Titel: Die Stunde des Stiers Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Die vorliegende Science-Fiction-Erzählung befasst sich weniger mit der Science, sondern eher mit der Social Fiction. Iwan Jefremow siedelt seine Geschichte in einer fernen Zukunft der Erde an. Die vorherrschende Gesellschaftsform ist kommunistisch. Diese Spielart unterscheidet sich jedoch von der von Karl Marx postulierten und von Stalin bzw. Lenin gelebten Gesellschaftsform. Während in der Wirklichkeit die KPdSU eine beherrschende Stellung einnahm, ähnlich der Aristokratie, die sie abschaffen wollte, bleibt bei Jefremows Kommunismus die Individualität erhalten. Bei jedem weiteren Wort sei bedacht, dass der Roman aus dem Jahr 1970 stammt. Der sowjetische Vorzeigeautor hat mit seinem Roman einen Blick in die Zukunft geworfen, die identisch mit unserer Gegenwart ist.
In der von Iwan Jefremow beschriebenen Zukunft werden Raumflüge unternommen. Die Astronauten erreichen einen Planeten, den sie Tormans nennen und der der Erde des Jahres 1970 entspricht. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die dort herrschende Gesellschaftsform in jedem Fall mit dem Kapitalismus, Kommunismus oder der Aristokratie gleichgesetzt werden kann. Denn der Unterschied in der Herrschaftstruktur liegt nur in der Form, wie sie an die Macht kommt. Im Vorwort geht der Autor ein wenig auf die Geschichte seines Buches ein.
Die Herrschenden unterdrücken die Menschen. Wie im richtigen Leben, dank Volkshetze und Beeinflussung ist dies den Einwohnern Tormans gar nicht recht bewusst. Die Vorfahren stammten von der Erde, verließen diese aber, um sich ein besseres Leben zu suchen. Diese Idee war sicherlich nicht verkehrt, doch wer nicht bereit ist loszulassen, wird sein ideologisches Gepäck mit sich herumschleppen. Die neue Gesellschaftsform hatte nie eine echte Chance. Die alten Unterdrückungsverhältnisse wurden durch die neuen Herrscher ganz schnell wiederhergestellt.
Als das Raumschiff Dunkle Flamme unter der Historikerin und Expeditionsleiterin Fay Rodis dort eintrifft, beginnen sich bei den Tormanern erste Erkenntnisse durchzusetzen, dass sie der Unterdrückung nicht entkamen. Die Herrschenden versuchen ihre Bevölkerung weiterhin in Unwissenheit zu lassen und den Neuankömmlingen das Wort zu verbieten. Doch das ist noch nicht alles. Iwan Jefremows Raumfahrer werden auch anderen Sachverhalten gegenübergestellt. Der Autor greift die Umweltverschmutzung auf. Andere Themen sind die Ausbeutung der Rohstoffe und Hilfsmittel, die Wissenschaft und deren Missbrauch durch die Machthabenden, Zensur, Gängelung und Ähnliches mehr. Dabei nimmt Iwan Jefremow kein Blatt vor den Mund, sondern kritisiert frei von der Leber weg. Was dazu führte, dass er in der Heimat verboten wurde. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass dieser Roman jetzt erst in deutscher Erstveröffentlichung erschien. Wenn wir uns den Vorsitzenden des Rates, Tschoyo Tschagas, so ansehen, gibt es Ähnlichkeiten zu einer uns bekannten Bundeskanzlerin und ihrer Industriellenlobby (oder heißt das Regierung?).
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Es ist in vielen Dingen recht kompliziert und theoretisch. Gerade die theoretischen Streitgespräche, die die Raumschiffsbesatzungen führen, allen voran Fay Rodis und Grif Rift, sind es, die Anstoß erregen können. Und wenn es offiziell noch die Zensur gäbe, würde dieses Buch auch in Deutschland verboten. Gerade wenn sich Rodis mit Tschagas darüber streitet, verbotene Aufnahmen gesendet zu haben, wird deutlich, wie die Unterdrückung des Volkes abläuft.
Dies Buch ist mehr als nur eine Zukunftserzählung mit sozialkritischem Inhalt. Es ist eine Abrechnung mit Staat und Obrigkeit. Allein aus diesem Grund müsste dieses Buch als Pflichtlektüre für jeden Schüler benutzt werden.