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Titel: Dracula - Mythen und Wahrheiten: Ein Handbuch der Vampire Eine Rezension von Mario Pfanzagl |
Seit Bram Stoker 1897 mit seinem Roman Dracula ein eigenes Genre schuf, hat sich der von ihm mitbegründete Mythos vom transylvanischen Grafen Generationen eingeprägt und ist längst in der Popkultur aufgegangen. Ähnlich wie manche der Kreationen eines Jules Verne (Reise zum Mittelpunkt der Erde, Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer) oder H. G. Wells (Krieg der Welten, Die Zeitmaschine) hat auch Stokers Idee zahllose Nachahmer gefunden und gehört zum Urgestein der modernen Fantasyliteratur. Wie Reinhard Deutsch und Co-Autorin/Graphikerin Christine Klell mit dem vorliegenden Buch jedoch belegen, war Stoker selbstverständlich nicht der Erste, der sich mit den seit der Antike existierenden Vampir-Mythen beschäftigte, jedoch wohl der, dessen Ausformung dieses Gedankenguts sich als am prägendsten erwiesen hat. Die Kult-Vampire des frühen 21. Jahrhunderts sind jedoch kaum noch mit den Dracula-Inkarnationen eines Bela Lugosi oder Christopher Lee vergleichbar. Vampire Diaries, Blade, Underworld und die Twilight-Saga zeugen von der faszinierenden Evolution des Dracula-Mythos seit Bram Stoker.
Auch wenn der Aspekt der kulturgeschichtlichen Entwicklung des Vampir-Mythos Reinhard Deutschs Metier am ehesten entspricht, beschäftigt sich "Dracula - Mythen und Wahrheiten" mit weit mehr. Es ist ein buntes Allerlei, das so ziemlich alles umreißt, was es zum Thema Vampire derzeit so zu sagen gibt. Auf den ersten Blick mag das den Leser irritieren, denn dem Buch fehlt eindeutig oft die Struktur, sodass es durch die grafische Überfrachtung auf den ersten Blick eher abschreckend wirkt, doch taucht man einmal in die Lektüre ein, erkennt man, dass dieses Stilmittel Programm ist. Klell und Deutsch nehmen sich und ihr Thema schlicht nicht zu ernst und das verleiht dem Buch eben eine solche "Persönlichkeit". Wer also eine sachliche Aufarbeitung des Themas Vampire erwartet hätte, wird wohl ein wenig enttäuscht sein, zumindest auf den ersten Blick, denn die Autoren sind sich ihrer Gratwanderung sehr wohl bewusst gewesen. Man wollte den Lesern nämlich sowohl die Fakten wie auch die Mythen möglichst authentisch vor Augen führen und das, ohne dem Ganzen eine bestimmte Perspektive aufzuzwingen. Das Experiment ist gelungen und, um ein gutes Beispiel zu wählen, so hat man einerseits die Existenz von Vampire nachweisenden Quellen aus dem 18. Jahrhundert zitiert wie auch solche, die das Ganze im Sinne der Aufklärung als Humbug bezeichnen.
Richtig militante Stimmen, die behaupten, Vampire würden heute noch existieren und ihr Unwesen in der Gesellschaft treiben, finden sich freilich nicht, das Extremste, wenn man so will, ist der Kopf der amerikanischen Vampire Nation, der Obama als Muslim und damit natürlichen Feind aller Vampire bezeichnet (Ersteres ist erwiesenermaßen bereits falsch, sonst hätte Obama im Präsidentschaftswahlkampf keine Probleme wegen der Aussagen seines evangelikalen Pastors bekommen, Letzteres ist wohl darauf zurückzuführen, dass der US-Präsident wohl kaum willens sein wird, der Vampire Nation eine Abfindung in Millionhöhe für erlittene Diskrimnierungen durch US-Behörden zuzugestehen). Dafür finden sich zahlreiche Originalzitate aus diversen Foren und Web-Präsenzen, die sich auf ihre Art mit dem Mythos Vampir auseinandergesetzt haben, ob nun als Rollenspiel oder Lebensstil. So beschäftigen sich Kapitel des Buchs mit Vampir-Clans, Vampir-Sternzeichen und auch Vampir-Typen.
Dazu gesellen sich manche Auszüge aus Vampir-Romanen, Kurzgeschichten und Drehbüchern entsprechender Theaterstücke. Sowie im Mittelteil eine vollständige Liste aller Vampirfilme bis zur Drucklegung des Buchs. Über das ganze Buch verstreut finden sich auch immer wieder Beiträge über die zahllosen Dracula-Verfilmungen, Musicals und Bram Stokers moderne Erben von Twillight bis Vampire Diaries, immer wieder auch Kapitel über jene Krankheitsbilder, die in früheren Zeiten zu einem Vampirismusverdacht geführt hätten. Die große Besonderheit ist jedoch neben dem Fehlen klarer Strukturen dass das Buch wirklich von Anfang bis Ende von der als Co-Autorin verewigten Grafikerin durchgestylt wurde. Das erste Merkmal dieser Besonderheit, die sonst eher nur bei Fotobänden zu finden ist, die aus einer Zusammenarbeit von Autoren und Fotografen hervorgegangen sind, findet sich schon am Cover. Dieses lässt sich nämlich wenden, sodass man statt der nachtschwarzen Standardvariante auch ein düsteres Dämmerungsszenario wählen kann.
Fazit:
Ein buntes Durcheinander, das sich selbst nicht allzu ernst nimmt und auf den ersten Blick so gar nicht ergründen lässt. Inhaltlich jedoch eine gelungene Gratwanderung zwischen Fakten und Mythen.