Titel: Die Reise mit Bill Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Ziellos reisen Luke und seine kleine Tochter Tweety während der Ferien der Kleinen in einem Auto durch die Weiten Amerikas. Während das Mädchen mit Staunen, Naivität und Fantasie die Dinge um sie herum betrachtet, sieht der Vater eine Welt, die sich selbst zerstört, und hofft verzweifelt auf irgendein Zeichen, das ihm den richtigen Weg zeigt.
Nach schier endlosen Tagen und Nächten auf den Straßen abseits der Städte, die Luke meidet, begegnen sie einem seltsamen Mann ohne Beine, der in seinem Rollstuhl am Straßenrand auf irgendetwas zu warten scheint. Tweetys Eifer und Hilfsbereitschaft veranlassen Luke, den Mann, dessen Namen Bill lautet, einzuladen, sie ein Stück zu begleiten.
Schnell wird aus dem kleinen Stück Weg eine tiefe Freundschaft und eine gemeinsame Reise. Tweety ist von Bills Sicht der Welt, seiner zutiefst mystischen Philosophie und seiner Suche nach dem Schamanen, der ihm seine Beine wiedergeben kann, die er während des Krieges bei einem Hubschrauberabsturz verlor, fasziniert, während Luke Bills Ideen für esoterischen Mist hält, aber tief im Inneren spürt, dass sie seiner kleinen Tochter gut tun.
Gemeinsam setzen sie also ihre Reise fort, die sie nicht nur auf die dunkle Seite des amerikanischen "Way of Life" führt, sondern auch zu seltsamen Orten wie einem Haus im Sumpf, in dem ein verschrobener Wissenschaftler, ein Alchimist, ihnen den weiteren Weg aufzeigt, oder dem alten, verlassenen Hotel, das mit ihnen redet und in dem sie einen gemeinsamen Traum träumen, welcher Alaska als Ziel ihrer Reise verheißt. Als sie schließlich im weißen Norden ankommen, wartet dort in der Tat ein Inuit-Schamane, der sich Bills annimmt und den Suchenden in eine ganz eigene Realität führt, während Luke und Tweety sorgenvoll und voller Angst auf den verschwundenen Freund warten.
Um den Künstler Matthias Schultheiss, der 1993 mit der Serie "Propellerman" beim Dark Horse Verlag auch auf dem amerikanischen Markt zu reüssieren versuchte – für einen deutschen Comic-Schaffenden und einen amerikanischen Verlag zumindest damals eine eher ungewöhnliche Zusammenarbeit -, war es innerhalb der Comic-Szene in den letzten Jahren relativ still geworden. Mit "Frau aus dem Fluss" (2008) und "Daddy" (2009) startet der Künstler, der zwischenzeitlich unter anderem als Dozent in Hamburg und Drehbuchautor seine Brötchen verdiente, sein Comic-Comeback und liefert nun mit "Die Reise mit Bill" einen Meilenstein des Genres gab.
Die Geschichte beginnt als klassisches Roadmovie, in dem Lukes verzweifelte Suche nach Sinn, nach Identität sowie die Liebe zu seiner kleinen Tochter die von Rationalität und Pessimismus geprägten Handlungen des Protagonisten bestimmen. Mit Bills Erscheinen ändert sich nicht nur allmählich Lukes Sicht der Welt, sondern die Handlung insgesamt gleitet immer stärker ins Mystische, ins Metaphysische bzw. Traumhafte ab, wobei sich die transzendenten Elemente letztlich nicht wirklich greifen lassen, sondern dem Leser in weiten Teil in der Realität verhaftete Erklärungen als Interpretations-Optionen bleiben. Beeindruckend sind dabei die Leichtigkeit und die Natürlichkeit der gleichermaßen poetischen wie lakonischen und tiefsinnigen Dialoge, der Reflexionen der Protagonisten über die Welt und das, was jenseits der Wissenschaft liegt.
Ist die Geschichte an sich schon kraftvoll, so ist das Artwork geradezu überwältigend. In einem leichten, skizzenhaften Duktus und einer aquarellierenden Koloration zaubert Schultheiss traumhafte, atmosphärisch intensive Bilder. Ein besonderes Merkmal sind zum einen die "langen Einstellungen", in denen der Künstler über mehrere Panels oder sogar Seiten eine Szene entwickelt, zum anderen sind es die langsamen "Kamerafahrten", die den Leser mit sich tragen.
Fazit: ein wundervoll literarisches und geradezu lyrisches Comic, das gleichermaßen leicht wie zutiefst mystisch daherkommt. Ein grandioses Meisterwerk von einem der international bedeutendsten deutschen Comic-Künstler.