Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Woodrow Wilson Smith, besser bekannt als Lazarus Long, ist im 43. Jahrhundert mit einem Alter von weit über 2000 Jahren der älteste lebende Mensch. Dank einer mutationsbedingten Langlebigkeit und der modernen Verjüngungstechnologie errang er nahezu Unsterblichkeit. Doch als seine unzähligen Nachfahren ihn nach einer fortwährenden Suche endlich finden, ist er dem Tod nahe. Lazarus, der nahezu alles erlebt und eine Vielzahl von Leben geführt hat, ist des Lebens müde geworden und sucht den Tod. Einst schuf Ira Howard Anfang des 20. Jahrhunderts eine Stiftung, deren alleiniges Ziel es war, das Leben der Menschen zu verlängern. Ein erlesener Kreis von sehr langlebigen Menschen wurde ausgewählt und diese zeugten untereinander Kinder. Eines von diesen war Woodrow Wilson Smith. Ira Weatheral, Präsident des Planeten Secundus wacht über die Nachkommenschaft jener Menschen und erst im allerletzten Moment konnte er Lazarus finden und den Freitod verhindern. Jeder auf Secundus kennt Lazarus, den alle nur Senior nennen, doch Lazarus will davon nichts wissen und schon gar nicht von den Nöten Iras, dass Secundus mittelfristig dem Untergang geweiht ist, weil die Gesellschaft sich in eine falsche Richtung entwickelte. Am Ende jedoch schließen Ira und Lazarus einen Pakt: Ira findet für Lazarus einen Grund, am Leben bleiben zu wollen und während dessen erzählt der Senior aus seinem Leben.
Wie bei Scheherazade und König Scharyâr in "1001 Nacht" erzählt Lazarus Long aus seinem Leben, nur dass in diesem Falle der Zuhörer das Leben des Erzählers erhalten möchte. Also genau umgekehrt wie in dem Märchenklassiker - was für eine verrückte Idee. Die Struktur des Buchs ist zu Beginn also folgende: Nach der Einführung von Lazarus und Ira gibt der Senior Geschichten und Lebensweisheiten zum Besten. Dabei stehen drei längere Erzählungen im Mittelpunkt:
The Tale of the Man Who Was Too Lazy to fail erzählt aus dem Leben eines Soldaten, der immer nur so viel Leistung wie notwendig erbrachte und dennoch wunderbar durchs Leben kam. Heinlein reflektiert hier über seine eigene Armeezeit und schreibt im Alter ein wenig über seine Erfahrungen. Dies ist die schwächste der drei Novellen in dem Roman - vor allem weil sie mit Science Fiction überhaupt nichts zu tun hat.
The Tale of the Adopted Daughter ist die Geschichte über die Adoption eines Waisenkinds, dass Lazarus Long eher der Zufall zuwies. Doch schon bald entwickelt er große Zuneigung zu dem Kind Dora und er kümmert sich liebevoll um seine Tochter. Als das Kind jedoch erwachsen wird, verändert sich die Liebe und beide heiraten. Die sehr gefühlvolle Geschichte endet damit, dass seine Partnerin die rückständige Welt nicht verlassen möchte, um eine Verjüngung zu machen, und altert, während Lazarus jung bleibt. Diese Geschichte hat sehr viele Parallelen zu der Liebesszene in dem Film "Highlander".
The Tale of the Twins Who Weren't erzählt, wie Lazarus als Captain eines Raumschiffs zwei Sklaven kauft und diesen die Freiheit schenkt. Beide sind Zwilling, doch wegen einer genetischen Manipulation haben sie keine gemeinsamen Gene, obwohl sie von derselben Mutter geboren wurden. Die sehr emotionale, tiefgreifende Geschichte revidiert das Bild von Lazarus Long, das der Leser bis zu diesem Zeitpunkt von dem Heinlein-Protagonisten hatte.
Die Erzählung aus der Vergangenheit wird durchbrochen durch verschiedene Lebensweisheiten, die Lazarus Long (oder besser gesagt Robert A. Heinlein) zum Besten gibt. Genau diese Passagen machen den Roman so umstritten. Neben "Sternenkrieger" und "Fremder in einer fremden Welt" enthält dieser Roman die meisten politischen Statements. Die Weltsicht des Autors war von seiner Grundeinstellung her sehr liberal. Er glaubte nicht daran, dass eine Demokratie funktioniert. Das Individuum sollte alle Freiheiten haben und dennoch sich für den Staat einsetzen. Nur wer, so Heinlein, sich am Staat verdient mache, habe auch das Recht, die Vorzüge eines Staats zu genießen. Diese Haltung ist nicht ganz unumstritten - ebenso wie Heinleins sehr freizügige Haltung zu Sexualität und zu freier Liebe jenseits aller gesellschaftlichen Konventionen. Ich für meinen Teil glaube, das ist überbewertet, denn Science Fiction ist ja auch Utopie und wer soll dem Autor verbieten, seine eigenen Weltentwürfe zu postulieren? Dass seine Romane - vor allem "Fremder in ein fremden Welt" - politisiert wurden, kann dem Autor nicht angelastet werden.
Im letzten Abschnitt des Romans steht der Lazarus Long der zukünftigen Gegenwart selbst im Mittelpunkt. Zusammen mit seinen von sich selbst geklonten Töchtern und Liebhaberinnen (eines der besten Beispiele für Heinleins Freizügigkeiten) durchstreift er das All und hat sein persönliches Glück wiedergefunden. Doch die Unrast treibt ihn dazu, noch einmal in die Zeit seiner Kindheit zurückzukehren, und dort trifft er auf seine Mutter Maureen, in die er sich unglücklich verliebt.
Diesen Roman zu rezensieren, ist sehr schwierig, weil man zum einen das Werk nicht betrachten kann, ohne den Autor selbst mit zu berücksichtigen. Die politischen Ansichten und der teilweise autobiographische Charakter des Werks dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Doch auch die Struktur ist schwer zu greifen. Der Roman zerfällt in drei Teile: Die Rettung von Lazarus Long, das Leben von Larazus Long und die Zukunft von Lazarus Long. Während der Mittelteil den Charakter einer Novellensammlung mit einer Rahmengeschichte hat, stellt der Rest des Buchs den eigentlichen Roman dar und dieser hat einige brillante Elemente, wie z. B. die Beziehung zweier Verjüngungstechniker, die eine Beziehung anstreben, ohne vorher das Geschlecht des anderen zu kennen. Auch Minerva, der Zentralcomputer von Secundus, ist eine sehr interessante Figur, denn durch die langen Erzählungen von Lazarus erwacht in ihr der Wunsch, zu einem Menschen zu werden. Schließlich sind dann noch jene Passagen, in denen Lazarus mit all den Personen, die er auf Secundus kennen lernte, eine eigene Familie gründet, die jenseits aller sexuellen Konventionen zusammenlebt.
Man sieht, dies ist ein komplexer Roman, der sich umfassend gar nicht besprechen lässt. Es gibt schwächere Momente, wie z. B. den letzten Teil des Buchs, der nach meinem Geschmack zu lang geraten ist, aber auch Teile, die mit zu dem Besten gehören, was ich je an Science Fiction las. "Die Leben des Lazarus Long" ist ein SF Roman, der einen mal fasziniert, mal abstößt, aber nie einen kalt lässt.
8 von 10 Punkten