Titel: For the win Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Zweiundvierzig Tote", sagte Schwester Nor zu Justbob und dem Mächtigen Krang. "Zweiundvierzig Tote in Shenzhen! Das ist ein Blutbad."
"Das bedeutet Krieg", sagte Justbob.
"Krieg", sagte der Mächtige Krang so böse, wie man ihn noch nie gehört hatte. Er bemerkte ihre Blicke, ballte die Fäuste und starrte finster vor sich hin. "Krieg!", wiederholte er.
"Kein Krieg", widersprach Schwester Nor. "Streik."
Inhalt:
Online-Games erfreuen sich großer Beliebtheit und werden weltweit in Massen gespielt - aber sie sind nicht mehr nur noch zum Spaß da. Jugendliche verdienen sich Geld, indem sie für ihre Chefs in den virtuellen Welten Gold beschaffen. Vor allem in den armen Ländern findet diese Methode, zu verdienen, Anklang, wodurch es immer einfacher wird, diese Arbeiter genauso auszubeuten wie alle anderen in den normalen Fabriken.
Doch dagegen hat sich eine Gemeinschaft zusammengeschlossen; Webblys nennen sich die Anhänger. Sie kämpfen für faire Löhne und gute Arbeit. sowohl im realen Leben als auch in den Spielwelten. Doch ihr Plan ist riskant und gefährlich, denn die Machthaber schrecken vor nichts zurück. Als es zu immer mehr Krawallen und Protesten kommt, ist die Zeit gekommen: Jetzt müssen sie angreifen, um endlich alles zum Besseren wenden zu können. Wird es ihnen gelingen?
Buchaufmachung:
Auf den ersten Blick scheint das Cover sehr langweilig zu sein: Hände, die Maus und Tastatur eines PCs bedienen. Doch beim zweiten Hinsehen fällt auf, dass diese Hände in Ketten gelegt sind - und das schockiert erst einmal. Durch diese Gestaltung wird sofort das Interesse geweckt und sie gibt auch einen kleinen Einblick darauf, was einen so erwartet. Durch den rot hervorgehobenen Titel wirkt alles noch ein wenig düsterer. Rundum gelungene Aufmachung!
Meine Meinung:
"For the win" klingt vom Klappentext her wie eine lange, lange Beschreibung eines PC-Spiels. Die Geschichte sprach mich an, dennoch war ich skeptisch: Schließlich ging das letzte ähnliche Buch total in die Hose. Aber jetzt bin ich froh, es tatsächlich gewagt zu haben, denn es ist definitiv ganz anders als erwartet!
Mit Online-Spielen und ähnlichem habe ich eigentlich eher weniger zu tun, trotzdem interessierte mich die Thematik des Buches, weil sie eben so ganz anders ist als das Übrige. Dennoch war ich überrascht, wie sehr das Werk mich fesseln konnte - das hätte ich nicht für möglich gehalten. Das mag vor allem daran liegen, dass es hier viel weniger um die Games selbst geht als um den Aufstand der Arbeiter, die nicht fair behandelt werden. Anfangs sind diese Proteste noch klein, noch jung, doch sie weiten sich aus und greifen schließlich auf die ganze Welt über, was eine sehr interessante Entwicklung ist.
Cory Doctorow schafft es von Anfang an, die Leser zu fesseln. Zum einen hat er einen sehr lockeren, flüssigen Schreibstil, der sich schnell lesen lässt, zum anderen gestaltet er seinen ganzen Plot komplett unautoritär, überlässt alles seinen Figuren und schafft nur den Hintergrund. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen greift er zwischendurch als Erzähler ein, um, ohne Figuren zu nennen, einige Dinge zu erklären, die für den Verlauf wichtig sind - und macht das auf eine Weise, die es möglich macht, genau zu verstehen, was er meint. So war es mir von Anfang an möglich, gut mitzukommen und in die Welt der Spieler einzutreten.
Anders als auf dem Buchrücken angegeben sind es beileibe nicht nur vier Gamer, die um ihr Recht kämpfen, sondern bedeutend mehr. Schwester Nor ist die Anführerin der Webblys und die vorrangige Fädenzieherin, gleich bedeutend ist aber auch Jie mit ihrer Radiosendung für Arbeiterinnen, Wei-Dong, der illegal in China einreist, um aktiv mithelfen zu können und Yasmin, die sich der Bewegung anschließt, obwohl sie Gewalt von ihrer ehemaligen Gruppe zu befürchten hat. Und das sind noch lange nicht alle. Viele unterschiedliche und wunderbare Figuren bevölkern den Roman, geben ihm Gefühl und Authentizität. Alle sind klasse charakterisiert, und auch wenn es anfangs mit den vielen Persönlichkeiten etwas verwirrend ist, so steigt man doch sehr schnell durch.
Die Geschichte selbst ist hoch spannend und geradezu brandaktuell - denn auch, wenn es keine Gamer sind, so werden doch viel zu viele Arbeiter ausgebeutet und entlassen, wenn sie nicht mehr den Anforderungen genügen: möglichst billig, möglichst unterwürfig, möglichst schnell. Doctorow greift dieses Thema auf und strickt daraus eine Geschichte, wie ich sie bisher noch nicht gelesen habe. Die Organisation und die Aktionen derer sind wirklich originell, die Protestaktion und die Reaktionen der Polizei darauf erschreckend, aber leider auch realistisch. Die Zustände sollen besser werden, aber dafür muss ein harter Kampf gewonnen werden. Und das ist leider gar nicht so leicht, wie bald klar wird...
Ich war gebannt und habe mitgefiebert, gehofft, dass sich alles zum Guten wendet, auch wenn es zwischendurch wirklich schlecht aussieht. Die Brutalität nimmt im Laufe des Buches zu, als es immer schlimmere Ausschreitungen gibt, bis es zu Toten kommt - und ab da geht es richtig los. Schon ab Seite 400 wird auf das Ende hingearbeitet, von dem ich eigentlich noch mal einen richtigen Showdown erwartete. Dieser kommt tatsächlich, aber anders als erwartet und so sehr viel berührender. Letztendlich ist der Schluss ungewöhnlich - aber ungewöhnlich gut.
Fazit:
Dass mich "For the win" so begeistern würde, hat mich ehrlich gesagt selbst überrascht. Es ist sehr viel einfühlsamer und spannender als man es vom Klappentext erwarten würde, vor allem aber bringt Cory Doctorow wichtige Themen ein. Mit seinen zwischenzeitlichen Erklärungen und dem Glossar im Anhang konnte ich der Geschichte perfekt folgen und bin so sehr froh, das Werk gelesen zu haben. 4,5 Punkte für diesen tollen Roman!