Titel: Gestrandet Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Karl Allman hat es eilig und wählt eine Abkürzung, um schneller zu seiner schwangeren Klon-Frau nach Hause zu kommen. Diese Abkürzung erweist sich jedoch im Nachhinein als schlechte Idee, als Traditionalisten sein Raumschiff angreifen. Es wird abgeschossen und das, was davon übrig ist, landet auf einem fremden Planeten. Das von Karl unfreiwillig besuchte Planetensystem erweist sich als besiedelt. So kann er zumindest hoffen, Hilfe zu erhalten. Der Planet, der zum unfreiwilligen Zuhause wird, wurde von einem Terraformingprogramm bearbeitet. Dies geschah noch vor dem Krieg der Traditionalisten gegen die Former. So ist dies ein fast vergessener Planet der Terraformer, mit den zweifelhaften Errungenschaften der Menschheit gesegnet und mit ersten Siedlungen beglückt. Weil keine weitere Unterstützung der Terraformer mehr in diesem System ankam, fielen die ersten Siedler auf ein frühes Zivilisationsniveau zurück und erinnern nun an die Wikinger der Erde. Das ist zum Teil auf die raue Welt und die langen, harten Winter zurückzuführen. Der Anführer einer kleinen Gemeinschaft ist der nicht in Frage zu stellende Despot, dessen Wort Gesetz ist. Die Frauen sind fast so etwas wie Sklaven und hauptsächlich für die Geburt von Kindern zuständig, die dem harten Leben sehr schnell zum Opfer fallen. Das absolute Ziel ist es, die Gemeinschaft mit weiteren Mitgliedern am Leben zu erhalten. Alle anderen Ziele sind zweitrangig.
Auf einem seiner Streifzüge findet Ragnar, der Anführer einer der Ansiedlungen, den Raumfahrer Karl mit gebrochenen Beinen. Der an sich gesunde und starke Karl benötigt Ragnars Hilfe und ist nur zu gern bereit, dessen Hilfe anzunehmen. Karls Körper wird von heilenden Nanotechpartikeln seiner eigenen künstlichen Intelligenz, Loki genannt, gepeinigt, was dazu führt, dass er sich manchmal wie ein Verrückter benimmt. Ragnar hat jedoch ganz andere Pläne. Er sieht in Karl einen neuen Befruchter, denn mit dessen Erbgut bringt er neues Leben in die Ansiedlung. Die Frau dafür hat er auch schon im Blick: die ausgestoßene Bera. Zudem wäre nach seiner Gesundung Karl ein neues, kräftiges Mitglied seiner Gemeinschaft und ihm zu Dank verpflichtet. Eine Eigenschaft, die er gern ausnutzen wird. Bliebe nur noch die Frage mit Bera zu klären. Bera ist eine junge Frau, die von den meisten Menschen ihres Clans verachtet und ausgegrenzt wird. Diese Verachtung hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie hatte eine Fehlgeburt und das ersehnte Kind starb. Außerdem - und das ist fast genauso schwerwiegend - verheimlicht sie den Namen des Vaters. Sie soll nicht nur den Unbekannten aufpäppeln und ihm auf die Beine helfen, sondern auch gleichzeitig die Mutter seiner Kinder werden. Dabei steht ihr eigener Ruf als nutzlose Frau im Weg. Sie ist gerade noch in der Lage, einen Mann zu pflegen, der von seltsamen Dingen spricht und überzeugt ist. Also garantiert geistig verwirrt. Ragnar hat dazu seine eigene Ansicht: leicht zu führen und willfährig. Wie das so ist, kommen sich zwei Außenseiter näher und versuchen sich gegenseitig zu helfen. Als das Vertrauen so weit gefestigt ist, machen sie sich auf den Weg. Bera erzählte von den Überresten des verschollenen, alten Siedlungsschiffs, und sie machen sich auf, es zu suchen. Karl hofft darauf, eine Möglichkeit zu finden, den in seinen Augen unwirtlichen Planeten zu verlassen. Ragnar ist darüber nicht sonderlich glücklich, stellt man doch seine Führungsautorität in Frage. Außerdem sorgt der unwirtliche Planet mit seiner Flora und Fauna zusätzlich für Probleme.
Colin Harvey schreibt eine spannende Geschichte, die jedoch erst ein wenig vor sich hin dümpelt, bevor der Spannungsbogen merklich anzieht. Den Hintergrund bildet eine archaische Zivilisation, basierend auf dem nordischen Thule der Erde. Die Beschreibungen von Fauna und Flora sowie der Gesellschaftsstrukturen sind überzeugend. Die Leser erfahren einiges über das harte und karge Leben einer in sich geschlossenen, archaischen Zivilisation und über zwischenmenschliche Beziehungen. Spannungen der Bewohner untereinander dienen vor exotischer Kulisse dazu, der Handlung etwas mehr Leben einzuhauchen. In die kleine Gemeinschaft dringt ein Fremdkörper in Form von Karl ein und sofort geht es in der Erzählung darum, wie eine homogene kleine Gruppe damit umgeht. In unterschiedlichen Sichtweisen - einmal Karl selbst, dann wieder seine KI Loki in Ich-Form - wird über Planet und Zivilisation fabuliert. Der an sich flüssig geschriebene Roman, eine Art Zwitter zwischen Abenteuer-SF und sozialer Science Fiction, greift unterschiedliche Fragestellungen auf und versucht sie zu beantworten. Interessante, faszinierende Fragen, derer sich Colin Harvey annimmt. Im Mittelpunkt steht der seiner eigenen Kultur verhaftete Karl, dann wieder die Kultur, der Ragnar vorsteht. Dies bietet einiges an Konfliktpotential. Ein nicht uninteressanter Roman, dessen Charaktere und Handlung ein wenig klischeehaft wirken. Die einfach gehaltene Schreibweise sorgt dafür, dass man sich nicht lange mit sozialpolitischen Erwartungen auseinandersetzt, sondern in Form des Abenteuers mehr über die erfundene Geschichte eines terrageformten Planeten erfährt.
Der Wilhelm Heyne Verlag stellt den Roman unter dem Serientitel Space Action in die Regale der Buchhandlungen. Das ist sicher nicht sehr verkehrt. Dennoch ist mir die Sprache manchmal etwas zu einfach.
Der britische Science-Fiction-Autor Colin Harvey starb am 15. August 2011 an den Folgen eines Schlaganfalls. Colin Harvey wurde am 11. November 1960 in Cornwall geboren und lebte zuletzt zwischen Bristol und Bath. 1988 heiratete er Kate. Er arbeitete in einem Kibbuz und einem Nachtasyl in den Midlands, bevor er zwanzig Jahre lang beim Unilever-Konzern arbeitete. 2007 wurde er freischaffender Schriftsteller. Er veröffentlichte hauptsächlich Kurzgeschichten, die in Albedo One, Song of the Siren und anderen Publikationen veröffentlicht wurden. Seine erste Kurzgeschichte war „Dreamstalker“. Zudem arbeitete er als Herausgeber von Kurzgeschichtensammlungen.