Titel: Die Messerkönigin Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Streng genommen handelt es sich bei der 3er-CD "Die Messerkönigin" um eine Mogelpackung, denn die drei CDs enthalten nur sechs der insgesamt dreißig Kurzgeschichten aus Neil Gaimans Sammelband gleichen Namens. Diese allerdings werden ungekürzt dargeboten von Oliver Rohrbeck, dessen Stimme jüngeren Zeitgenossen sicher aus zahlreichen Hörspielen zur Reihe "Die drei ???" wohlbekannt ist. Als besonderer Clou wurde jede Geschichte - ähnlich wie im Film - von verschiedenen Komponisten auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit Musik unterlegt. In manchen Stücken drängte sich die Musik so ausgesprochen angenehm in den Vordergrund, dass ich mich als Hörer dabei ertappte, nicht mehr auf den Sprecher zu hören, woraufhin ich dann auf die Rückspultaste drücken musste. Ein anderes Mal versuchte der Komponist sich im Hintergrund zu halten und lediglich die durch den Texte erzeugte Stimmung zu unterstützen. Gefallen haben mir beide Herangehensweisen. - Die Idee, jede Story mit eigens komponierter Musik zu kombinieren, war für meinen Geschmack ein Volltreffer. Sehr gerne würde ich mir bald wieder ähnliche derart inszenierte Lesungen anhören.
Zwiegespalten bin ich, was die Beurteilung des Sprechers und der Storys angeht. Oliver Rohrbeck ist jederzeit ein kompetenter Leser, der in locker plauderndem Ton seine Geschichten vorträgt. Probleme bekommt er für meinen Geschmack oft dann, wenn er bei Gesprächen in verschiedene Rollen schlüpfen muss. Dann wird er häufig zu `klamottig’, reduziert zu viele Figuren zu reinen Witzfiguren. Etwa im einzigen Märchen der Hörbox, der Erzählung "Die Trollbrücke", vermag er über weite Strecken nicht, das Grausame und Abgründige mitzulesen, das allen `erwachsenen’ Märchen innewohnt.
Bleiben noch die sechs Erzählungen selbst: Sie alle waren unterhaltsam, ihr künstlerischer Wert überschaubar - und vier von ihnen waren leider nicht sonderlich originell. Wirklich empfehlen kann ich nur die erste CD, die die drei kürzeren Storys enthält.
Ohne Furcht und Tadel
Auf der Suche nach Lesefutter entdeckt die alte Mrs. Whitaker im örtlichen Oxfam-Laden den Heiligen Gral und erwirbt ihn für 30 Pence, wohl wissend, was sie da vor sich hat. Zu Hause schrubbt sie den Pokal recht ordentlich und stellt ihn auf den Kaminsims, weil er da so hübsch aussieht. Schon am nächsten Tag steht ein strahlender Ritter in glänzender Rüstung samt grauem Schlachtross vor der Tür, weist sich mit einem uralten, von Artus unterzeichneten Dokument als Sir Galahad aus und versucht der Witwe die Reliquie abzuhandeln. Das erweist sich jedoch als langwieriges Unterfangen, da die Alte wunschlos glücklich ist und weder mit Gold noch durch magische Geschenke umzustimmen ist.
Die Geschichte erzeugt ihren Humor dadurch, dass sie Bedeutungsebenen verknüpft, die in der Realität nichts miteinander zu tun haben - also etwa ein Gralsritter in einer modernen englischen Vorstadt, die völlige Nüchternheit Mrs. Whitakers und das rührende Pathos Sir Galahads, eine Sagengestalt als Garten- und Haushaltshilfe - und auf dem stillen Örtchen. Das ist einigermaßen komisch und wirklich spaßig dann, wenn Oliver Rohrbeck Sir Galahad seine Stimme leiht. Pathos gelingt Rohrbeck ausgesprochen gut. Weniger glücklich war ich mit Mrs. Whitaker, die ich allzu tatterig und offen karikiert fand. Hier wäre staubtrockener Humor wirkungsvoller gewesen.
Mein Gesamteindruck lässt sich mit den Adjektiven `nett’ und `harmlos’ zusammenfassen. Eine Sache aber muss ich noch loswerden: Da bekommt Mrs. Whitaker einen Apfel aus dem Garten der Hesperiden angeboten, dessen Verzehr ihr zu Gesundheit und ewiger Jugend verhelfen würde - und was macht sie? Sie lehnt ab. Meine Güte, irgendwie war mir das vorher klar. Wie langweilig.
Der Preis
Die kürzeste Geschichte ist für mich die zweitbeste. Eine Familie auf dem Lande nimmt seit Jahren immer wieder streunende Katzen auf, pflegt sie, füttert sie, gibt ihnen ein Gnadenbrot. Eines Tages nimmt sie einen schwarzen Kater auf, der bald jeden Morgen neue, schwere Wunden aufzuweisen hat. Gleichzeitig reiht sich bei der Familie eine Pechsträhne an die andere. Schließlich findet der Herr des Hauses heraus, dass jede Nacht der Teufel versucht in das Haus einzudringen und dass der Kater die Familie mit Zähnen und Klauen beschützt. Doch die Kräfte des Tieres schwinden, und was wird dann geschehen? Vielleicht gefiel mir die Story deshalb so, weil sie so kurz war, dass sie keine Antworten zu liefern brauchte (und der Autor kaum die Zeit hatte, schwer wiegende Fehler zu begehen). Eine geradezu klassische Kurzgeschichte: kein Anfang, kein Ende. Eine Situation wird skizziert, ein Gefühl der Bedrohung erzeugt - und Schluss. Schön.
Die Trollbrücke
Ein Märchen in zeitgemäßem Gewande: Auf einem einsamen Waldweg trifft ein 7-jähriger Junge unter einer alten Ziegelsteinbrücke auf einen Troll, der ihm das Leben nehmen will. Das kleine Kind fleht das Ungetüm an, ihn zu verschonen: Es habe doch noch gar nicht gelebt, und wenn der Troll es jetzt gehen lasse, werde es später ganz bestimmt wiederkommen. Der Troll willigt ein. Das Kind läuft nach Hause, viele Jahre vergehen - ohne Monster -, und was dem Kind / Teenager / Mann stattdessen zustößt, ist das Leben ...
Zwar gibt es einige logische Löcher, aber darum geht es bei Märchen auch nicht. "Die Trollbrücke" ist eindeutig die beste Story dieses Hörbuches. Das liegt zum einen an Torsten Senses ruhiger Klaviermusik, die fast allein schon den Kaufpreis rechtfertigt, zum anderen daran, dass sich dem Leser (wie sonst nur in "Der Preis") eine `tragische Dimension’ auftut, wie es bei guten Märchen immer der Fall sein sollte. Besonders gelungen ist dabei das düstere Ende, das dann auch verschmerzen lässt, dass Oliver Rohrbecks Interpretation der Troll-Stimme mich eher an irgendein plüschiges Etwas aus der Muppet-Show erinnerte. Diese Erzählung ist typisch für Rohrbecks Art vorzulesen. Leider klingt er in diesem gruseligen Märchen nie wie ein ängstlicher Mensch oder ein mörderischer Troll, sondern liefert immer gleich den ironischen Kommentar mit.
Charlotte,
die Geschichte zum Centerfold. Mit 19 entdeckt der Erzähler seine Liebe zum Magazin Penthouse und zu dem Mädchen Charlotte, die ihm in einer Ausgabe entgegenlächelt. Charlotte ist ebenfalls 19 - und das allerschönste Mädchen aller Zeiten. Um den armen Erzähler ist es für immer geschehen. Er bleibt Penthouse und seiner großen Liebe treu, die er von nun an immer wieder mal im Magazin entdeckt, unter wechselnden Namen, aber immer 19 Jahre alt. Viel mehr passiert nicht - oder eigentlich doch. Der Erzähler ist nicht gerade der Karrieretyp, sondern irrt von einem schlechten Job zum nächsten. Die Geschichte erzählt, wie er - noch zu Hause bei Mama - Penthouse unterm Bett versteckt, im Bad rumwichst, später auf die gleiche Art wie in hundert anderen Geschichten seine Unschuld verliert, irgendwann doch noch `Charlotte’ kurz über den Weeeeg läuuuuffffff ... chhhhhhhhhh. ......... Oh, Entschuldigung. Ja, und am Ende versteigt sich Neil Gaiman noch dazu, `Charlotte’ als die göttliche Verkörperung des absolut Schönen zu mystifizieren.
Eine Geschichte also wie eine amerikanische Highschool-Komödie oder ein verlängerter Herrenwitz. Wenn man in dieser Story etwas lernt, dann, dass die Ästhetik von Pin-up-Bildern zwischen 1965 und 1985 einige Metamorphosen durchlief und dass Männer jeden Alters gern von 19-jährigen Mädchen träumen. Sieh an!
Shoggoth’s Old Peculiar
Nach dem Herrenwitz die augenzwinkernde Story für Lovecraft-Fans: Ein texanischer Rucksack-Tourist stößt bei der Wanderung entlang der englischen Küste in einsamer Gegend auf ein Dörfchen mit Namen Innsmouth. Im örtlichen Pub kommt er bei einigen Pints Shoggoth’s Old Peculiar (wohl ein Eigengebräu der Wirtin) mit zwei `Locals’ ins Gespräch, bei denen es sich offensichtlich um die Dorftrottel handelt. Man schwatzt über dies und das: einen verachtungswürdigen amerikanischen Schreiberling, der den Ortsnamen für seine Zwecke geklaut hat, den Unterschied zwischen Dromedaren und Kamelen ... und darüber, dass Seth und Wilf, so heißen die Trinkgenossen, von Beruf Diener des Großen Cthulhu seien - und leider ziemlich beschäftigungslos, weil der Herr und Meister derzeit am Grunde des Meeres vor sich hin schnarche. Die drei `neuen Freunde’ verleben einen schönen Abend, an dessen Ende der texanische Student den ersten Vollrausch seines Lebens erlebt und vom Pier aus die Fische füttert. Das war’s eigentlich schon. Gaiman versucht erneut, dadurch Humor zu erzeugen, dass er Gegensätze vereint, die gemeinhin nicht zusammengehören. So erzählt etwa Will (oder war es Seth?) beim Rundgang durchs Dorf:
"Da leihen wir unsere Videos aus. Und das große Gebäude da drüben ist der namenlose Tempel unaussprechlicher Götter, und samstagmorgens ist in der Krypta immer ein Trödelmarkt."
Nun ja, wem’s gefällt.
Der Goldfischteich und andere Geschichten
Ein junger britischer Autor hat mit einem geschmacklosen Horrorthriller über die Kinder Charles Mansons einen Bestsellererfolg gelandet. Anschließend hat er für einiges Geld die Drehbuchrechte - sowie seine Tätigkeit als Drehbuchautor - verkauft, und jetzt sitzt er in einem Hotel in Hollywood, in dem in den alten Stummfilmtagen die Stars ein und aus gingen. Regelmäßig trifft er ständig wechselnde, aber immer gleich hysterisch enthusiastische Funktionsträger des Studios; er schreibt Treatment auf Treatment, und sein Roman (eh schon eine schlechte Kopie von "The Boys from Brazil" ) verwandelt sich langsam in das schauerliche Script eines noch viel übleren B-Movies.
"Der Goldfischteich" ist die mit Abstand längste Erzählung der Buchvorlage (40 Seiten) bzw. des Hörbuchs (1 ganze CD). Die Story an sich enthält keinerlei phantastische Elemente, jongliert aber durchweg mit `Traumwelten’ und den unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen von Realität. Zum Beispiel ist für den steinalten Hotelgärtner Pius die verklärte Erinnerung an den Stummfilmstar June Lincoln (die 1926 mal einige Worte mit ihm wechselte) sein Lieblingstagtraum. Ein Taxifahrer glaubt zu wissen, dass über England ständig dichter Nebel liegt - schließlich hat er das im Film so gesehen. Jeder Mensch in Hollywood weiß eine andere Version davon zu erzählen, mit wem John Belushi in seiner Todesnacht kiffte (?) / kokste (?). Und im Filmstudio selbst wirken alle am Projekt Beteiligte geradezu irreal herzlich und produzieren doch nur Schrottdrehbücher, die mit der Realität, wie wir sie erleben, wenig zu tun haben: Sie treibt die Angst, nach dem nächsten (zu anspruchsvollen) Flop weg von der Bühne zu sein.
Neil Gaiman bietet uns eine humorvoll-nostalgische Führung durch das Mekka der Traumindustrie. Das Ergebnis seiner Bemühungen wirkt sehr gefällig, kratzt aber nur ganz sacht am Mythos Hollywood. Irgendwie hatte ich alles in dieser Geschichte schon anderswo gelesen.