Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Bis zum Jahr 2240 war Belzagor eine profitable Kolonialwelt der Erde, die ohne Rücksicht auf die Ökologie ausgebeutet wurde. Dann endlich erkannte man an, dass die wichtigsten zwei Spezies Belzagors, die Nildoror und die Sulidoror, hochintelligent waren. Die Menschen gaben ihnen ihren Planeten zurück und verschwanden wieder.
Jedenfalls fast alle. Als 2248 der ehemalige Kolonialadministrator Edmund Gundersen an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt, leben auf Belzagor nur noch etwa einhundert Menschen, verstreut auf ein langsam verrottendes Hotel sowie einige Buschstationen. Die äußerlich irdischen Elefanten sehr ähnlichen Nildoror leben in den tropischen Ebenen des Planeten. Sie sind Pflanzenfresser und ließen sich früher widerstandslos von ihren Kolonialherren als 'Arbeitstiere' benutzen. Die Sulidoror leben hauptsächlich in den "Nebelland" genannten Hochgebirgsregionen. Sie sind etwa drei Meter große hominide Fleischfresser, die mit ihren Händen Werkzeuge herstellen können und deren Kopf dem eines Tapirs ähnelt. [Siehe dazu auch das Titelbild.] Beide Spezies besitzen eine hochentwickelte Sprache, die Konversationen auch über die kompliziertesten Themen erlauben. Während der Amtszeit Gundersens hielten sich beide einheimischen Spezies streng von einander getrennt. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war die "Wiedergeburt", eine vor den Menschen stets verborgen gehaltene religiöse Zeremonie, für die alle Nildoror sich früher oder später auf den Weg ins Nebelland begeben.
"Die Mysterien von Belzagor" ist ein kurzer, überschaubarer Roman, der ebenso gut auch den Titel "Läuterung und Erlösung" tragen könnte. Silverberg bedient sich zur Entwicklung des Handlungsverlaufs bestimmter christlicher Motive, vor allem der Läuterung im Fegefeuer mit der Hoffnung auf anschließende Erlösung. Edmund Gundersen ist nach Belzagor zurückgekehrt, um für seine Verfehlungen der Vergangenheit Abbitte zu leisten. Er erhält die Erlaubnis, mit einigen Nildoror ins Nebelland zu ziehen, um dort an der Wiedergeburt teilzunehmen. Seine Reise führt zuerst durch den brutal heißen tropischen Urwald, in dem es sogar einen kochenden See gibt sowie jede Art von mörderischen Kreaturen, die die menschliche Phantasie sich auszumalen vermag. Darauf folgt ein Hochplateau, auf dem intelligente Spezies nach Aussage von Gundersens Begleiter 'Srin'gahar von der ersten Wiedergeburt' nicht dauerhaft ihr "Grakh" (nildororu für Seele) bewahren können. Unterwegs trifft Gundersen verschiedene ehemalige Kolonialbeamte, die im Fegefeuer gescheitert sind und überwiegend mit ihrem Leben für ihre Verfehlungen bezahlen. Gundersen selbst besteht alle charakterlichen Prüfungen und wird am Ende zu einem durch und durch neuen Menschen.
Damit man mich nicht falsch versteht: Ich behaupte nicht, dass Robert Silverberg 1970 ein strenggläubiger Christ war; auf jeden Fall aber benutzte er verbreitete katholische Vorstellungen, um beim Verfassen des Buches den roten Handlungsfaden nicht aus den Augen zu verlieren. Als weitere Inspirationsquelle für den Roman wird in der Sekundärliteratur regelmäßig Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis" angeführt. In beiden Texten reist ein Kolonialbeamter ins Zentrum des Unbekannten und stößt dabei auf einen Kollegen mit Namen Kurtz, dem seine Verbrechen an der einheimischen Bevölkerung zum Verhängnis werden. Allerdings enden hier auch die Parallelen. Während Joseph Conrad vom Massenmord im ehemals belgischen Kongo erzählt, beschränken sich die Vergehen auf Belzagor auf Ausbeutung, Drogenhandel, allgemeine menschliche Borniertheit (Rassismus/Speziesismus) und einen Fall von Körperverletzung - und angesichts dessen schienen mir Schuld und Sühne nicht immer in einem angemessenen Verhältnis zu stehen.
Als ich die "Mysterien" zum ersten Mal las, gefiel mir vor allem die Nähe des Buches zu den Katastrophenromanen und (mittlerweile klassischen) Erzählungen, die J. G. Ballard in den sechziger Jahren verfasste. Hier wie dort wird der Zerfall der Zivilisation und des Menschen selbst in schon surrealen Bildern gemalt. Außerdem gefiel mir, gerade in einer solchen Szenerie, die schwüle, handfeste Erotik zwischen Gundersen und seiner früheren Geliebten Seena Royce (Letztere erreicht noch am ehesten ein gewisses Maß an charakterlicher Vielschichtigkeit).
Was mir an den "Mysterien" missfiel, war neben der Überbetonung von 'Schuld und Sühne' vor allem das Ende. An sich kann die 'Erlösung' Gundersens nicht überraschen, aber leider ist mir ein solch großes transzendentes Finale bei Silverberg schon einige Male zuvor begegnet, sodass mich, statt Ergriffenheit, eher ein unangenehmes Déjà -vu-Gefühl überkam.
[Eine Schlussanmerkung zur Veröffentlichungsgeschichte: "Die Mysterien von Belzagor" wurden 1986 im Heyne-Verlag auch als Sammelband zusammen mit der anrührenden Novelle "Mit den Toten geboren" (Born with the Dead) sowie dem Roman "Schadrach im Feuerofen" (Shadrach in the Furnace) veröffentlicht (Heyne-Buch 4337, ISBN 3-453-31326-7).]