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" ... der wahre Urheber ist der Demiurg, dessen Bote ich bin. (...) Die untergeordnete Gottheit, die für diese Realität verantwortlich ist. Sie kann hier tun, was sie will. Wir sind nur ihre Marionetten, so eigenständig wir uns selbst auch empfinden mögen."[PKD auf S. 179]
" ... mein eigener verklärter Körper [ist] erst vor kurzem zum Heiligen aufgefahren. Aber mein Bewußtsein ... hängt noch hier fest, weil der Demiurg dieser Schöpfung (einer entschieden minderwertigen Schöpfung) mich damit betraut hat, den Alptraum zu korrigieren." [PKD auf S. 333]
Es ist März 1982. In einer Welt, die nicht die unsere ist, hat Philip K. Dick soeben einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich nicht wieder erholen wird. Und doch ist dies nicht das Ende. Offenbar durch das Wirken eines höheren Wesens löst sich der halb stoffliche, halb astrale Geist des berühmten Science-Fiction-Schriftstellers von seinen sterblichen Überresten. Er beginnt eine Wanderung, die ihn schließlich in eine Kleinstadt in Georgia führt und in eine Welt, in der Richard Nixon den Vietnamkrieg dazu nutzte, Notstandsgesetze zu erlassen, die die USA in einen totalitären Staat verwandelten. Eines schönen Tages betritt das Wesen, das einmal Dick war, die Praxis der Psychotherapeutin Lia Pickford-Bonner und offenbart ihr, es habe u.a. sie und ihren Gatten Cal dazu auserwählt, diese schlechte Welt in eine bessere zu überführen. Wie genau das vonstatten gehen soll, lässt Dick erst einmal offen und löst sich dann in Luft auf.
Nach und nach - und in wechselnden Erscheinungsformen - wendet er sich an weitere Menschen, die ihm bei seinem Versuch helfen sollen, diese Zeitlinie in eine andere überzuleiten, in der die Geschichte etwa so verlief, wie wir Leser sie kennen. Zu diesen Menschen zählen z. B. Major Gordon Vear, Astronaut auf der amerikanischen Mondbasis Von Braunville, sowie Horsy Stout, ein zwergwüchsiger Stallknecht. Vor allem aber ist hier Cal Pickford zu nennen, ein Cowboy aus Berufung, der gezwungen ist, in einer Haustierhandlung seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 1971 wurden seine regierungskritischen Eltern bei einer Parade vom republikanischen Mob zu Tode gesteinigt. Cal hat dies nie irgendjemandem erzählt. Er hasst Nixon von ganzem Herzen und ist ein glühender Fan von PKD's - in dieser Welt nie veröffentlichten - SF-Romanen. Von diesen bewahrt er illegale Kopien in seiner Wohnung auf und geht damit ein beträchtliches Risiko ein. Würden die Vertreter der bestehenden Ordnung von seinem 'Schatz' erfahren, wären Cals Leib und Leben in Gefahr.
Und die Gegenseite schläft wirklich nicht. Sie tritt in diesem Roman zuerst auf in der Gestalt von Grace Rinehart, einer berühmten Schauspielerin und Propagandistin der republikanischen Sache. Als Ehefrau des Landwirtschaftsministers Hiram Berthelot unterstützt sie seit langem das "Freiheitliche Amerikulturationszentrum in Fort Benning", eine Art Umerziehungscamp für Einwanderer und Dissidenten irgendwo zwischen Schulungskaserne und Guantanamo-Folterlager. Rinehart sieht sich als kommende Präsidentengattin, da ihr Ehemann als die Nummer Zwei hinter "King Richard" gilt.
Gleich zu Beginn des Romans steht Rinehart als angebliche Kundin plötzlich in Cals Tiergeschäft. Wodurch ein kleiner Arbeiter wie Calvin Pickford ihre Aufmerksamkeit erregt hat, bleibt letztlich unklar. Womöglich kann die Schauspielerin schlicht nicht mehr aus ihrer Haut: Während die depressive Grace in Lia eine Therapeutin sucht, die ihr das Gefühl nimmt, unreal zu sein, sich langsam aufzulösen, will gleichzeitig die kalte Machtpolitikerin sicherstellen, dass sie die Kontrolle über die Menschen behält, denen sie sich ein Stück weit öffnet. Rinehart will die Pickfords mit Zuckerbrot und Peitsche auf ihre Seite ziehen und korrumpieren. Als sie von Dicks SF-Romanen erfährt, zwingt sie einen vietnamesischen Einwanderer, die Texte aus der Pickford-Wohnung zu stehlen. Rinehart erhält ihr Druckmittel und schafft sich in Le Boi Loan gleichzeitig einen verzweifelten Feind.
Irgendwann kreuzen sich die Wege der Personen, die laut PKD die Welt verändern können. Und nun tritt auch endlich die Inkarnation des Bösen persönlich auf: Richard Nixon, schon lange dem Wahnsinn verfallen, plant seinen größten Coup ...
Michael Bishop schrieb seinen Roman Dieser Mann ist leider tot, wie er es in einer kurzen Danksagung ausdrückt, die dem Roman vorangestellt ist, als eine Art "literarische Hommage" an einen von ihm hochgeschätzten Kollegen. Allerdings schwebte ihm mit diesem Werk keine "sklavische Pastiche" vor:
"Jawohl, ich benutze viele von Dicks literarischen Techniken ...sowie einige jener quintessentiell Dick'schen SF-'Elemente' (etwa den Realitätszusammenbruch) für die Struktur des Romans, aber ich setze sie nicht immer so ein, wie Dick es getan hätte." [Alle Zitate S. 7]
In den obigen Zitaten scheint mir das Wort "Pastiche" von vielleicht entscheidender Bedeutung. Der Begriff kann meines Wissens in Bezug auf literarische Texte zwei Bedeutungen besitzen: Im ersten Fall ist er ein Synonym für 'Nachahmung', im zweiten beschreibt er einen Text, der inhaltlich aus Versatzstücken verschiedener anderer Texte besteht. Beide Bedeutungen lassen sich bei Bishop wiederfinden. Um es gleich zu sagen: Mein Hauptproblem mit dem Buch besteht darin, dass ich zu wenig entdecken konnte, das über die reine Imitation hinausging.
Das soll nicht heißen, dass mir das Buch von vorne bis hinten missfallen hätte. Der Roman hat durchaus seine Momente. Etwa dann, wenn Cals Zorn beschrieben wird, der so typisch ist für viele Menschen, die glauben, im Leben zu kurz gekommen zu sein. Aber auch Grace Rinehart weiß zu interessieren, diese seltsam gespaltene Persönlichkeit. Und dann ist da noch Cals äußerlich kühle Gattin Lia, die die Welt oft durch die Brille der professionellen Psychotherapeutin betrachtet. Die Passagen, in denen sie mit Fachvokabular um sich wirft, gehören zum Unterhaltsameren, was in Dieser Mann geboten wird. Dass ein Buch, welches PKD seine Reverenz erweisen will, jede Menge Diskussionen über Psychologie enthält, kann im Übrigen sicher nicht verwundern. Bishop fährt neben Lia noch eine weitere Psychologin (Erica Zola) sowie den kaum weniger kompetenten Geist Dicks auf und lässt seine Charaktere regelmäßig vom Leder ziehen. Der Effekt dieser verbalen Scharmützel ist häufig angenehm skurril, wenn auch nicht halb so surreal wie die Szenen im Lager Fort Benning, die den Umerziehungsprozess von Vietnamesen und Palästinensern beschreiben. So lachhaft es wirkt, wenn in einem nachgebauten U-Bahn-Waggon asiatischen Einwanderern sämtliche amerikanischen kulturellen Unsitten eingetrichtert werden (wie Cola-Dosen aus dem Fenster zu werfen), so bedrückend ist im Hintergrund stets die brutale Staatsmacht zu spüren, die den Willen der 'kleinen Leute' brechen will. Wenn Grace Rinehart die Pickfords bzw. Le Boi Loan in die Enge treibt, werden die subtilen Unterdrückungsmechanismen eines Terrorstaates sichtbar. In diesen Szenen zeigt sich der humanistische Impetus, der Bishops gesamtes Oeuvre auszeichnet.
In diesen Momenten weiß Dieser Mann zu gefallen, ebenso dort, wo der Autor - wie sein Vorbild - die Handlung durch Humor auflockert. Wenn Dick ständig auf der Suche nach gutem Kaffee ist, weil nur dieser seinen Auftritten für einige Zeit die körperliche Substanz sichert, ist das ebenso komisch wie das Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Gebrabbel, mit dem die Schergen der Macht Le Boi Loan vorwerfen, dass er lieber seinen kargen Lohn auf die hohe Kante legt, anstatt zu konsumieren, bis die Schwarte kracht.
Dies sind die Dinge, die mir an Bishops Roman gefallen haben. Aber, wie oben erwähnt, wirkt vieles in ihm wie reine Nachahmung. Bei einigen Wendungen der Geschichte sieht man deutlich den PKD-Roman, der Pate gestanden hat. Wie für den späten Dick der siebziger Jahre nicht verwunderlich, bemüht die Erzählung ausführlich und ironiefrei christliche Symbolik (der verstorbene Autor als Christuserscheinung, Engel und Heiliger), und die Handlung an sich spielt natürlich in einem von fremden Mächten gelenkten Universum, in dem Realitäten verschwimmen oder ganz einstürzen. Gerade diese letzten typischen Zutaten sind mir aus verschiedenen Romanen 'des Meisters' allzu geläufig, und hier werden sie leider zu einer Geschichte 'zusammengerührt', die keine längeren Spannungsbögen entwickelt. Besonders in der zweiten Romanhälfte passieren einige Dinge unerwartet und nicht nachvollziehbar, werden auf eine beliebig wirkende Art und Weise noch wichtige Charaktere eingeführt. Bishop ist sich dieses Problems offensichtlich bewusst und erklärt es kurzerhand zum gezielt eingesetzten Stilmittel:
"Das ganze hier hat nicht ein Fitzchen Sinn und Verstand." [Psychologin Erica Zola auf S. 427]
"Verrückter SF-Mumpitz für den, der's glaubt. Funktionieren kann so was nur in einem Märchenbuch." [Major Gordon Vear auf S. 430]
Mit diesen augenzwinkernden Bemerkungen weist Bishop noch einmal auf ein Thema hin, das er schon mehrfach zuvor angesprochen hatte, nämlich die Rolle des Autors als allmächtigem Schöpfer. Wenn man sich noch einmal die beiden Zitate anschaut, mit denen ich diese Rezension einleitete, kann man hinter dem dort erwähnten "Demiurgen", der untergeordneten Gottheit, Michael Bishop selbst erkennen. Dummerweise ist die Erkenntnis, dass ein Autor mit der von ihm erdachten Welt tun kann, was immer ihm beliebt, altbekannt und mittlerweile trivial, und gerade deshalb verfehlen Bücher, in denen mit verschiedenen Realitäten jongliert wird, zunehmend ihre Wirkung auf mich.
Hinzu kommen beim vorliegenden Buch - und damit bin ich mit den Mäkeleien auch fast schon am Ende - noch zwei weitere Punkte, die mir aufgestoßen sind: Zum einen ist das die Sprache, mit der ich einfach nicht warm zu werden vermochte. Vermutlich übernahm Bishop für Dieser Mann einige der stilistischen Eigenheiten Dicks. Und womöglich ist dieser Tatsache der sehr einfache Wortschatz des deutschen Textes geschuldet. Auf jeden Fall bietet der Roman Lesern, die Wert auf sprachliche Originalität legen, wenig. Die Übersetzung ist zwar sehr leicht lesbar, bezahlt dafür aber mit einem Eindruck von sprachlicher Schlichtheit, der mich manchmal deprimiert hat. Außerdem scheitert der Übersetzer (sicher schon aus Zeitgründen) in den Dialogen daran, Bishops 'georgianischen' Dialekt - für den der Autor, der in demselben Gegend wohnt, in der ein Großteil seine Romanhandlung spielt, bekannt ist - angemessen wiederzugeben. Und dann ist da noch die Länge: Dieses Buch endet auf Seite 478 - PKD hätte wahrscheinlich nur halb so viele Wörter benötigt und damit genauso viel erreicht.
In der Encyclopedia of Science Fiction kommentiert John Clute Bishops Romane der achtziger Jahre wie folgt:
"Through the 1980s, MB continued to strive for an adequate form to engage his humanist sympathies, (...) the lurking humorist within the preacher."
"Though full of energy and strongly willed, these novels do not feel entirely comfortably in focus. MB still gives the impression of a strong mind looking for a strong world to illuminate."
Ich vermute, Michael Bishop selbst würde dieser Aussage selbstkritisch zustimmen. Er hat sich immer beim Schreiben kürzerer Prosastücke wohler gefühlt und sicher nicht umsonst 1994, nach seinem bis dato größten literarischen Erfolg mit Brüchige Siege, die Romanproduktion eingestellt. Michael Bishops frühe Werke der siebziger Jahre zeigten mir vor langer, langer Zeit, dass SF mehr sein kann als Ultraschlachtschiffe mit Strahlenkanonen. Die vier Romane des Autors, die ich aus den achtziger Jahren bisher kenne, haben mir den Menschen hinter den Büchern nur noch sympathischer gemacht. Durchgängig interessiert hat mich keiner von ihnen.
Themenbereich "Parallel Welten"
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