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Titel: Die Kathedrale der verlorenen Dinge Eine Rezension von Ida Eisele |
Klappentext:
Lily und Mark haben einen Weg aus den Bergen um Agora gefunden und irren nun durch einen unheimlichen Wald. Dort rettet ihnen ein geheimnisvoller Mann das Leben und sie treffen auf Dörfler, die ein Leben führen, das in völligem Gegensatz zu dem in Agora steht.
In der Stadt selbst haben ihre Freunde zugleich zu kämpfen: das Almosenhaus verliert an Zulauf und bekommt unseriöse Konkurrenz.
So paradiesisch Lily das Dorfleben zunächst auch erscheint, so entsetzlich sind jedoch auch die Abgründe, die dahinter lauern. Bald muss sie erkennen, dass sie nicht ewig bleiben kann, sondern weiterziehen muss, auf der Suche nach ihren Eltern und der Kathedrale der verlorenen Dinge...
Leider hatte ich den ersten Band „Die Stadt der verkauften Träume“ vorher nicht gelesen, sodass ich anfangs echte Schwierigkeiten hatte, mich in das Buch einzufinden.
Die Charaktere wurden zwar schnell zu Vertrauten, allerdings wird mit Erklärungen und Beschreibungen gerade am Anfang des Buches sehr gespart. Dementsprechend schwer fällt es auch, sich die eigenartige Umgebung des Waldes oder auch nur das Dorf vorzustellen.
Lily und Mark wirken, nicht zuletzt wegen ihrer Namen und allgemein ihrem Verhalten, wie recht moderne Charaktere.
Auch ihre Heimat Agora macht durch das komplex wirkende Verwaltungssystem und die kapitalistischen Strukturen einen sehr neuzeitlichen Eindruck, während Gesellschaft und Technik auf einem mittelalterlichen Stand zu sein scheinen – eine Konstellation die ich persönlich an Büchern eigentlich nicht schätze und die auf mich auch stets einen unfertigen, undurchdachten Eindruck macht. Woher diese Unstimmigkeit rühren könnte, wird immerhin im Laufe des Buches angedeutet, weshalb ich davon ausgehe, dass der Autor sich eben doch etwas dabei gedacht hat.
Vielleicht wäre es einem Leser des ersten Bandes auch nicht so ergangen, aber durch die mangelnden Beschreibungen und den eben beschriebenen anachronistischen Eindruck blieben mir die Welt und die Charaktere ungreifbar und farblos.
Auch das Dorf Aecer erscheint einfach und regelrecht primitiv, ohne dass allerdings auch nur einmal erwähnt würde, über welche technischen Möglichkeiten die Dörfler eigentlich verfügen, was für Kleidung sie tragen oder auch nur, ob das Dorf befestigt ist. Die Dörfler bleiben bis auf wenige Ausnahmen eine gesichtslose Masse. Diese Ausnahmen sind allesamt wichtig für die Handlung. An keiner Stelle des Buches hatte ich den Eindruck, dass etwas erwähnt wird, um die Atmosphäre eines lebendigen Dorfes (oder im Falle Agoras einer Stadt) zu schaffen.
Gut dagegen fand ich das langsame Hinarbeiten auf das Ende. Den Protagonisten fällt nicht alles zu und es gibt auch niemanden, der ihnen wirklich helfen oder ihre Aufgabe erklären könnte. Während sie sich unsicheren Schritt um unsicheren Schritt vorarbeiten erlebt man mit ihnen die Unterschiede zwischen dem Leben in Aecer und Agora. Dabei sind die Rituale und Sagen der Dörfler schön ausgearbeitet und tragen viel dazu bei, das Denken und Leben im Dorf begreiflicher zu machen.
Mark und Lily selbst sind nicht bedingungslos beste Freunde, sondern im Gegenteil häufig uneins – gerade das aber macht ihre im Laufe der Geschichte wachsende Freundschaft authentisch und überzeugend.
Auch die anderen Charaktere sind verständlich und gut ausgearbeitet. Ohne dass alles gesagt oder erklärt werden müsste, versteht man ihre Gefühle und Handlungsmotive allein aus ihren Handlungen heraus. Gerade der Arzt Theophilus, der nach langem Zögern Lilys Nachfolge im Almosenhaus anzutreten scheint, hat mir gut gefallen, weil er von allen Charakteren die stärkste Wandlung durchmacht.
Von der Sprache her sind kaum Auffälligkeiten zu benennen, weder im positiven noch im negativen Sinne. Hin und wieder kamen mir manche Formulierungen etwas eigenartig vor, zu modern für den quasi-mittelalterlichen Hintergrund, zum Beispiel Anglizismen wie Code oder auch nur Babypuppe. Die mangelnde Bildhaftigkeit erwähnte ich bereits.
Insgesamt fand ich das Buch nicht schlecht, hinreichend spannend und ich kann mir auch vorstellen, dass Leser von „Die Stadt der verkauften Träume“ viele meiner Verständnisschwierigkeiten nicht teilen werden. Die Grundidee ist interessant, die Umsetzung nicht zu hundert Prozent gelungen.