Titel: Die Wolke Autor: Gudrun Pausewang Titelbild: Susanne Berner Verlags/Buchdaten: Ravensburger Buchverlag, 222 Seiten, ISBN: 3473580147, Erstveröffentlichung 1987 Zum 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Mitten im Unterricht ertönen Sirenen. Zunächst weiss niemand etwas damit anzufangen - jedoch die Lautsprecherdurchsage des Direktors verkündet die Katastrophe: ABC-Alarm! Die junge Janna-Berta wird mit allen anderen Schülern nach Hause geschickt. Dort wartet allein ihr jüngerer Bruder Uli, ihre Eltern sind mit ihrem zweiten Bruder in Schweinfurt. Schnell machen sich Gerüchte breit - von einem SuperGAU des in der Nähe von Schweinfurt liegenden Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld ist die Rede. Janna-Berta, die von mehrern Oberstufenschülern im Auto mitgenommen wird, bekommt es mit der Angst zu tun. Was ist mit ihren Eltern? Als sie ihre Wohung in Schlitz erreicht, ist Uli schon ganz aufgeregt. Überall in der Nachbarschaft packen Familien ihre Autos voll.
Im Radio bestätigen sich die Gerüchte: Im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ist es zu einem Unfall gekommen, bei dem Radioaktivität in die Umwelt gelangte. Mehrere Ortschaften im Raum Würzburg/Unterfranken werden evakuiert, darunter auch Bad Kissingen. Janna-Berta und Uli überlegen, was sie nun tun sollen - auch gehen oder sich im Keller verbarrikadieren? Schlussendlich entscheidet sich Janna-Berta dafür, mit Uli per Fahrrad nach Bad Hersfeld zu fahren, wo sie mit dem Zug nach Hamburg, zu ihrer Tante Helga fahren möchte. Über Wiesen und kleine Dörfer geht die Fahrt, das Mädchen treibt ihren immer erschöpfter werdenden Bruder weiter an. Überall herrscht Panik und Chaos. Bei einer abwärts führenden Strecke kommt es dann zum Unfall - Uli überquert eine Strasse und wird von einem heranrasenden PKW erfasst. Der kleine Junge ist auf der Stelle tot.
Ein nachfolgendes Fahrzeug hält an, eine Familie nimmt die unter Schock stehende Janna-Bertra mit in Richtung Bad Hersfeld. Dort jedoch ist jede Ordnung zusammen gebrochen, der Bahnhof völlig überfüllt und die Züge können die vielen Menschen nicht fassen. In dem Chaos bricht Janna-Bertra völlig zusammen, sie läuft aus dem Bahnhofsgelände, hinein in den beginnenden Regen, auf der Suche nach ihrem in einem Kornfeld verbliebenden Bruder. Ein paar Jungs in einem VW Bus sammeln sie auf und nehmen sie ein Stück mit, doch auch von hier flüchtet sie - umgeben von einer chaotischen Gesellschaft, in der Polizei und Militär auffahren und mittlerweile auf die Menschen schiessen.
Das junge Mädchen wacht in einem Schulsaal in Herleshausen wieder auf. Dort kümmern sich die wenigen verbliebenen Krankenpfleger- und schwestern zusammen mit einigen Eltern um die vielen Kinder jedlichen Alters, die hier untergebracht sind. Die Erwachsenen, so hört Janna-Berta heraus, fühlen sich von den nicht betroffenen Gebieten in der Bundesrepublik verraten, da von dort keine Hilfe kommt. Nach und nach bekommt sie die Ausmasse des Reaktorunglücks mit: Zwischen Coburg, Bayreuth, Würzburg und Erlangen ist geräumt worden, in der DDR bis nach Solingen. Erst jetzt ist der nationale Notstand ausgerufen worden, der Reaktor selber hört nicht auf zu strahlen, obwohl sich unentwegt Spezialisten um ihn kümmern. Halb Europa hat sich in Bunker und Keller verkrochen. Nahrungsmittel werden knapp, die Preise schnellen unentwegt in die Höhe. Bislang sind 18.000 Menschen gestorben, doch jeden Tag werden es viel mehr... Flüchten ist allerdings zwecklos, da alle Länder in Europa keine Deutschen aufnehmen, die Grenzen sind geschlossen. Im Not-Hospital freundet sich Janna-Berta mit Ayse an, einem türkischen Mädchen, das wie sie die Wirkung der radioaktiven Strahlung langsam zu spüren bekommt. Überall um sie herum sterben nun die Kinder. An Lungenentzündung, an Angina - oder einfach so. Viele, die Janna-Berta im Laufe der Wochen hier ins Herz geschlossen hatte, verschwinden... Schliesslich wird sie entlassen - nicht geheilt - und kommt zu ihrer Tante Helga nach Hamburg. Hautnah bekommt sie die Veränderungen in der Bundesrepublik zu spüren, sei es das sie ihren kahlen Schädel - sie hat ihre Haare aufgrund ihrer Strahlenkrankheit verloren - verteidigen muss oder was zuhause als nächstes auf den Tisch kommt, nachdem die heimische Landwirtschaft zum erliegen gekommen ist. Sie trifft einen ehemaligen Schulkameraden aus Schlitz, Elmar, in den sie sich verliebt. Zusammen mit ihm und dessen Familie beschliesst sie, in die mittlerweile wieder eröffnete Zone Drei zurück zu kehren, ein Gebiet, in dem die Strahlung angeblich wieder auf ein ungefährliches Mass abgeklungen sei. Irgendwo dort in einem Kornfeld liegt auch noch Uli.....
"Die Wolke" beschreibt ohne grosses Pathos die Erlebnisse eines etwa 14jährigen Mädchens aus dem hochzivilisierten Mitteleuropa, das unvermittelt einen SuperGAU in seiner nächsten Umgebung erleben muss. Entstanden ist das Buch noch im Schockzustand nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, währenddessen auch hierzulande vieles verschwiegen, heruntergespielt oder verharmlost wurde. Was wäre wenn? Die Folgen, die Gudrun Pausewang beschreibt, kommen nicht von irgendwo her, sondern stammen aus den offiziellen Katastrophenschutzszenarien der Behörden. Umso eindringlicher macht das die Hilflosigkeit, mit der ein einzelner Mensch solch einer entfesselten Gewalt gegenübersteht. Die persönlichen Schicksale Janna-Bertas als Aufhänger benutzend, wird das Buch zu einem warnendem Leuchtturm - vor allem wird es beachtet, da hier nichts übertrieben und auch nicht schrill und grell die grosse Katastrophe beschrien wird - diese kommt im Roman langsam und hinterhältig. Neben vielen Preisen, die das Buch gewonnen hat, gehört es längst neben Romanen wie "Die Welle" zur Standardliteratur in Schulen - und wird auch ein Buch sein, das ich meinen Kindern zum lesen gebe.