| Reihe: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Jason Taverner blickt ironisch lächelnd auf sein 30-Millionen-Publikum hinab, das er als Entertainer in seinen Shows begeistert. Ganz ohne Frage - er ist bekannt. Jeder kennt Jason Taverner, oder etwa nicht? Von einem Tag auf den anderen verliert er seine Identität: Er wacht in einem Hotelzimmer auf, und keiner scheint ihn zu kennen, noch nicht einmal seine Freundin. Er hat noch nicht einmal Papiere, mit denen er seine Identität beweisen könnte, und das ist übel, denn in dem totalitären Polizeistaat wird jeder verhaftet und für Monate in ein Straflager gesteckt, wenn er ohne Ausweis erwischt wird.
Schnell versucht Taverner sich gefälschte Papiere zu besorgen, doch dies ist ein Pyrrhussieg, denn die Polizei wird auf ihn aufmerksam. Einen Routinecheck übersteht er, doch bei einem tief greifenden Test stellt sich heraus, dass keine Papiere, ganz gleich welcher Art, von ihm vorliegen. Die Exekutive wird nervös, denn wenn von jemanden keine Papiere vorliegen, dann hat diese jemand vernichtet, und dieser Jemand hat ganz großen Einfluss, Geld und Macht. Taverner gerät in das Visier eines schizoiden Polizeistaats. Ganz oben steht General Felix Buckman, der von Taverner fasziniert ist und sich mit seiner revolutionären Zwillingsschwester Alys herumschlägt, die alles machen würde, um ihrem Bruder eins auszuwischen, und dies macht sie zwangsläufig zu Taverners Verbündeten, der inzwischen jede Hilfe annimmt, die er bekommen kann.
Der Roman, der nun erstmals in einer ungekürzten Fassung vorliegt, ist einer der besten des amerikanischen Wunderautors Philip K. Dick. Das Spätwerk lässt eine Reife erkennen, die das Werk vielen anderen Dick-Romanen voraus hat. Zwar versprüht Dick nicht mehr ein Feuerwerk der Ideen wie in seinen frühen Werken, dafür ist er am im Formalen als Autor viel gereifter.
Jason Taverner ist in jedem Gedanken, mit jeder Tat der Showmaster. Ein Mensch, der anderen die bittersten Wahrheiten ins Gesicht schmettert und dem trotzdem verziehen wird, weil er sein Gegenüber mit seinem Charme eingelullt hat. Ebenso Jasons Widersacher Buckman und seine Schwester. Beide Figuren sind so vital und so gegensätzlich. Man hat fast den Eindruck, es handle sich um die zwei schizoiden Hälften einer einzigen Person. Unglaublich, wie Dick da die Personen skizziert. In dieser Hinsicht hatte er zu diesem Zeitpunkt Meisterschaft erlangt.
Aber auch das Grundszenario, typisch für Dick, wie man sagen möchte, ist gelungen. Eine Welt, die vielleicht mit den USA nach einem verlorenen Terrorkrieg vergleichbar wäre. Dick hat damals schon die Gefahr der zu starken Kontrolle in Amerika gesehen und darauf seinen Roman aufgebaut. Es ist unglaublich, wie aktuell dieser Roman nun wieder geworden ist. Man möchte ihn am liebsten kaufen und als Geschenk an George W. Bush schicken. Trotz allem ist der Roman keineswegs düster. Er ist vielmehr eine Reise durch das Gehirn von Taverner, und ständig umspülen den Leser die Gedanken des Protagonisten. Und am Ende, im letzten Kapitel, zeigt Philip K. Dick Humor und Moral in einem: Von allen Protagonisten wird letztendlich nur eine Töpferin in ihrem Leben glücklich, die zu allen gut war und den Ruhm ablehnte. Na, wenn das keine Botschaft ist.
9 von 10 Punkten.
Eine andere Welt - Rezension von Ulrich Blode
Themenbereich "Parallelwelten"
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