Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Christian Plötz |
Will McCarthy: Amerikano Hiaika
(Orig.: Americano Hiaika) - 6 Punkte
Der im Sterben liegende Polizist Nick Tanner läßt sich seine Persönlichkeit mittels einer Droge extrahieren, die dann auf mehrere Dutzend Freiwillige übertragen wird. Ihm bleiben einige Tage, den Mörder seiner Frau zu finden, bevor die Wirkung nachläßt und er endgültig tot ist. Die Spur führt dabei zu einem alten, damals nebensächlichen Fall - doch er stößt mitten in ein Wespennest.
Anmerkung: Gut, wenngleich nicht überdurchschnittlich. Die Atmosphäre erinnert streckenweise an den Film Black Rain.
Jacques Mondoloni: Morgen spreche ich mit meinem Hund amerikanisch
(Orig.: Demain, je parle americain a mon chien) - 4 Punkte
Die französische Kultusbehörde ist im Begriff, einen nonkonformistischen Lehrer mit 30 in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken, da er sich weigert, in der vom allgegenwärtigen Fernsehen suggerierten, amerikanisierten, Sprache zu unterrichten. Sogar sein Sohn wurde ihm deshalb weggenommen. Daraufhin schüttet er sich erst einmal kräftig einen hinter die Binde und versucht einer Hochzeitsgesellschaft - recht erfolgreich - einen Sinn für die Muttersprache einzuimpfen. Dann überfällt er mit dem Bräutigam zusammen das Jugendamt und befreit seinen Sohn.
Anmerkung: Eigentlich ganz unterhaltsame Rebellenstory. Ein Mann und sein Hund im Kampf gegen das amerikanische (Un)Kulturdiktat. Bedenkt man aber den Hintergrund, nämlich den pathologisch übersteigerten, französischen Nationalstolz, die in den 90er Jahren eine hirnrissige Initiative gegen Fremdwörter in ihrer Sprache starteten, wie sie in Deutschland 1916 letztmals versucht wurde (Kräuselstoff statt Frotteé), wirkt die Story weit weniger unterhaltsam. Bewahrung der kulturellen Identität ist gut und schön, nur sollte er nicht in einen Kreuzzug der Intoleranz münden.
Rainer Erler: Der Schlangenmensch - 7 Punkte
Der Werdegang des Kontorsionisten Francesco de Montserrat, bürgerlich Franz Seeberger aus Rott am Inn, aufgewachsen in einer erzkatholischen niederbayerischen Familie, in der er von frühester Kindheit an eine negative Konditionierung betreffend allem Geschlechtlichen erhielt, ist Gegenstand dieser 10 Seiten. Die gewaltsam unterdrückte Lust ist die Triebfeder die sich schon in der Wiege in abenteuerlichsten Verrenkungen kanalisiert, und die als artistisches Talent später gefördert wird. Bei seinem größten Auftritt vor dem Papst jedoch versagt seine Konzentration bei einer extrem schwierigen Verrenkung als der Papst applaudiert und Francesco de Montserrat stranguliert sich selbst.
Anmerkung: Dicht, und sehr psychologisch angehaucht wird eine ganze Lebensgeschichte auf 10 Seiten ausgebreitet. Dennoch wirkt der Charakter nicht zu oberflächlich, bleibt nur eine Frage: Was, zum Teufel, hat die Story in einer Sci-Fi-Kurzgeschichtensammlung zu suchen?
Brian W. Aldiss: Rattennvogel
(Orig.: Ratbird) - 5 Punkte
Mehrere sich vermischende Erzählperspektiven schildern den Verlauf einer Expedition irgendwo im malaiischen Dschungel. Ein europäischer Forscher und sein Sohn stoßen auf eine Region, in der die Evolution komplett anders verlaufen ist.
Anmerkung: strange!
Cherry Wilder: Die Ballade von Hilo Hill
(Orig.: The Ballad of Hilo Hill) - 5 Punkte
Der seit 15 Jahre als vermißt geltende Seemann Hilo Hill kehrt zurück und berichtet von fremden Wesen jenseits des großen Ozeans an dem die Menschen siedeln, seitdem sie auf dieser Welt gestrandet sind.
Anmerkung: Ganz gut, aber mehr ein Mittelding aus einem kurzen Krimi und Seemannsgarn, denn Sci-Fi.
Christian Lautenschläger: Ich komme aus meinen Schwingen heim - 5 Punkte
In zwei parallelen Handlungssträngen wird die Geschichte von 2 Individualisten erzählt: Einem Indianerhäuptling der präkolumbianischen Zeit und einem Geist-Energiewesen, das sich von dem kollektiven Bewußtsein, daß die Menschheit in ferner Zukunft bilden wird, abgespalten hat.
Anmerkung: Durchschnitt, mit einigen guten Ideen versetzt, sehr optimistische Weltsicht.
Ondrej Neff: Reinhard Heydrichs siebteInkarnation
(Orig.: Sedmé prévtélenà Reinharda Heydricha) - 1 Punkt
Haupthandlungsträger ist der hochrangige Nazi Reinhard Heydrich, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren bis die von ihm "beschützten" Tschechen ihm eine Bombe vors Auto schmissen und seinem "Schutz" ein Ende setzen. Er ist als eine Art Beobachter bei der deutschen Invasion auf Kreta zugegen, wo er auf einige Vögel achten soll, die Himmler besonders am Herz liegen. Dabei stößt er auf eine Nachfahrin der Ariadne und den Minotauros, den er kurzerhand erschiesst, schließlich hält er sich ja für die Reinkarnation eines Gralsritterrs.
Anmerkung: Auf der nach unten offenen BSE-Skala (Blödsinnige Science-Fiction Erzeugnisse) touchiert diese Short-story den Näherungswert des Maximums bedenklich. Historisch inkorrekt, mit saublödem Plot und nicht nachvollziehbarer Intention würgt sich der Schreiberling durch die Handlung. Die Tiefstnote ist absolut gerechtfertigt, die goldene A. E. van Vogt-Ehrengurke.
Michael Vyse: Die letzten Bastionen
(Orig.: The last Bastions) - 4 Punkte
Kurz bevor sich die Menschheit des Atomzeitalters selbst ins Vergessen bombt, bekommt ein altes Farmerehepaar mysteriösen Besuch - sie erhalten die Chance, vom Krebs geheilt, mit ein paar anderen atypischen Artgenossen ewig zu leben.
Anmerkung: Na ja. Irgendwie schwingt da der Zeichentrickfilm: Wenn der Wind weht mit. Trotz kleiner Variationen nicht übermäßig originell, aber auch nicht schlecht.
Stephen Baxter: Das Blut der Engel
(Orig.: The Blood of Angels) - 4 Punkte
Nachdem ein Meteorit die Erde aus der Bahn geworfen hat, herrscht ein ewiger Winter, in dem sogar die Ozeane bis zum Grund zufrieren. Die letzten Menschen haben deshalb ihre Kinder genetisch so manipuliert, daß sie unter Wasser im Eis eingeschlossen überleben können, bis im "Sommer" für kurze Zeit die Küstenregionen auftauen. Aber unter Wasser hat sich nicht viel geändert, der Mensch bleibt des Menschen Wolf.
Anmerkung: Mittelprächtige, etwas verwickelte Story mit gut transportierter Aussage.
Adam Wisniewski-Snerg: Gespalten
(Orig.: Rozdwojenie) - 2 Punkte
Die Geschichte eines Mannes, der versucht, einen Doppelgänger von sich daran zu hindern, seiner Geliebten einen Antrag zu machen, bzw. die Beziehung zu beenden (je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht).
Anmerkung: 1 Humorpunkt und einen für den Wechsel der Erzählperspektive, aber aus der Story hätte man mehr machen können. Die chaotischen Einlagen erinnern an Lem's Sternentagebücher.
Achim Stößer: Haare - 7 Punkte
Die Geschichte einer kurzen Liebe zwischen einer Terranerin und einem Außerirdischen. Der Rassismus der Kleingeister verfolgt alle Außerirdischen und wird ihre Beziehung am Ende zerstören.
Anmerkung: Gut, mit Humor erzählt. Deutlich akzentuierte Aussage.
Ray Aldridge: Das Fabularium
(Orig.: The Fabularium) - 6 Punkte
Ein Android ist der Mythenerfinder auf einer Kolonie der Menschen im All. Er erfindet für jeden seiner Kunden einen individuell abgestimmten Mythos, ob Außerirdischer oder Roboter. Dabei wird eines deutlich: Verändert hat sich die Menschheit nicht.
Anmerkung: Wortgewaltig erzählte Epen der Computerzeit. Gelungen.
Konrad Schaef: Kryptomnesia - 3 Punkte
Ein Kampfpilot der Menschen wird von Aliens gefangengenommen und zu deren Anführer gebracht.... Satan höchstpersönlich.
Anmerkung: Das war dann doch zu viel des Guten für den wackeren Katholik, bleibt nur der finale Rettungsschuß, und die Frage: Warum steckt zwischen den guten Stories im Buch immer wieder so ein schwefelschnaubender Schwachsinnsschwurbel?
Geoffrey A. Landis: Mit der Sonne um die Wette
(Orig.: A Walk in the sun) - 6 Punkte
Nach einer Notlandung auf dem Mond muß die einzige Überlebende eine schier übermenschliche Leistung erbringen, um am Leben zu bleiben. Ihr Anzug kann Wasser und Sauerstoff aufbereiten, jedoch nur solange die tragbaren Solarzellen Energie liefern. Das heißt, 30 Tage lang vor der Nacht zu fliehen. Der schlimmste Feind ist allerdings die Einsamkeit, die an ihren Nerven zu zerren beginnt.
Anmerkung: Durchdachte Story, psychologisch interessant konstruiert.
Paul Park: Der Tourist
(Orig.: The Tourist) - 5 Punkte
Nach Erfindung der Zeitreisen und der Entdeckung, daß die Gegenwart nicht von der Vergangenheit aus beeinflußt werden kann, geschieht mit der Vergangenheit dasselbe, was in unserer Zeit mit den Entwicklungsländern passiert ist. Sie wird Opfer der Pauschaltouristen. Der 30jährige Krieg findet nicht mehr statt, weil auf den Schlachtfeldern vor lauter Japanern keine Soldaten mehr zu sehen sind, die Verscheuern nämlich ihre Ausrüstung als Souvenirs.
Anmerkung: Etwas von Stanislaw Lem abgekupfert, auch vom Sprachstil her keine Neuerung, aber dennoch witzig.
Marcus Hammerschmitt: Target - 7 Punkte
Die Geschichte einer Expedition auf einem weitgehend verödeten Planeten. Das Militär erforscht einen Wald an einem Krater, doch bald wird ihnen klar, daß mehr dahinter steckt als ein einfacher Wald mit einigen feindlichen Organismen. Spätestens als ihr Schiff vernichtet wird, ist die Expedition gescheitert, doch der Leiter, ein Soldat, meint, den Helden spielen zu müssen.
Anmerkung: Der Plot erinnert leicht an Alien 1, die Handlung ist jedoch abwechlungsreicher. Ein weiterer Pluspunkt ist die sehr detaillierte, logische Charakterisierung der einzelnen Handlungsträger (Expeditionsleiter!), sowie der Spannungen in der Gruppe. Auch der Protagonist, ein Android mit menschlichem Profil, ist gelungen dargestellt.
Greg Egan: Wahre Liebe
(Orig.: Appropriate Love) - 5 Punkte
Bei einem Unfall wird der Körper von Chris völlig zerstört, seine einzige bezahlbare Rettungsmöglichkeit ist die Neuzüchtung eines geklonten Körpers, die allerdings 2 Jahre in Anspruch nimmt. In dieser Zeit wird sein Gehirn in der Gebärmutter seiner Frau am Leben erhalten. Für seine Frau sind diese 2 Jahre die Hölle auf Erden.
Anmerkung: Nicht übel, wenngleich die psychischen Probleme seiner Frau mit ihrer "Leihmutterschaft" in dieser Tragweite, für jemand der dies nicht erlebt hat, kaum nachvollziehbar sind.
Allen Steele: Die gute Ratte
(Orig.: The good rat) - 6 Punkte
In einer Zeit, in der Tierversuche verboten sind, werden Freiwillige, sog. "Ratten" für medizinische Experimente benutzt. Meistens sind es Personen, die keine bessere Arbeit finden können, oder sich eine bequeme Arbeit und einen schnellen Dollar erhoffen, denn sie sind nichts weiter als gescheiterte Existenzen, der Bodensatz der Gesellschaft, Ratten eben. Aber sie können lernen zu leben, das unterscheidet sie von den Ratten.
Anmerkung: Ambitionierte Story, mit Elementen aus dem Entwicklungsroman angereichert. In sich stimmig.
Gesamtbewertung: 6 von 10 Punkten