Titel: Die Kinder Húrins
Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Vierunddreißig Jahre nach dem Tod seines Vaters John Ronald Reuel Tolkien bringt sein Sohn Christopher die Geschichte der Kinder Húrins erneut heraus. Wer Das Silmarillion oder Nachrichten aus Mittelerde kennt kennt auch diese Erzählung. Christopher Tolkien, der gleichzeitig als Nachlassverwalter seines Vaters tätig ist, erstellte über Jahre hinweg aus alten Unterlagen und dem bereits in Das Silmarillion enthaltenen Text die Geschichte neu. Der britische Verlag HarperCollins startet mit einer vergleichsweise kleinen Auflage von lediglich 500.000 Exemplaren. Man mag sich von der hohen Zahl nicht irreführen lassen, wenn man bedenkt, dass der ganze englischsprachige Raum abgedeckt wird. 330 Millionen Nordamerikaner, Australien und der ehemalige Commonwealth und natürlich die britischen Inseln selbst, da ist diese Auflage gering.
Die Geschichte ist in unvollständiger Form in Das Silmarillion enthalten, welches bereits 1977 erschien. Auch im Deutschen Taschenbuch Verlag erschien diese Erzählung bereits als eigenständiges Taschenbuch. Das neu überarbeitete Werk ist in seiner Stimmung düsterer, als es von der Verfilmung des Herrn der Ringe bekannt ist. Zudem spielt die Handlung weit vor der epischen Ring-Erzählung. Natürlich hat die Herausgabe des Buches zwei Effekte. Zum einen erhält der Leser eine Fassung, die der, die J. R. R. Tolkien wollte, wohl am nächsten kommt und eigenständig für sich stehen kann, und zum anderen bringt es den Erben wieder eine Menge Geld. Wobei ich als Leser, Sammler und Rezensent davon ausgehe, dass nicht nur Geld damit gemacht werden soll.
Erzählt wird die tragische Geschichte von Turin und seiner Schwester Nienor, die von Morgoth mit einem Fluch belegt wurden. Die Geschichte erzählt von bösen Mächten, Freundschaft, Abenteuer und Heldentum. Damit sind wir bei der gleichen Kombination, die den Herrn der Ringe über Jahrzehnte erfolgreich machte. Ein weiteres Glanzlicht des Buches sind die gelungenen Zeichnungen von Alan Lee, der auch das Titelbild zeichnete. Eine gute Übersicht erhält der Leser, wenn er sich die beiliegende Karte von Beleriand ansieht. Als weitere Ergänzung findet sich ein Anhang mit Stammbäumen und wichtigen Hinweisen.
Die Elben und Menschen befinden sich in einem heftigen Krieg gegen den düsteren Herrscher Morgoth. Die Schlacht der Tränen, dabei geht es um die Silmaril, wertvolle Steine, in denen das Licht der Welt eingeschlossen ist, ging für Menschen und Elben verloren. Die Dunkelheit breitet sich über die Welt immer weiter aus. Húrin, ein adliger Führer der Menschen, stellt sich Morgoth entgegen, weil die Überfälle der Orks sich häufen. Nicht alle Männer der Stadt kehren aus der Schlacht zurück, Húrin wird besiegt und von Morgoth mittels Magie an den Berg Thangorodrim gebannt. Hier soll er das Schicksal seiner Familie im Besonderen und der Menschheit im Allgemeinen verfolgen und mit ihnen leiden und daran zugrunde gehen. Als Húrin nicht aus der Schlacht zurückkehrt, sendet seine Ehefrau Morwen ihren Sohn Thurin zu den Elben. Sie selbst bleibt mit der noch ungeborenen Tochter NÃniel zurück. Der König nimmt den jungen Mann an, als wäre der sein eigener Sohn. In den Jahren, in denen er am Hofe des Königs aufwächst, erhält er die Ausbildung zum Ritter. Allerdings führt diese Tat zu Verwicklungen, Neid und Hass. Wegen eines dieser Missverständnisse wird Turin aus der Stadt verbannt. Stolz und ungebeugt verlässt er die Stadt, ist aber gleichzeitig so verbohrt, dass er nicht zum König geht, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das hat zur Folge, das Turin sich Orks und Drachen entgegenstellen muss. Der Fluch, der von Morgoth über ihn gesprochen wurde, holt ihn immer wieder ein. Damit ist das Schicksal Turins klar, er wird von Schuld, Leid und Tod begleitet. Es beginnt damit, dass er der irrigen Meinung ist, als Geächteter durch die Lande ziehen zu müssen. Sein Weg führt ihn zu einer Gruppe von Menschen, die wie er Ausgestoßene der Gesellschaft sind. Seine Ausbildung, Mut, Kraft und Ausdauer führen dazu, dass er zum Anführer der Gruppe gewählt wird. Mit diesen Leuten sieht er die Chance für sich gekommen, wieder in seine Heimatstadt zu ziehen, wo seine Mutter und seine Schwester leben. Die Männer folgen ihm blindlings. Ohne sie hätte er den Weg dorthin sicher nicht geschafft, denn die Zahl der umherstreifenden Orks nimmt ständig zu.
Etwa zur gleichen Zeit wird beim König das Missverständnis aufgeklärt und Turins Status als Geächteter aufgehoben. Davon erfährt Turin allerdings nichts. Auch nichts davon, dass seine Mutter unterwegs in die Königsstadt ist, um dort ihren Sohn aufzusuchen. Sie erfährt von dem unglücklichen Missverständnis. Um ihren Sohn zu suchen, bekommt sie ein paar Männer vom König. Dieser kleinen Gruppe schließt sich gegen den Willen der Mutter ihre Tochter an. Ihre Begründung ist logisch. Erst den Vater, dann den Bruder verloren, ihre Mutter möchte sie nicht auch noch verlieren. Turin kommt zur gleichen Zeit in seiner Heimatstadt an und findet dort Orks vor, die die Herrschaft praktisch übernommen haben. Die Informationen über Mutter und Schwester fließen nicht gerade üppig. Ihm wird mitgeteilt, dass seine Mutter bereits seit einem Jahr unterwegs zu ihm in die Königsstadt ist.
Es beginnt eine muntere Reise durch die Lande, wo die Mutter Morwen mit ihren Begleitern auf den Drachen Glaurung trifft. Tochter NÃniel kann fliehen, verliert jedoch ihr Gedächtnis. Sie wird vom Bruder gefunden der ihr alles wieder beibringen lässt. Beide verlieben sich ineinander und heiraten. Turin macht sich nun auf, den Drachen zu töten, was ihm auch gelingt. Allerdings wird er dabei selbst verletzt und durch das Drachengift vergiftet. Als NÃniel beim Drachen ankommt, erkennt sie in ihrem Mann und Vater des ungeborenen Kindes ihren Bruder. Vor Scham stürzt sich die Schwester ins Wasser. Turin selbst erfährt nun auch die schreckliche Wahrheit.
Das Buch ist kein klassischer Roman, sondern eher eine lange Erzählung, einem epischen Werk nicht unähnlich. Sie steht eindeutig in der Tradition einer griechischen Tragödie. Daher kann ohne Bedenken gesagt werden, dass das Buch ein wenig anspruchsvoller ist als andere Fantasywerke, selbst als Der Herr der Ringe. Zudem ist es schwierig, sich mit all den Begriffen, Namen und Fremdwörtern auseinanderzusetzen. Der Anhang und das Vorwort mit der Aussprachehilfe sind dabei eine große Hilfe. Zu Beginn ist die Erzählung etwas verwirrend, doch sobald man sich gänzlich darauf einlässt und in die Welt eintaucht, ist es kein Problem mehr, der Handlung und den Personen zu folgen. Die Geschichte ist Tolkien-gerecht. Die Handlung wurde so anschaulich beschrieben, dass man ohne weiteres mitfühlen und mitkämpfen konnte. Die Ausstattung des Buches ist hervorragend gelungen. Alan Lee schuf ein glanzvolles umlaufendes Titelbild und weitere Farbbilder. Dazu kamen einige weitere Schwarzweiss-Zeichnungen. Die Stimmung, die die Bilder erzeugen, fügt sich in die Erzählung gekonnt ein. Gerade das Bild "Húrin auf dem Berg" entspricht genau dem, was ich mir in der Beschreibung vorstellte.