Serie / Zyklus: Ender Wiggins (Band 1.2) Titel: Enders Schatten Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Die Straßen Rotterdams sind für die Kinder der Zukunft ein hartes Pflaster. Banden obdachloser Kinder liefern sich einen gnadenlosen Überlebenskampf und die Speisungen, die soziale Organisationen durchführen, kommen nur den älteren Kindern zugute, die sicherstellen, dass sich die kleinsten nicht blicken lassen. Als der kleine Bean auftaucht, beginnen sich die Dinge schnell zu verändern. Klein von Wuchs, aber mit einem überragenden Intellekt ausgestattet, analysiert der 5-jährige die Situation und stößt Änderungen an, die fast augenblicklich die Situation und die Versorgung der Kinder verbessern. Dies fällt Schwester Carlotta auf, die nach außergewöhnlichen Kindern sucht, doch es dauert eine Weile, bis sie begreift, dass es das kleinste aller Kinder war, das diese Veränderungen bewirkte. Bean hat gelernt, seine Fähigkeiten zu verheimlichen, und so zeigen seine Tests, die die Nonne von ihm erledigen lässt, keine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Erst ein intensives Gespräch und vor allem die Möglichkeit, von der Straße weg in eine Militärschule zu kommen, brechen das Eis. Bean offenbart Fähigkeiten, die allen gleichaltrigen, ja sogar allen anderen Kindern gegenüber überlegen sind. Bean ist der brillanteste Kopf der Menschheit und vielleicht sogar der Schlüssel zum Sieg über die Schwarmintelligenz, die die Menschheit bedroht. Doch wie will man ein Kind schulen und unter Kontrolle halten, das einem Erwachsenen geistig in jeder Hinsicht überlegen ist?
Orson Scott Card greift erneut die Geschichte um Ender Wiggins und den Krieg gegen die Schwarmintelligenz auf. Dabei erzählt er die Geschichte aus „Das große Spiel“ ein zweites Mal, aus der Sicht des brillanten Bean, der Ender treu zur Seite stand und ihm in der Endphase des Kriegs eine große Hilfe war. Ich muss sagen, ich war dem Buch gegenüber skeptisch. Die letzten beiden Ender-Romane zuvor konnten nicht recht überzeugen und diesem neuen Ansatz hatte ich nicht viel Potential zugestanden. Wie sehr ich mich doch geirrt hatte: "Enders Schatten" ist eine intelligenter, gefühlvoller Roman. Von Beginn an wird der Leser gefesselt und trotz der Problematik, einen wirklich hyperintelligenten Protagonisten im Mittelpunkt zu haben, gelingt es dem Autor, die Figur mit viel Sympathie und Gefühl zu beschreiben. Bean wirkt nicht entrückt, sondern hat auch seine Ängste und Nöte. Sobald die Geschichte auf dem Ausbildungsasterioden spielt, ändert Orson Scott Card seinen Erzählstil und verlegt sich auf die Interaktion zwischen den Ausbildern und Bean. Das Ganze ist ein Katz-und-Maus-Spiel, denn Bean gelingt es nicht nur, alle Geheimnisse der Führung aufzudecken und das Ziel der Kampfschule zu verstehen, nein, er beginnt auch im Interesse der Menschheit zu agieren. Verständlich ist es jedoch, dass die Führungskräfte Bean gegenüber eine große Furcht zeigen. Der Junge ist ihnen überlegen, und das wissen sie. Sie können ihn nicht wie Ender kontrollieren, doch kann er der entscheidende Faktor im Krieg sein. Dieses Setting ist wirklich faszinierend, und obwohl auch viele politische Gedanken in das Buch einfließen, ist Card ein sehr runder Roman gelungen, der den Leser fasziniert und unterhält, der keine Längen hat und wirklich außergewöhnlich gute Unterhaltung bot. Es ist das passiert, was ich nicht mehr zu hoffen gewagt hatte: Orson Scott Card konnte qualitativ an seine früheren Romane anschließen und wieder einen großartigen SF-Roman vorlegen.
9 von 10 Punkten