Titel: Die Nachgeborenen Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Der Amerikaner Perry Nelson wird durch einen temporalen Effekt von 1939 in das Jahr 2086 versetzt. Dort trifft er zu seiner Verwunderung auf eine wunderhübsche Frau namens Diana, die alleine lebt und so gar nicht mit dem Frauenbild seiner Zeit übereinstimmen will. Sie ist selbstbewusst und ein Freigeist und verdient ihr Leben mit der Aufzeichnung von sehr frivolen Tanzeinlangen, die auf der ganzen Welt ausgestrahlt werden. An eine feste Ehe glaubt keiner mehr und die Menschen des ausgehenden 21. Jahrhunderts sind aufgeklärt und freizügig. Beziehungen zu mehreren Personen gleichzeitig sind ebenso eine Normalität wie ein friedvolles Zusammenleben. Doch als Perry in Eifersucht einen Partner Dianas verletzt, muss er sich einer Psychotherapie unterziehen. Ganz ist Perry Nelson noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.
Kann der letzte Roman eines Autors auch gleichzeitig der erste sein, den dieser verfasst hatte. Sicher, wenn der Autor nur einen Roman verfasst hätte, dann träfe das zu, doch auch im Falle des Autors Robert A. Heinlein verhält es sich so. Sein Erstlingswerk wollte einfach keinen Verleger finden, und so vergrub er es, entnahm dem Werk immer wieder Ideen, aber sah selbst zum Höhepunkt seines Erfolges davon ab, das Buch neu einem Verlag anzubieten. Der Grund wird offenbar, wenn man dieses Buch neben Heinleins ersten veröffentlichten Roman stellt. "Rocket Ship Galileo" ist ein Roman, der nur eines will: den schlechten SF-Zeitgeschmack der 1940er Jahre treffen. Diese Geschichte taugt heute nur noch zum Anfeuern eines Kaminfeuers, aber das Buch "Die Nachgeborenen" war eine Utopie, die ca. 20 Jahre zu früh erschien. Das Buch enthält bereits viele der Ideen, die Heinlein so berühmt machen sollten. Details aus diesem Buch benutzte Heinlein später immer wieder, wie z. B. den vollkommenen Verzicht auf Kleidung in angenehmen temperierten Räumen (wie z. B. in „Das lange Leben des Lazarus Long“), die Resozialisierung von Menschen, die Gewalttendenzen zeigen (siehe "Coventry", eine Geschichte aus dem Future-History-Story-Zyklus), bewegte Straßen ("Roads must roll"), bis hin zu der so häufig beschriebenen vollkommenen Eigenverantwortlichkeit des Menschen.
Inhaltlich eiferte Robert A. Heinlein H. G. Wells’ „The Shape of Things to Come“ nach und macht seine Sache wirklich nicht schlecht. Sein Weltenentwurf ist gut durchdacht (vor allem die Beschreibungen der künftigen Großstädte) und für die damalige Zeit sind seine sozialen Ideen geradezu revolutionär. Seine Frauen sind selbstbewusst, eigenständig und selbständig: Sie begegnen Männern auf Augenhöhe. Heute fällt dies beim Lesen überhaupt nicht auf, aber wenn man bedenkt, dass die Geschichte 1938 verfasst wurde, dann wundert es keinen mehr, dass dieser Roman keinen Verleger finden wollte. Auch die pazifistische Weltordnung und das Leben in Einklang mit der Natur mögen nicht recht in diese Zeit passen. All dies führt dazu, dass man dem Roman seine 70 Jahre überhaupt nicht anmerkt und das Werk wirklich gut lesen kann. Aber halt, eine Sache entlarvt das tatsächliche Alter: Heinleins Blick in die nähere Zukunft. Er sah den Weltkrieg voraus und ließ auch Hitler den Krieg verlieren. Dann jedoch lag er in vielen Punkten sehr daneben, aber das macht diese Passage nicht weniger lesenswert.
Fazit: Heinleins Blick in die Zukunft aus dem Jahre 1938 ist sehr interessant und wirklich revolutionär fortschrittlich. Ein faszinierendes Buch, dass Heinlein viel zu früh geschrieben hat, als die Welt für diese wilden Ideen noch keinen Sinn hatte. Aus heutiger Sicht wirkt das Wenigste wie Unfug, das Meiste sehr durchdacht. 7 von 10 Punkten