Titel: Die Herrin der Worte Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Das Leben in dieser Welt ist nicht gerade einfach. Vor allem, wenn man nach Einbruch der Dunkelheit geboren wird. Diese Zeit war dem heiligen Klatschweg gewidmet. Und so bekommt das Mädchen den Namen Fliege. Oder auch Mosca. Acht Jahre später war auch ihr Vater Federkiel Mye tot. Und Mosca lebt bei ihrem spießigen Onkel immer noch in diesem Ort namens Krähennest. Sie ist, wie auch ihr Vater, ein wenig sonderlich. Jetzt ist sie zwölf Jahre alt und sitzt in einem Taubenschlag, in den Armen eine Gans, genannt Sarazene. Während sie von ihrem Vater das Schreiben und Lesen beigebracht bekam, ist ihr Onkel von diesem `Teufelszeug’ gar nicht angetan. Weil sie das Landleben beim Onkel nicht mehr mag, schnappt sie sich Sarazene und haut ab.
Nebenbei befreit sie den von den Dorfbewohnern des Betruges bezichtigten Wortmeister Clent vom Pranger. Als Gegenleistung erwartet sie von ihm, sie neue Worte und die Kunst des Verseschmiedens zu lehren. Clent ist froh, nicht mehr am Pranger stehen zu müssen, und stimmt ihren Bedingungen halbherzig zu. Tatsache ist aber auch: Er will das Kind nicht als Anhängsel mit sich herumschleppen. Doch jeder Versuch, das Mädchen und ihre kampflustige Gans abzuhängen, scheitert. Der Weg führt unser Landei in die große Welt der Schönen, Reichen und Mächtigen der Stadt Löwenburg. Diese Welt ist so ganz anders als das, was sie vorher kannte. Stündlich lernt sie Neues hinzu - vor allem, dass sie niemandem trauen darf. Sie lernt die Schwester des Herzogs kennen, lernt die unterschiedlichen Gilden kennen, die die eigentliche Macht in den Händen halten, und muss zudem erkennen: Das Leben in der Großstadt ist gefährlich. Ehe sie sich versieht, steckt sie mitten im Ränkespiel der Mächtigen und solcher, die es werden wollen. Aber unser Mädel ist gewitzt. Mit ihren zwölf Jahren gibt sie sehr schnell zu erkennen, dass sie sich weder von Feind noch Freund gängeln lassen will. Sie hat ihren eigenen Kopf und bald auch ihre eigenen Ziele. Die Drähte, an denen man sie wie eine Marionette gängeln will, erkennt sie sehr schnell, aber da gibt es auch noch die Wahrheit über ihren angeblich so zurückgezogen lebenden Vater. Die Überraschung raubt ihr den Atem.
Schriftstellerin Frances Hardinge entführt uns in eine mittelalterlich angehauchte Welt, die in vielen Dingen nichts mehr gemein hat mit unserem Mittelalter. Wer sich ein wenig in der britischen Vergangenheit auskennt, wer sich ein wenig Mühe bei den Namensspielen macht, für den ist vieles phantastischer. Aber auch ohne das Graben in Namen ist das Buch wunderbar zu lesen. Das Schöne an dieser Geschichtsschreibung ist, dass vieles nicht übereinstimmt. Dadurch wird alles viel lebendiger, manchmal etwas übertriebener oder überzeugender. Andererseits ist es aber auch das Unverhoffte, das uns immer wieder in Staunen versetzt. Ich will hier gar nicht mehr die Begriffe wie 'überzeugende Charaktere', 'lebendige Figuren' etc. benutzen. Das ergibt sich von selbst, wenn man das Buch liest. Die Herrin der Worte ist ein farbenfrohes Buch in der Schilderung einer neuen Welt. So ähnlich muss sich Kolumbus gefühlt haben: eine neue Welt in den Händen zu halten, mit jedem Wort etwas Neues zu entdecken. "Namen sind wichtig", damit beginnt das Buch; haltet euch dran und lest genau. Die Übersetzung scheint mir jedenfalls gelungen. Da kommen die Wortspiele gut an.