Serie / Zyklus: Ender Wiggins (Band 1.2) Titel: Enders Schatten Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Mit „Enders Schatten“ liegt bei der Festa & Nagula OHG Orson Scott Cards erster Roman des „Shadow-Zyklus“ vor, der mittlerweile insgesamt vier Romane umfasst, von denen der letzte erst Ende März in den USA erschien. Neben „Ender ´s Shadow“ sind innerhalb der Reihe Festa SF auch „Shadow of the Hegemon“ (im zweiten Halbjahr 2005) und „Shadow Puppet“ angekündigt. Die Freunde anspruchsvoller SF wird dies freuen, denn Orson Scott Card zählt nicht nur zu den besten Erzählern seiner Zunft, sondern leider auch zu denen, deren Werke bereits seit Jahren nicht mehr ins Deutsche übertragen werden und deren bisher vorliegende Werke lediglich antiquarisch zu erwerben sind.
Michael Nagula, als Herausgeber der Reihe, ist es zu verdanken, dass Romane wie „Enders Schatten“ nun hierzulande verlegt werden. Aus verlegerischer Sicht dürfte er über die Ankündigung der Verfilmung von Orson Scott Cards Roman „Ender - Das große Spiel“ (der Roman wird bei Heyne im Herbst neu aufgelegt) durch Wolfgang Petersen sehr erfreut sein. Denn solch ein Filmprojekt steigert die Verkaufszahlen von Cards Romanen und rückt gleichzeitig die anderen Romane und Kurzgeschichtensammlungen der Reihe in den Fokus der Leser.
Mit Orson Scott Card konnte Michael Nagula einen der produktivsten und besten Erzähler der amerikanischen SF-Szene unter Vertrag nehmen. Cards Aufstieg begann, als er für die ersten beiden Romane des „Ender-Zyklus“ („Ender - Das große Spiel“; „Sprecher für die Toten“; in deutsch beide bei Bastei-Lübbe) jeweils hintereinander den HUGO- und den NEBULA-AWARD gewann. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich damit an die Spitze der SF-Szene geschrieben, was ihm einige Jahre später mit einem Fantasy-Zyklus noch einmal gelang.
Das besondere an „Enders Schatten“ ist, dass er einen Parallelroman zu „Ender - Das große Spiel“ darstellt. Während im zweiten Andrew „Ender“ Wiggin als Figur im Vordergrund steht - dem Leser bereits durch vier Romane bekannt - ist dies im ersten der kleine Bean, ein Straßenjunge.
Card erzählt die Geschichte aus „Ender - Das große Spiel“ aus einer anderen Sichtweise. Die Rahmenhandlung und hier vor allem die Handlung auf der Raumstation und der Kampf gegen die Schaben, sind dem Leser bekannt. Dies nimmt zwar ein wenig von der Spannung weg. Da die wenigsten Leser aber noch die Handlung des 1985 erschienenen Romans im Gedächtnis haben dürften, stellt dies kein Manko dar.
Der Roman beginnt in den Straßen Rotterdams, auf denen ein kleiner Junge versucht zu überleben. Abgemagert und auf sich allein gestellt, schließt er sich einer der zahlreichen Kinderbanden an. Bereits zu Beginn wird deutlich, dass die überragende Intelligenz des Jungen nicht mit seinem Lebensalter korrespondiert. Bean, wie er von den Kindern aufgrund seiner geringen Größe genannt wird, ist erst vier Jahre alt, verfügt aber über ein Wissen und eine Auffassungsgabe eines Erwachsenen. Dank seiner Ideen und seines Weitblicks gelingt es ihm von allem die Ernährungssituation der Gruppe und damit auch seine deutlich zu verbessern. Die durch ihn eingeleiteten Veränderungen fallen unter anderem den Betreibern der Suppenküchen auf, denn mit einem Male werden die jüngeren Kinder nicht mehr von den älteren von diesen fern gehalten und drangsaliert.
Aufgrund dessen wird Schwester Charlotta, die ständig auf der Suche nach außergewöhnlichen Kindern ist, die sie dank ihrer Fähigkeiten einem kurzen Leben auf der Straße entreißen kann, auf Bean aufmerksam. Sie nimmt die gesamte Kinderbande unter ihrer Obhut und erkennt sehr schnell das Potential Beans, auch wenn dieser bemüht ist seine Fähigkeiten zu verbergen, um so keinen Neid der größeren und stärkeren Kinder zu provozieren.
Beans Potential ist so außergewöhnlich, dass ihm das Militär einzieht und zu einer Raumstation im Orbit der Erde bringt. Hier wird er mit einer Vielzahl weiterer, außergewöhnlicher Kinder für den Kampf gegen die Schaben ausgebildet, die vor einigen Jahren die Erde angriffen und Millionen Menschen töten konnten bevor sie vernichtet wurden. Ein erneuter Angriff der Schaben scheint kurz bevorzustehen und die gesamte Hoffnung ruht auf den frisch ausgebildeten Militärnachwuchs.
Der mit Abstand beste Schüler der Akademie, der auch den Kampf gegen die Schaben führen soll, ist Andrew Wiggin, der sich selbst Ender nennt. Geht Bean Ender zu Beginn noch bewusst aus dem Wege, so sucht er zum Schluss hin immer mehr dessen Nähe, um so diesem mit seinen speziellen geistigen Fähigkeiten im Kampf gegen die Schaben unterstützen zu können. Körperlich weiterhin einer der kleinsten und schwächsten, erlangt er dank seiner überragenden analytischen Fähigkeiten sehr schnell den Respekt seiner Kameraden und den Enders. Er versucht zu Enders Schatten zu werden, um ihn beim anstehenden Konflikt mit den Schaben entsprechend unterstützen zu können.
So einfach aufgebaut wie es nach dieser kurzen Zusammenfassung der Handlung scheinen mag, ist diese bei weitem nicht. „Enders Schatten“ zählt nicht zu Space Operas oder den Weltraumabenteuerromanen, wie sie seit einiger Zeit zuhauf von den bundesdeutschen Verlagen auf den Markt gebracht werden. Zwar verliert Orson Scott Card nie den Spannungsbogen aus dem Auge und der Leser kann sicher sein einen fesselnden SF-Roman zu lesen, dennoch stehen die Figuren und ihre Interaktionen im Vordergrund. Da wird taktiert, gelogen, sein eigener Vorteil gesucht und verschleiert. Beans gesamter Werdegang ist ein einziger Kampf mit sich selbst und gegen seine Umgebung. Obwohl die Menschheit sich vereint sieht im Kampf gegen die Schaben, übertüncht diese äußere Bedrohung nur das gegenseitige Misstrauen. Alle negativen, menschlichen Eigenschaften werden von Card eingebracht.
Mittels der Figur Bean konfrontiert Card seine Leser mit moralischen Fragestellungen und menschlichen Entwicklungsprozessen. Beans Einstellungen verändern sich im Verlaufe des Romans. So wie Ender nie wieder seine Fähigkeiten zur Kriegsführung einsetzen wird, so wenig kann sich Bean seiner Verantwortung gegenüber der Menschheit entziehen. Das Bean letztlich doch nur ein kleiner Junge ist, der sich nach ganz profanen Dingen wie einer intakten Familie sehnt, wird am auffälligsten am Ende des Romans deutlich.
„Enders Schatten“ ist ein anspruchsvoller SF-Roman, der dennoch kurzweilig und spannend in Szene gesetzt ist. Genau solche Werke fanden sich innerhalb der SF-Reihen der einschlägigen Verlage in den letzten Jahren kaum noch. Sie bedienten halt nicht den Geschmack der Massen und brachten keine schnellen und hohen Umsatzzahlen. Dank Michael Nagula werden solche Werke nun wieder in deutschsprachiger Übersetzung erscheinen.