum haben als die „Sterblichen“, wie Any die Menschen wiederholt nennt. Letztlich liegt es also auch im Ermessen des Lesers, ob er Anrynan, Lillia oder Antiles als Götter betrachtet oder nicht.
Um die Insel der Stürme zu befrieden, müssen schließlich alle Parteien anerkennen, dass man diese Fragen vielleicht nie abschließend lösen kann und die Gegner in manchen Punkten Recht haben. Aber selbst diese Erkenntnis ist flüchtig, wie die erwähnte Schluss-Szene mit Nesyn zeigt.
Erik Schreiber:
Welche schriftstellerischen Pläne hast Du als Nächstes? Heide Solveig Göttner:
Ein Jugendbuch liegt bereits als Manuskript vor, weitere sollen folgen. Auch im Bereich Fantasy werde ich sicher bald wieder ein Projekt in Angriff nehmen. Erik Schreiber:
Ich danke Dir für Deine Antworten und wünsche Dir mit Deinen nächsten Projekten viel Erfolg und alles Gute.