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Titel: Dr. Jekyll und Mr. Hyde |
Robert Louis Stevenson (1850–1894) war ein schottischer Schriftsteller, sein wohl bekanntestes Werk ist „Die Schatzinsel“. Obwohl er so jung verstorben war, hinterließ er ein umfangreiches Werk seiner schriftstellerischen Leistungen und gehört zur englischen Literatur des viktorianischen Zeitalters. In seinem Roman „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ thematisiert er das Phänomen der Persönlichkeitsspaltung.
Bei einem ihrer sonntäglichen Spaziergänge erzählt Richard Enfield seinem Freund, dem Anwalt G. J. Utterson, von einem gewissen Mr. Edward Hyde. Enfield wurde Zeuge, wie dieser Hyde mit einem Kind zusammenstieß und rücksichtslos über es drüber ging.
Utterson beginnt daraufhin mit einigen Nachforschungen über den schier so brutalen Edward Hyde anzustellen und stellt eine Verbindung zwischen Hyde und seinem Freund, dem von der Londoner Gesellschaft geachteten Doktor Henry Jekyll, fest. Durch diese Verbindung sieht er sogar das Leben von Jekyll bedroht.
Nicht grundlos zählt Stevenson zur Weltliteratur: In diesem Buch stellt er dem Leser die Figur Utterson zur Seite: Der Leser verfolgt dabei jeden dessen Schritte und Gedankengänge; am wichtigsten hervorzuheben ist aber, dass der Leser genauso viel weiß wie Utterson. Die Auflösung des Buches geschieht nicht durch irgendein Hintergrundwissen des Protagonisten, welches sich in diesem Moment wunderbar in die Geschichte einfügt, sondern durch zwei Berichte von anderen Figuren: einen Bericht von Dr. Lanyon und einen von Henry Jekyll. Hier wiederum kann der Leser plausibel den Handlungsverlauf nachvollziehen und letztlich daraus die selben Schlüsse ziehen, wie Utterson es konnte.
Interessant ist vor allem die Aussage, die Stevenson über den Menschen macht: Der Mensch besitzt ein Wesen, welches aus "gut" und "böse" besteht. Jeder Mensch hat demzufolge auch die Wahl, ob er sich "gut" oder "böse" verhält, und somit die "guten" oder "bösen" Eigenschaften auslebt. Wie man es dreht und wendet, die Möglichkeit allein, sich frei entscheiden zu können, ist der entscheidende Faktor, welcher dafür sorgt, ob jemand "gut" oder "böse" ist. Kein Mensch ist kategorisch bösartig, er hat sich nur für seine "böse" Natur entschieden. Freilich macht das kaum einen Unterschied, denn wenn ein Mensch einen Mord begeht, dann handelt er widrig, egal, ob er sich jetzt "böse" verhält oder kategorisch "böse" ist – das Resultat ist dasselbe. Stevenson will aber verdeutlichen, dass jedes Individuum das Potential besitzt, "gut" zu sein. Es hängt nur von den Entscheidungen des Menschen ab, ob er dieses Potential nutzt.
Wenn man sich die Person des Henry Jekyll betrachtet, fällt einem folgender Widerspruch auf: Jekyll selbst behauptet, "gut" zu sein – zu diesem Zweck erschafft er seine Subpersönlichkeit Edward Hyde, die nur aus Jekylls "bösen" Charakteristika besteht und diese auslebt. Jekyll hingegen kann dagegen ein vorbildlicher Mensch sein. Aber in dem Moment, in dem er Hyde kreiert, eine Person, deren Ziel es ist, Jekylls unliebsamen Gelüsten nachzugehen, entscheidet er sich gegen das Gute: Hyde ist Jekylls konzentriertes "Böse" und wenn Jekyll ihm ein freies Leben schenkt, dann bürdet er der Gesellschaft eine Gefahr auf: dass die Menschen lediglich dem Gutdünken von Hyde ausgeliefert sind. Sollte Hyde jemanden ermorden, trägt Jekyll daran Mitverantwortung, weil er den Täter erst erzeugt hat. Kann also ein Mensch, der von sich sagt, "gut" zu sein, seine Mitmenschen einer solchen potentielle Gefahrenquelle, wie Hyde eine ist, ausliefern? Darf er Hyde das Leben schenken und damit über die Köpfe anderer Mensch entscheiden, die Hyde möglicherweise zum Opfer fallen könnten?
Das sind natürlich Überlegungen, die Jekyll hätte machen sollen, als er Hyde erschuf. Aber er schien sie nicht erwogen zu haben. Als Henry Jekyll Edward Hyde erdachte, handelte er keineswegs wie ein "guter" Mensch, sondern wie ein egoistischer.
Auch hier trifft der Autor wieder eine Aussage über die Natur des Menschen: Eine klare Grenze zwischen "gut" und "böse", wie sie uns in Märchen begegnet, gibt es nicht. Jekyll will "gut" sein: Er möchte Karriere machen und sein Ansehen in der Gesellschaft erhalten – aus diesem Grund hilft er, Schäden zu beheben, die Hyde verursacht hat. Auf der anderen Seite will er auch seine "bösen" Triebe verwirklichen, wozu er Hyde benutzt. Aber auch, wenn er Hyde entgegenwirkt, war er doch durch Hydes Erschaffen erst der Auslöser für Hydes Wirken. Daher ist Jekyll "gut", aber eben auch "böse".
Menschen eindeutig in Schubladen wie "gut" und "böse" einteilen zu wollen, ist zwecklos: Mal verhält er sich so, mal so. Letztlich ist es die Summe seiner Taten, die darüber entscheidet.
Fazit: Ein Klassiker der Weltliteratur, der sich mit dem Menschen und seiner Natur auseinandersetzt und sollte daher in keinem Bücherschrank fehlen.