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Lob und Jubel von mir nachträglich für den Bastei-Verlag, der das Buch 2000 unter dem Titel Einmal zaubern, Touristenklasse verlegte.
Diana Wynne Jones ist in England eine seit vielen Jahren geschätzte Fantasy-Autorin. Die Verfilmung von Das wandelnde Schloß durch die japanischen Ghibli-Animationsstudios von Meister Miyazaki macht Diana Wynne Jones nun bei uns wohl ein bischen bekannter, zu mehr als einem einem Geheimtip unter Fantasy-Kennern (wer immer das sein mag). Sie hat selbst noch Vorlesungen von J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis besucht, und gibt dennoch (oder gerade deshalb) mit The Tough Guide to Fantasyland (etwa: Der herbe Reiseführer nach Fantasyland) ein humorgeballtes Kontra auf die allzu liebgewonnenen Versatzstücke des Fantasy-Genres.
Wir erinnern uns: In den Fünfizigerjahren des letzten Jahrhunderts erschienen die drei Bände der Herr der Ringe-Trilogie von Tolkien. Erwartet hatte man eine Fortsetzung des erfolgreichen Kinderbuches Der kleine Hobbit und bekommen hatte man eine überbordende Super-Queste nach einem Ausweg, um der sich alles unterwerfenden Macht der Moderne zu entkommen. Nicht viel geschah, bis die Hippies in den Sechzigern den zum Großmärchen aufgeblasenen Kriegs-Epos des Kampfes zwischen Gut und Böse für sich entdeckten. Der Meister von Mittelerde selbst war entsetzt über seine neue Leserschaft, die er als "langhaarige Irre" bezeichnete.
Wer jemals den Disco-Song"Where there is a whip, there is a will" aus der Zeichentrickfassung des Herren der Ringe gehört hat, wird Tolkien verstehen können. Hier in Deutschland ist dieses Lied aus der TV-Fortsetzung von Ralph Bashkis Kino-Fassung kaum bekannt.
Wie man's auch nimmt, hat Tolkiens Mittelerde einen enormen Einfluß auf die populäre Kultur. Dieser exzentrische Linguist hat das Erfinden einer eigenen Welt mit einer Ernsthaftigkeit durchgezogen, die es bis dahin nicht gab. Frühere Phantasie-Welten sind im Vergleich zu Tolkien ehr oberflächlich und unverästelt. Niemals zuvor hat ein Autor in diesem Umfang zuerst Kosmologien, Landkarten, Genealogien, Geschichts-Chroniken, Legenden, Lieder, Verse und verschiedene Sprachen erstellt, um erst dann seine Geschichte in dieser Welt zu erzählen. Vor Tolkien blieb entsprechend veranlagten Lesern nur, die Felder der echten Geschichte, der Religionen, Großideologien und der Esoterik zu besuchen, wenn sie sich einer umfassenden literarischen "Wirklichkeit" zwecks Selbstergänzung hingeben wollten.
Bis heute wird diese mächtige Sinnmachmaschinen-Qualität der Fantasy von den Hardcore-Verfechtern der sogenannten "richtigen und ernsthaften" Literatur scheel beäugt. Kein Wunder: Haben doch mit dem Fortschreiten des von Tolkien selbst so verachteten Moloch Moderne — der alles in kleine Konsumier-Portionen für Club-Urlaube abpackt —mehr oder weniger geschickte Pauschal-Reiseveranstalter Routen ins Tolkien'sche Terrain etabliert, auf denen die Touristen immer-tröstliche Helden- und Märchengeschichten genießen können.
Bereits 1996 hat Diana Wynne Jones ihren Tough Guide to Fantasyland in England veröffentlicht, der in fast 500 alphabethischen Einträgen von Adept bis Zombies die typischen Eigenheiten dieser Literatur kenntnisreich aufzählt, und spöttisch analysiert.
So ist keine Tour vollständig ohne eine Karte. Touristen gelangen oft mittels eines Portals an ihren Ausgangsort, zum Beispiel der kleinen Stadt Gna'ash:
Tja, viele Leser werden wohl bereits von derartig exotischen Ortsnamen wie Gna'ash verwirrt und abgeschreckt. Von solchen Irritationen der Flott-Irritierten rührt viel des schlechten Rufes der Fantasy und Phantastik. Wie gut, daß bereits zu solch grundlegenden Hürden wie Apostrophen und Namen der Tough Guide den Fantasy-Unkundigen Verständnishilfe reicht. So gibt es drei Theorien zur Aussprache eines Ortsnamens wie Gna'ash.
1 Man ignoriert den Apostroph und spricht einfach nur das Wort aus. (Dann Gna'ash = Gnash.)
2 Man läßt eine Pause oder Lücke an der Stelle des Apostrophen. (Dann Gna'ash = Gna-ash.)
3 Man macht eine Art Gluckslaut für den Apostrophen. (Dann Gna'ash = Gnaglunkash.) Personen mit unsicher sitzenden Mandeln sollten sich auf eine der ersten beiden Möglichkeiten beschränken.
Hatman in Gna'ash das örtliche Wirtshaus gefunden, sucht man dort die Tour-Gefährten zusammen, ißt einen Eintopf, mietet eine Kammer für die Nacht und nimmt (wers braucht) an einer Kneipenschlägerei teil. Am nächsten Tag versorgt man sich auf dem Marktplatz mit Kleidung — zu der unbedingt ein Kapuzenumhang gehört —, und Schwert und Pferd und den ganzen anderen Krempel für eine richtige Queste. Vor dem Aufbruch, sollte man noch den ansäßigen Magier wegen des Schwertes konsultieren. Immerhin ist der längste Einträg des Tough Guide diesen Erz-Gadgets der Fantasy gewidmet.
Nun gehts auf zur großformatigen von Mystischen Meistern moderierten Schnitzeljagd durch alle Gebiete, die auf der Karte zu finden sind (ein Buch ohne Karte, kann kein richtiges Fantasy-Buch sein, nicht wahr=). Gewürzt wird diese Schatzsuche nach einem Quest-Gegenstand durch schwieriges Terrain und den Finsteren Herrscher. Hat man nach verschiedenen Zwischenfällen, Konfrontationen und Kämpfen das Quest-Objekt gefunden, geht man daran, den Finsteren Herrscher zu besiegen und/oder packt die Weltrettung an. Wie auch immer: im dritten (oder auch fünften) Teil der Trilogie kommt es zum Abschluß der Geschichte, siehe Geburtsrecht, siehe Verschollener Thronfolger.
Diana Wynne Jones kratzt mit ihren Einträgen zu Wirtschaft (Ökonomie, siehe auch Stickereiarbeiten), Umwelt (Ökologie, siehe auch Läuse) und Import/Export an der oberflächlichen Daumenlutscher-Komplexität eines Gutteils des Fantasy-Genre. Die zusammenkonstruierten Handlungen nimmt sie auseinander, indem sie darlegt, daß in Fantasyland eben Legenden, Prophezeiungen und Träume als Informationsquelle für die Helden weitaus zuverläßiger sind, als Geschichtsschreibung. Sprach- und Stilkritik übt sie, wenn sie uns das Management der Tour, sowie deren Formelle Bezeichnungen der Reiseveranstalter (Official Management Terms) vorstellt. Eine Pest sucht eine Gegegend eben heim und hat Städte im Griff.
Kenner und Liebhaber von Genre-Fantasy können sich an den vielen geistreichen Beobachtungen und trockenen Kommentaren abhärten, oder sich darüber aufregen, lachend oder grollend. Allen, die sich selbst in der Kunst der Fantasy-Schriftstellerei und Weltenerfinderei versuchen, empfehle ich den Tough Guide zur inniglichen Beherzigung. Jones legt umfangreich die verbreitesten Handgriffe (die schnell mal zu Fehler-Routinen verkommen) der öd-gewöhnlichsten Fantasy-Topffrisuren dar. Der Tough Guide ist eine praktisches Orientierungsbuch, mit der man seine eigenen Fantasy-Entwürfe gegen den Strich bürsten kann.
Ein Zuckerl des Buches sind die das Alphabet unterteilenden Gnomenworte (nebst einem Barbarenlied). Die gebundene Auflage des Jahres 2004 des englischen Gollancz-Verlages (ISBN 0-575-07592-9) wird neben einer Karte von Dave Senior durch acht feine Bleistiftzeichnungen (und Umschlagszier) von Douglas Carrel geschmückt.
Wenn du deine eigene Tocher an Banditen verkaufst, und dafür selbst mit deiner Tocher freigelassen wirst, dann ist das Politik.
- Ka'a Orto'o, Gnomenworte, XXXI ii -