Titel: Es stirbt in mir Eine Besprechung / Rezension von Cornelius Ibs-von-Seht |
Im Juli hat der Heyne-Verlag seine Reihe Meisterwerke der Science Fiction um neun Titel erweitert, darunter auch Robert Silverbergs Es stirbt in mir, das im Klappentext als großer Klassiker der SF bezeichnet wird. Ich finde diese Titulierung etwas daneben, denn dieser Roman hat nichts von dem, was klassische SF ausmacht. Er schwimmt vielmehr wie ein schillernder Öltropfen auf der Wassersuppe der SF, hat thematisch fast keine Verbindung zur üblichen phantastischen Literatur.
Die Geschichte handelt zwar von einem Gedankenleser, aber der hat nichts mit der Idee vom telephatischen Supermännchen gemein, die z. B. in der bekannten deutschen Endlosserie über 1000 Bände bis zum Erbrechen verwurstet wurde. David Selig, der Antiheld des Buches, ist vielmehr eine gescheiterte Existenz, die ihr besonderes Talent nur dazu nutzt, sich mehr schlecht als recht durchs Leben zu schlagen. Er lebt im New York der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts und verwendet seine Gabe lieber zur Erkundung erotischer Möglichkeiten interessanter Frauen, als sich mittels telephatisch gewonnenem Insiderwissen an der Börse zu bereichern. Als ihm nach dem 30. Lebensjahr die übersinnlichen Fähigkeiten schwinden, bemerkt er, dass er zwar sein Leben lang Gedanken und Emotionen seiner Mitmenschen und auch Partner geteilt hat, im Grunde aber zu keiner richtigen Beziehung fähig ist. In dieser Lebenskrise steht ihm ausgerechnet seine Schwester bei, die früh sein indiskretes Talent erraten hat und der er eigentlich nur in gegenseitiger Abneigung, ja Haß verbunden war ...
Wer diesen Band in die Hand nimmt, sollte sich auf einen Par-Force-Ritt gefasst machen, durch Träume und Ekstasen der 60er und 70er in Amerika, einem Amerika der Rassenkonflikte, Drogenexperimente und der sexuellen Befreiung. Silverberg vagabundiert durch die Chronologie der Geschichte genau wie durch die Schreibstile. Am ehesten ist sein Erzählungsmodus noch mit dem Stil von Philippe Djian zu vergleichen - wer "Betty Blue" oder "Erogene Zone" kennt, weiß, was er zu erwarten hat. Alles in allem ein atemberaubender Roman, der weitab der üblichen Klischees und eingefahrenen Handlungskonstrukte operiert.
Sehr aufschlußreich ist auch das Vorwort von Andreas Eschbach im Band. Er weiß eine Menge Paralellen zwischen der Vita des Autoren und des Romanprotagonisten aufzuzeigen sowie eine gute Einstimmung auf den Roman zu vermitteln. Für mich persönlich ist auffällig, dass die SF-Romane, die mir am besten gefallen, entweder jenseits der verbreiteten SF-Themen angesiedelt, von Newcomern im Genre oder von Frauen geschrieben worden sind. Nicht zu Unrecht mahnt Eschbach in seinem Geleit an, es sei an der Zeit, dass "die Science Fiction sich die erzählerischen Techniken und Ansprüche der normalen Literatur aneignen und ihre selbstzufriedene Isolation überwinden (muss)".
Eine Übersicht des Zyklus gibt es auf der Autorenseite.
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Es stirbt in mir - Rezensionsübersicht