Titel: Die Kannibalen von Candyland Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Franklin ist ein zutiefst traumatisierter Zeitgenosse, der sich seines Alltags nur schwer erwehren kann. Durch sein äuffälliges Äußeres - er kleidet sich komplett in seine Lieblingsfarbe Knallrot - wird er von seinen Mitmenschen abgelehnt, lässt sich durch den Nachbarsjungen mobben und erpressen. Er lebt in einer kleinen Wohnung zusammen mit seiner Frau und seiner Mutter, wobei er nicht sagen kann, welche der beiden Frauen er am meisten hasst. Seine einzige Liebe ist ein kleiner Schoßhund namens Crabcake, sein einziger Antrieg sein Hass auf die Zuckermenschen. Diese gleichsam bizzarr abschreckenden wie auch faszinierenden Wesen bestehen komplett aus Süßigkeiten und ernähren sich von kleinen Kindern. Als er zehn Jahre alt war, fraß eine Zuckermenschfrau seine Geschwister vor seinen Augen, nur er überlebte das Massaker. Seither ist er getrieben von der fanattischen Idee, die Zuckermenschfrau im Besonderen und die ganze Rasse der Zuckermenschen im Allgemeinen zu vernichten.
Eines Tages beobachtet er einen Zuckermenschen bei der Jagd; mit einer kürzlich erworbenen Pistole kann er das Wesen verletzen. Heimlich folgt er ihm tief in die Kanalisationen unter der Stadt bis zum versteckten Eingang ins Candyland, die Heimat der Zuckermenschen. Dort lernt er nach einigen Problemen die Zuckermenschfrau Jujy kennen, die sogleich vernarrt in den seltsamen Menschen ist. Sie beschließt, Franklin zum Gatten zu nehmen, was gleichzusetzen ist mit dem Status eines Sexsklaven. Dieser willigt scheinbar ein, immer den Gedanken im Hintergrund, das Vertrauen der Zuckermenschenfrau dazu zu nutzen, Candyland auszuspionieren und die Informationen an die Behörden in der Menschenwelt zu übergeben. Was die Sache nicht einfacher macht: Jujy ist dieselbe, die vor Jahren seine Geschwister fraß.
Franklin ist hin- und hergerissen in seinen Gefühlen und Empfindungen. Auf der einen Seite muss er sich Jujy unterwerfen. Sie hat verschiedene Teile seines Körpers zum Abendessen verwendet und mit Bonbonprothesen ersetzt. Die dadurch ausgelösten Schmerzen kann Franklin nur dadurch beherrschen, dass er Jujy im Schritt leckt - da die dort ausgeschiedenen Erdbeeraromen analgesierend wirken. Auf der anderen Seite wandelt sich sein Hass gegen Jujy langsam einer Sympathie - er lernt, dass die Zuckermenschen, welche übrigens von normalen Menschen abstammen, es nicht besser wissen, da ihre Gesellschaft völlig anders aufgebaut ist, als er es von der Menschenwelt gewohnt ist. Jujy will aber noch einen Schritt weiter gehen. Während Franklin verzweifelt gegen die Auflösung seines Körpers kämpft, denkt die Zuckermenschenfrau an Fortpflanzung - sie will ein Kind von ihrem Gatten ...
Carlton Mellick III ist bekannt für seine bizzarren und ungewöhnlichen Romane - hier schon mal gleich ein großer Dank an den Festa Verlag, der es wagt, das mittlerweile dritte Buch des Autors in Deutschland zu veröffentlichen. Die Aufmachung ist auch entsprechend genial: ein quietschbuntes Titelbild, erdbeerfarbene Seiten mit Lesebändchen und auf dem Cover auch noch eine Ecke mit Erdbeergeruch. Da steckt Liebe im Detail, so was kann man nur von einem Kleinverlag bekommen!
Die Geschichte selber hat zwei Aspekte. Auf der einen Seite die vordergründige Monsterjagd-Story mit den aus dem Computer- und Brettspiel "Candyland" entnommenen Zuckermenschen. Blutrünstig, ohne Erbarmen und mit vielen Gore-Einlagen zeigt Mellick III, dass er das Horrorgenre versteht. Die humorvolle Schreibweise ordnet das Ganze entsprechend ein und macht die eine oder andere Szene erträglicher. Auf der anderen Seite schreibt der Autor über den unverstandenen Franklin, der erst in seinem Objekt des Hasses seine wahre Liebe findet und sich am Ende wieder von ihr abwendet. Eine klassische Tragödie, ein Drama, das tiefgründiger ist, als es auf den ersten Blick scheint. Beides zusammen ergibt einen erschreckenden und gleichzeitig interessanten ud faszinierenden Roman, der zudem dank der gelungenen Übersetzung noch gespickt ist mit teils wirklich absurden Wortschöpfungen aus der Anatomie der Zuckermenschen. Wenn Franklin an Weingumminippel und Zuckerschaummösen leckt, dreht sich das Gehirn um sich selbst und weiß nicht, soll das jetzt erotisch oder grausig sein?
Selber entscheiden und kaufen! Das Buch, geeignet nur für erwachsene Leser, ist für alle Horrorfans, insbesondere Liebhaber der Bizzaro Fiction wärmstens zu empfehlen. Und wenn es euch nicht gefällt - riecht am Cover, das beruhigt.
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